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VO (EG) 261/2004: Art 5
Nach Art 5 Abs 3 VO (EG) 261/2004 (FluggastrechteVO) iVm deren Erwägungsgründen 14 und 15 ist das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung eines Fluges auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn „alle zumutbaren Maßnahmen“ ergriffen worden wären, und wenn es bei Eintritt eines solchen Umstands zudem nachweisen kann, dass es die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges führt.
Unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ iSd Art 5 Abs 3 FluggastrechteVO fällt die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines Flugzeugs, mit dem ein Flug durchgeführt werden soll, selbst dann, wenn das Luftfahrtunternehmen vom Hersteller des Triebwerks mehrere Monate vor dem betreffenden Flug über das Vorliegen eines derartigen Fehlers informiert wurde. Auf den Zeitpunkt, zu dem der Zusammenhang zwischen der technischen Störung und dem versteckten Konstruktionsfehler vom Flugzeughersteller, vom Triebwerkshersteller oder von der zuständigen Behörde aufgedeckt wird, kommt es nämlich nicht an, sofern der versteckte Konstruktionsfehler zum Zeitpunkt der Annullierung des Fluges vorlag und das Luftfahrtunternehmen über keine Kontrollmittel verfügte, um diesen Fehler zu beheben. Die Einstufung einer Situation wie im Ausgangsverfahren als „außergewöhnlicher Umstand“ steht auch durchaus im Einklang mit dem Ziel der FluggastrechteVO, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen: Dieses Ziel impliziert nämlich, dass für Luftfahrtunternehmen keine Anreize geschaffen werden sollten, die aufgrund eines solchen Vorfalls erforderlichen Maßnahmen zu unterlassen, indem sie der Aufrechterhaltung und der Pünktlichkeit ihrer Flüge einen höheren Stellenwert einräumen als deren Sicherheit.
EuGH 13. 6. 2024, C-411/23, D. (Vice de fabrication du moteur)
Zu einem polnischen Vorabentscheidungsersuchen.
Entscheidung
Um zu beurteilen, ob das Luftfahrtunternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ ergriffen hat, hat das vorlegende Gericht eine Gesamtwürdigung vorzunehmen und dabei im Hinblick auf die finanziellen, materiellen und personellen Mittel des Luftfahrtunternehmens zu beurteilen, ob dieses in der Lage war, Flugzeuge nach den verschiedenen bestehenden Modalitäten („Dry Lease“/„Wet Lease“) zur Verstärkung zu chartern, oder ob es unter Berücksichtigung dieser Mittel das Triebwerk im Rahmen eines Reparaturplans vorbeugend austauschen oder das Flugzeug bis zur Reparatur oder zum Austausch des Triebwerks durch den Hersteller außer Betrieb nehmen konnte. Dabei hat das vorlegende Gericht die geringe Verfügbarkeit von Ersatztriebwerken vor dem Hintergrund einer weltweiten Knappheit an Triebwerken sowie die Zeit zu berücksichtigen, die für den Einbau des neuen Triebwerks ab dem Zutagetreten des Konstruktionsfehlers erforderlich war.
Schließlich ist in Bezug auf diese Gesamtwürdigung noch darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich nichts dagegen spricht, dass ein Luftfahrtunternehmen, das über das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers des Triebwerks und dessen etwaiges Zutagetreten bei einem der von ihm betriebenen Flugzeuge informiert wird, als vorbeugende Maßnahme eine Ersatzflugzeugflotte mit der entsprechenden Besatzung in Reserve halten muss, wenn diese Maßnahme für das Unternehmen technisch, wirtschaftlich und personell tragbar ist, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Dagegen kann im Rahmen der „zumutbaren Maßnahmen“ von einem Luftfahrtunternehmen nicht verlangt werden, sein Flugnetz im Verhältnis zu seiner operativen Kapazität automatisch neu zu dimensionieren. Eine solche Maßnahme kann nämlich im Stadium der Flugplanung bedeuten, dass aufgrund des hypothetischen Zutagetretens eines Konstruktionsfehlers zahlreiche Flüge annulliert oder mit großer Verspätung angesetzt werden, was dem Luftfahrtunternehmen gegebenenfalls Opfer abverlangt, die angesichts seiner Kapazitäten nicht tragbar sind.