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EuGH: Verzinsung von Umsatzsteuerguthaben durch das Finanzamt

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

MwStSyst-RL: Art 90 und Art 183

Abstract

Werden Vorsteuerüberschüsse oder Umsatzsteuerguthaben nicht innerhalb einer angemessenen Frist vom Finanzamt ausgezahlt, muss eine Verzinsung der entsprechenden Beträge erfolgen. Auch wenn die MwStyst-RL keine Pflicht zur Zahlung von Zinsen auf Vorsteuerüberschüsse oder Umsatzsteuerguthaben vorsieht, verlangt der Grundsatz der steuerlichen Neutralität einen Ausgleich der finanziellen Verluste, die entstehen, wenn Guthaben nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet werden.

EuGH 12. 5. 2021, C-844/19, technoRent International ua

Sachverhalt

Die Entscheidung in der Rs technoRent International ua basiert auf zwei verschiedenen Revisionsverfahren vor dem VwGH (vgl dazu bereits Chroustovsky/Pollak, AVR 2020, 100 ff). Das erste Verfahren betrifft den Kläger CS. In seiner Umsatzsteuervoranmeldung für August 2007 machte dieser einen Vorsteuerüberschuss geltend. Dieser Vorsteuerüberschuss wurde nach Prüfung durch das Finanzamt mittels Bescheid reduziert. CS focht diesen Bescheid erfolgreich an und es wurde ihm schlussendlich der volle Betrag ausgezahlt. Daraufhin beantragte CS die Verzinsung dieses Vorsteuerüberschusses. Der diesbezügliche Antrag wurde aber abgewiesen und die Entscheidung durch das BFG bestätigt. Dagegen erhob CS Revision beim VwGH.

Das zweite Verfahren betraf die Gesellschaft technoRent, die in Österreich im Verkauf von Maschinen tätig ist. Da einige der verkauften Maschinen nicht oder nicht in voller Höhe bezahlt wurden, machte technoRent in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Mai 2005 eine Umsatzsteuergutschrift geltend. Das Finanzamt stellte im Rahmen einer darauffolgenden Prüfung allerdings fest, dass die Berichtigung der Bemessungsgrundlage nicht hätte vorgenommen werden dürfen und es daher auch keinen zu erstattenden Mehrwertsteuerüberschuss gebe. Das Finanzamt setzte daraufhin eine Nachforderung der Umsatzsteuer fest. Diese Entscheidung wurde erfolgreich vor dem UFS angefochten und der Betrag wurde wieder auf dem Abgabenkonto von technoRent gutgeschrieben. TechnoRent beantragte anschließend die Verzinsung dieses Betrages, dem allerdings nur teilweise stattgegeben wurde. Dagegen richtete sich die Revision von technoRent. Der VwGH ersuchte den EuGH daraufhin um Vorabentscheidung dahingehend, ob die Verzinsung eines Vorsteuerüberschusses oder eines Umsatzsteuerguthabens unionsrechtlich geboten ist [vgl VwGH 24. 10. 2019, Ro 2017/15/0035, Ro 2018/15/0026 (EU 2019/0005 bis 0006)].

Entscheidung des EuGH

Das Recht auf Vorsteuerabzug nach Art 167 ff MwStSyst-RL ist ein integraler Bestandteil des EU-Mehrwertsteuersystems und darf grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Durch den Vorsteuerabzug und die damit gegebenenfalls zusammenhängenden Erstattungen soll der Unternehmer vollständig von der aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder gezahlten MwSt entlastet werden. Den Mitgliedstaaten kommt zwar bei Festlegung der Einzelheiten für die Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art 183 MwStSyst-RL ein gewisser Spielraum zu. Bei der konkreten Ausgestaltung dieser Einzelheiten muss aber dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität Rechnung getragen werden. Der Neutralitätsgrundsatz dürfe dabei insofern nicht eingeschränkt werden, als der Steuerpflichtige schlussendlich ganz oder teilweise mit der MwSt belastet wird. Demnach muss es den Steuerpflichtigen möglich sein, unter angemessenen Bedingungen den gesamten aus dem Vorsteuerüberschuss resultierenden Forderungsbetrag zu erlangen. Die Erstattung muss damit einerseits innerhalb einer angemessenen Frist durch Zahlung flüssiger Mittel oder auf gleichwertige Weise erfolgen. Andererseits darf der Steuerpflichtige durch die mitgliedstaatlich gewählte Erstattungsmethode auch keinem finanziellen Risiko ausgesetzt werden. Erfolgt die Erstattung des Vorsteuerüberschusses nicht innerhalb einer angemessenen Frist und hätte der Steuerpflichtige in diesem Fall keinen Anspruch auf Verzugszinsen, würde dies einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz darstellen. Dies gilt auch für Erstattung eines Mehrwertsteuerguthabens aus der Verminderung der Bemessungsgrundlage nach Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL. Denn auch in diesen Fällen wird der Steuerpflichtige mit zu hoher MwSt belastet und erleidet finanzielle Verluste, weil ihm der entsprechende Betrag nicht zur Verfügung steht. Ohne Anspruch auf Verzugszinsen würde seine Situation negativ beeinträchtigt werden. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität wäre die Folge. Das nationale Gericht (VwGH) ist daher verpflichtet, durch unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts und Analogie einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen.

Conclusio

Der EuGH stellt in der Rs technoRent International ua (C-844/19) klar, dass Vorsteuerüberschüsse und Umsatzsteuerguthaben zu verzinsen sind, wenn nicht innerhalb einer angemessenen Frist eine Rückerstattung erfolgt. Damit bestätigt der EuGH die Rechtsauffassung von GA Kokott (vgl die Schlussanträge von GA Kokott, 21. 1. 2021, C-844/19). Das österreichische Recht kennt bislang keine Regelung (weder im UStG noch in der BAO), die einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf Zahlung von Zinsen vorsieht, wenn Vorsteuerüberschüsse oder Umsatzsteuerguthaben nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausgezahlt werden. Damit liegt es nun am VwGH und dem österreichischen Gesetzgeber durch unionsrechtskonforme Interpretation des nationalen Rechts und durch eine entsprechende Gesetzesänderung einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen. Für die Verzinsung kommen nach österreichischem Recht grds § 205 BAO, § 205a BAO (Basiszinssatz zzgl zwei Pozentpunkte) oder eine analoge Anwendung des Säumniszuschlages nach § 217 BAO in Betracht (vgl dazu Spies, ecolex 2012, 925 ff und Chroustovsky/Pollak, AVR 2020, 100 ff).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31341 vom 19.08.2021