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EuGH: Verantwortliche Beauftragte bei Kraftverkehrsunternehmen

Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 1071/2009 idF VO (EU) 517/2013: Art 6, Art 22

Gewo 1994: § 91

GütBefG: § 5

VStG: § 9

Zu den Anforderungen des Art 3 VO (EG) 1071/2009 [zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers] an die Ausübung des Berufs des Kraftverkehrsunternehmers gehört die Zuverlässigkeit. Eine deren Mindestvoraussetzungen ist, dass gegen das Unternehmen oder den Verkehrsleiter keine Sanktionen wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen bestimmte Vorschriften des Unionsrechts verhängt worden sein dürfen (Art 6 Abs 1 Unterabs 3 Buchst b VO (EG) 1071/2009; dazu gehören ua die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer). Art 6 Abs 1 Unterabs 2 VO (EG) 1071/2009 stellt dazu weiters klar, dass dies Sanktionen gegen das Unternehmen selbst, seine Verkehrsleiter und gegebenenfalls andere maßgebliche Personen einschließt, die vom jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt werden können. Räumt ein Mitgliedstaat mittels einer nationalen Vorschrift wie § 9 Abs 2 VStG den Kraftverkehrsunternehmen die Möglichkeit ein, andere Personen als die Verkehrsleiter zu Beauftragten für die Verwaltung der entsprechenden Tätigkeitsbereiche zu bestellen, ist davon auszugehen, dass das Verhalten dieser Beschäftigten als „maßgebliche Personen“ iSv Art 6 Abs 1 Unterabs 2 VO (EG) 1071/2009 bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit dieser Unternehmen zu berücksichtigen ist.

Gegen Kraftverkehrsunternehmen, die die Anforderung der Zuverlässigkeit nicht erfüllen, müssen die Mitgliedstaaten gem Art 22 VO (EG) 1071/2009 wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen verhängen; dazu gehören ua die Aussetzung der Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers, der Entzug dieser Zulassung und die Erklärung der Nichteignung der Verkehrsleiter. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für schwerwiegende Verstöße gegen die einschlägigen Vorschriften darf nicht so bestimmt werden, dass sie einer wirksamen, abschreckenden und verhältnismäßigen Sanktion entgegensteht.

Nach Ansicht des EuGH zeigt sich indes, dass es das österreichische Recht einem Kraftverkehrsunternehmen erlaubt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Einhaltung der einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften einem verantwortlichen Beauftragten zu übertragen (der gem § 9 Abs 2 VStG nicht zur Vertretung nach außen berufen sein muss), und schwerwiegende Verstöße gegen diese Vorschriften nach dessen Bestellung die Zuverlässigkeit des Unternehmens nicht beeinträchtigen. Bei juristischen Personen oder eingetragenen Personengesellschaften beziehen sich nach § 91 Abs 2 GewO 1994 die Gründe für eine Entziehung der Gewerbeberechtigung „sinngemäß auf eine natürliche Person, der ein maßgebender Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte zusteht“. Auch § 5 Abs 2 GütBefG stellt hinsichtlich der erforderliche Zuverlässigkeit für eine Konzession auf den Antragsteller, den Gewerbeberechtigten bzw den Verkehrsleiter ab. Obwohl ein verantwortlicher Beauftragter somit die Verantwortung für die Leitung der entsprechenden Tätigkeitsbereiche trägt und daher zur Gruppe der „maßgeblichen Personen“ iSv Art 6 Abs 1 Unterabs 2 VO (EG) 1071/2009 gehört, führt die Begehung entsprechender Verstöße unabhängig von ihrer Zahl und Schwere nach der nationalen Regelung im Ausgangsverfahren nicht zur Aberkennung der Zuverlässigkeit und folglich auch nicht zum Entzug oder zur Aussetzung der Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers.

Art 22 iVm Art 6 Abs 1 VO (EG) 1071/2009 (hier idF VO (EU) 517/2013) steht somit einer nationalen Regelung entgegen, nach der eine Person zum verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der Vorschriften des Unionsrechts über die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer bestellt und ihr damit die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verstöße gegen diese Vorschriften übertragen werden kann, wenn das nationale Recht es nicht erlaubt, die Verstöße, die diesem Beauftragten zur Last gelegt werden, bei der Beurteilung zu berücksichtigen, ob das Unternehmen die Anforderung der Zuverlässigkeit erfüllt.

EuGH 11. 5. 2023, C-155/22, Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des LVwG NÖ.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34028 vom 15.05.2023