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EuGH: Vergabe – Teilnahme einer Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2014/24/EU: Art 19, Art 80

Art 19 Abs 1 und Art 80 Abs 2 RL 2014/24/EU [über die öffentliche Auftragsvergabe ...] (VergabeRL) stehen einer nationalen Regelung (hier: Italiens) entgegen, die für Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht die Möglichkeit ausschließt, an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Ingenieur- und Architekturdienstleistungen teilzunehmen, obwohl diese Einrichtungen nach dem nationalen Recht berechtigt sind, die von dem betreffenden Auftrag erfassten Dienstleistungen anzubieten.

EuGH 11. 6. 2020, C-219/19, Parsec Fondazione

Ausgangsfall

Zu einem italienischem Vorabentscheidungsersuchen.

Parsec ist eine italienische Stiftung des Privatrechts ohne Gewinnerzielungsabsicht. Ihre satzungsmäßigen Tätigkeiten bestehen ua in der Untersuchung von Naturkatastrophen und der Vorhersage und Prävention von Risikobedingungen. Sie gründete intern ein seismologisches „Observatorium“, das dauerhaft mit dem italienischen Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie zusammenarbeitet. Über dieses Observatorium betreibt Parsec ein Netz von Messstationen zur Erfassung seismischer Aktivitäten, arbeitet mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen und erbringt Dienstleistungen des seismischen Risikomanagements, des Zivilschutzes und der Raumordnung zugunsten zahlreicher Gemeinden und lokaler Gebietskörperschaften. Bei allen diesen Tätigkeiten setzt sie Mitarbeiter ein, die in diesem Bereich hochqualifiziert sind.

Um an Ausschreibungen für die Vergabe der Dienstleistung der Gebietseinteilung auf der Grundlage des seismischen Risikos teilnehmen zu können, stellte Parsec einen Antrag auf Aufnahme in das Verzeichnis der zur Erbringung von Ingenieur- und Architekturdienstleistungen berechtigten Wirtschaftsteilnehmer, das von der Nationale Antikorruptionsbehörde (ANAC) geführt wird. Die ANAC lehnte diesen Aufnahmeantrag ab, weil Parsec nicht zu einer der Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern gehört, die in Art 46 Abs 1 des italienischen Vergabegesetzbuchs genannt sind. Dagegen erhob Parsec Klage beim vorlegenden Gericht.

In der E EuGH 23. 12. 2009, C-305/08, CoNISMa, Rechtsnews 8432 = RdW 2010/101, hat der EuGH - zu italienischen Vorlagefragen - bereits festgehalten, dass die Bestimmungen der RL 2004/18/EG, die auf den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ Bezug nehmen, auch Einrichtungen die Teilnahme an Vergabeverfahren gestatten, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, nicht über die Organisationsstruktur eines Unternehmens verfügen und nicht ständig auf dem Markt tätig sind, wie Universitäten und Forschungsinstitute.

In der Folge hat der italienische Gesetzgeber seine diesbezüglichen Regelungen angepasst und die weite Definition des EuGH für den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ grds übernommen. In Art 46 Vergabegesetzbuch hat er sich hinsichtlich der Architektur- und Ingenieurdienstleistungen jedoch für eine engere Definition entschieden.

Das vorlegende Gericht fragt sich nun va, ob das Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht doch die Möglichkeit belässt, für Ausschreibungen wie hier, nämlich für die Vergabe von „Architektur- und Ingenieurdienstleistungen“, engere Definitionen zu verwenden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29227 vom 15.06.2020