News

EuGH: Vergabe – zentrale Beschaffungsstelle in „anderem Mitgliedstaat“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2014/25/EU : Art 57

Nach der Kollisionsnorm des Art 57 Abs 3 RL 2014/25/EU (SektorenRL) erfolgt die „zentrale Beschaffung durch eine zentrale Beschaffungsstelle mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat [...] gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat“.

Eine zentrale Beschaffung im Rahmen der gemeinsamen Auftragsvergabe durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten wird von einer zentralen Beschaffungsstelle „mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat“ durchgeführt, wenn der Auftraggeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Sitzes der zentralen Beschaffungsstelle hat, gegebenenfalls auch unabhängig vom Sitz einer dritten Stelle, die den Auftraggeber oder die zentrale Beschaffungsstelle beherrscht (hier: Auftraggeber mit Sitz in Bulgarien; zentrale Beschaffungsstelle mit Sitz in Österreich; beide stehen mittelbar zu 100 % im Eigentum einer AG, die wiederum zu 51 % vom Land Niederösterreich gehalten wird).

Da eine zentrale Beschaffungsstelle ihre zentralen Beschaffungstätigkeiten gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats durchzuführen hat, in dem sie ihren Sitz hat, ist es offensichtlich konsequent, ein möglicherweise eingeleitetes Nachprüfungsverfahren nach dem Recht dieses Mitgliedstaats durchzuführen und die Zuständigkeit der betreffenden Nachprüfungsstelle nach eben diesem Recht bestimmen zu lassen. Eine solche Auslegung steht auch im Einklang mit dem Ziel der SektorenRL, eine einheitliche Regelung für grenzüberschreitende zentrale Beschaffungen einzuführen. Die Kollisionsnorm des Art 57 Abs 3 SektorenRL erstreckt sich somit (wie hier) auf Nachprüfungsverfahren iSd RL 92/13/EWG [zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor] idF RL 2014/23/EU [über die Konzessionsvergabe], die diese Tätigkeiten betreffen, soweit diese zentrale Beschaffungsstelle das Vergabeverfahren durchgeführt hat.

Dies schließt nicht aus, dass gegebenenfalls zwischen dem auf das Vergabeverfahren anwendbaren Recht und dem auf die später geschlossenen Verträge anwendbaren Recht zu unterscheiden ist (hier: laut Ausschreibung war zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren das LVwG NÖ; für das „Vergabeverfahren und alle daraus erwachsenen Ansprüche“ sollte österreichisches Recht gelten, für „die Vertragsabwicklung“ bulgarisches Recht).

EuGH 23. 11. 2023, C-480/22, EVN Business Service ua

Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 23. 6. 2022, EU 2022/0012-EU 2022/0015 (Ro 2021/04/0001-0004), RdW 2022/633.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34788 vom 29.11.2023