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RL 2004/18/EG: Art 31
Art 31 Nr 1 Buchst b RL 2004/18/EG (VergabeRL) sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber bei öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben können, wenn der Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden kann (hier: Auftrag über die Wartung des Informationssystems der nationalen Steuerverwaltung, wobei urheberrechtliche Verwertungsrechte am Quellcode des Informationssystems bestehen). Es müssen somit zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein, nämlich zum einen, dass technische oder künstlerische Gründe bzw Gründe des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten iZm dem Auftragsgegenstand bestehen, und dass es zum anderen aus diesen Gründen unbedingt erforderlich ist, den Auftrag an einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer zu vergeben.
Ein öffentlicher Auftraggeber kann sich zur Rechtfertigung des Rückgriffs auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung iSv Art 31 Nr 1 Buchst b RL 2004/18/EG nicht auf den Schutz von Ausschließlichkeitsrechten berufen, wenn der Grund für diesen Schutz ihm zuzurechnen ist. Eine solche Zurechenbarkeit ist nicht nur auf der Grundlage der tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu beurteilen, die den Abschluss des Vertrags über die ursprüngliche Leistung begleiten, sondern auch auf der Grundlage derjenigen Umstände, die den Zeitraum vom ursprünglichen Vertragsschluss (hier: Vertrag über die Einrichtung des IT-Systems) bis zu dem Zeitpunkt kennzeichnen, zu dem der öffentliche Auftraggeber das Verfahren zur Vergabe eines nachfolgenden öffentlichen Auftrags (hier: Wartung des Systems) auswählt.
EuGH 9. 1. 2025, C-578/23, Česká republika – Generální finanční ředitelství
Zu einem tschechischen Vorabentscheidungsersuchen.
Ausgangsfall:
Das Finanzministerium der Tschechischen Republik hatte 1992 einen Vertrag mit der Gesellschaft IBM World Trade Europe geschlossen, auf dessen Grundlage ein Informationssystem für die tschechische Steuerverwaltung geschaffen wurde. Für die Steuerverwaltung ist nunmehr (an Stelle des Finanzministeriums) die Generalfinanzdirektion (GFD) zuständig; sie vergab 2016 nach einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung den öffentlichen Auftrag über die Wartung des Informationssystems (mit einem Wert von etwa 1,3 Mio Euro) an die Gesellschaft IBM Česká republika. Der Rückgriff auf dieses Verfahren wurde mit der technischen Kontinuität zwischen dem Informationssystem und seiner Wartung nach der Garantiezeit sowie mit dem Schutz der ausschließlichen Urheberrechte von IBM Česká republika am Quellcode dieses Systems begründet. Nach den Bestimmungen des ursprünglichen Vertrags ist diese Gesellschaft nämlich Inhaberin der Lizenzrechte für das System.
Nach Ansicht des tschechischen Wettbewerbsamts hätte die GFD den Auftrag nicht im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben dürfen. Die GFD habe nicht nachgewiesen, dass der öffentliche Auftrag aus technischen Gründen ausschließlich von IBM Česká republika habe ausgeführt werden können. Außerdem sei die Erforderlichkeit, die ausschließlichen Rechte von IBM Česká republika am Quellcode zu schützen, die Folge des vorherigen Verhaltens des Rechtsvorgängers der GFD (Finanzministerium) gewesen.
In seinen Entscheidungsgründen weist der EuGH für das Ausgangsverfahren darauf hin, dass die Tschechische Republik ab ihrem Beitritt zur EU (1. 5. 2004) auch den unsionsrechtlichen Vorschriften betr die Auftragsvergabe sofort nachzukommen hatte.
Die GFD beruft sich darauf, dass sie vor der Einleitung des hier strittigen Verfahrens am 1. 3. 2016 versucht habe, die Ausschließlichkeitssituation von IBM Česká republika zu beenden; diese habe jedoch die Übertragung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte am Quellcode verweigert, so dass das Informationssystem ohne die Entscheidung für das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung unbrauchbar geworden und die Steuerverwaltung an der erfolgreichen Erfüllung ihrer Aufgabe gehindert gewesen wäre. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die GFD bzw ihr Rechtsvorgänger (das Finanzministerium) zwischen dem EU-Beitritt 2004 und der Einleitung des strittigen Verfahrens 2016 die Möglichkeit gehabt habe, ein Vergabeverfahren für die Bereitstellung eines neuen Informationssystems einzuleiten. Es ist nun Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die von der GFD behaupteten Umstände – und insb die Umstände zwischen 1. 5. 2004 (EU-Beitritt) und 1. 3. 2016 – der GFD zuzurechnen waren, insb weil diese über tatsächliche und wirtschaftlich vertretbare Mittel verfügte, um die Ausschließlichkeitssituation im genannten Zeitraum zu beenden.
Hinweis:
Die RL 2004/18 wurde mit Wirkung vom 18. 4. 2016 aufgehoben und durch die RL 2014/24/EU ersetzt.