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EuGH: Vergabe – einzelne unzuverlässige Bieter in Bietergemeinschaft

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

RL 89/665/EWG: Art 1

RL 2014/24/EU: Art 18, Art 57

Hat ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Erfüllung einer wesentlichen Anforderung im Rahmen eines früheren öffentlichen Auftrags erhebliche oder dauerhafte Mängel erkennen lassen, die die vorzeitige Beendigung dieses früheren Auftrags, Schadenersatz oder andere vergleichbare Sanktionen nach sich gezogen haben, können ihn öffentliche Auftraggeber können gem Art 57 Abs 4 Buchst g RL 2014/24/EU (VergabeRL) von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden. Bei Festlegung der Bedingungen für die Anwendung dieses fakultativen Ausschlussgrundes darf ein Mitgliedstaat zwar eine Vermutung vorsehen, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer, der rechtlich für die ordnungsgemäße Ausführung eines Auftrags einzustehen hat, zur Entstehung oder zum Fortbestehen der Mängel beigetragen hat. Wurde der Auftrag jedoch an eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern vergeben, deren einzelne Beiträge zu diesen Mängeln und etwaige Anstrengungen zur Mängelbehebung nicht notwendigerweise identisch sind, muss eine solche Vermutung widerlegbar sein, da andernfalls die wesentlichen Merkmale des fakultativen Ausschlussgrundes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art 18 Abs 1 VergabeRL) missachtet würden. Unabhängig von der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer solchen Gruppe muss die Anwendung des fakultativen Ausschlussgrundes des Art 57 Abs 4 Buchst g VergabeRL nämlich darauf gestützt werden, dass dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig ist.

Daher muss in einer Situation wie im Ausgangsverfahren jedes Mitglied der Gruppe, das rechtlich für die ordnungsgemäße Ausführung eines öffentlichen Auftrags einzustehen hat, die Möglichkeit haben, nachzuweisen, dass die Mängel, die zur vorzeitigen Beendigung dieses Auftrags geführt haben, in keinem Zusammenhang mit seinem individuellen Verhalten standen. Stellt sich nach einer konkreten und auf den Einzelfall bezogenen Beurteilung des Verhaltens des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers im Licht aller relevanten Umstände heraus, dass dieser die festgestellten Mängel nicht verursacht hat und von ihm vernünftigerweise nicht mehr verlangt werden konnte, als er zur Behebung dieser Mängel ohnedies getan hat, steht die VergabeRL seiner Eintragung in die Liste der unzuverlässigen Auftragnehmer entgegen.

Die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegen die vorzeitige Beendigung des öffentlichen Auftrags einzulegen, stellt für die Mitglieder der Bietergemeinschaft keinen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung dar, sie in diese Liste einzutragen und sie somit grundsätzlich von künftigen Vergabeverfahren auszuschließen. Die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Beendigung einerseits und der Eintragung in die Liste andererseits kann nämlich, von unterschiedlichen Umständen abhängig sein. Wenn also der vorzeitig beendete Auftrag an eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern vergeben worden war, muss jedes Mitglied dieser Gruppe einen Rechtsbehelf gegen seine Eintragung in die Liste unzuverlässiger Auftragnehmer einlegen können, die den grundsätzlichen Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren nach sich zieht.

EuGH 26. 1. 2023, C-682/21, HSC Baltic ua

Zu einem litauischen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33600 vom 31.01.2023