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EuGH: Vorsteuerabzug aus Leistungen eines Ist-Versteuerers erst mit Zahlung

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

MwStSyst-RL: Art 66, Art 167, Art 167a, Art 168, Art 178, Art 179

Abstract

In seiner Entscheidung in der Rs Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 trifft der EuGH wesentliche Aussagen zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht nach Unionsrecht gleichzeitig mit dem Anspruch auf die abziehbare Umsatzsteuer. Das gilt − dem EuGH zufolge − auch dann, wenn der Steueranspruch gegen den Leistungserbringer aufgrund der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten erst mit Bezahlung des Preises entsteht und zwar unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger der Soll- oder Ist-Besteuerung unterliegt. Damit kann der Vorsteuerabzug vom Leistungsempfänger immer erst im Zeitpunkt der Zahlung vorgenommen werden, wenn der Leistungserbringer der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten unterliegt.

EuGH 10. 2. 2022, C-9/20, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136

Sachverhalt

Eine Grundstücksgemeinschaft in der Form einer GesbR vermietete umsatzsteuerpflichtig ein Grundstück, das sie selbst wiederum steuerpflichtig angemietet hat. Sowohl die Grundstücksgemeinschaft als Mieterin als auch ihre Vermieterin berechnen die Steuer nach vereinnahmten Entgelten. Aufgrund einer Stundungsvereinbarung zwischen den beiden Parteien leistete die Grundstücksgemeinschaft einen Teil ihrer Mieten für die Jahre 2009−2012 erst in den Jahren 2013−2016. Dabei machte sie den Vorsteuerabzug − unabhängig vom Mietzeitraum − jeweils für den Voranmeldezeitraum der jeweiligen Zahlung geltend. Im Rahmen einer Steuerprüfung vertrat die Finanzverwaltung allerdings die Auffassung, dass das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung der Umsätze entstanden sei und erließ daraufhin entsprechende Steuerbescheide. Das FG Hamburg bestätigte im darauffolgenden Verfahren zwar die Ansicht der deutschen Finanzverwaltung, hatte zugleich aber Zweifel an der unionsrechtlichen Zulässigkeit der deutschen Rechtslage. Daher stellte es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH die Frage, ob das Recht auf Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers auch dann im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistungserbringer erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist. Strittig war sohin der Zeitpunkt, zu welchem der Vorsteuerabzug ausgeübt werden muss.

Entscheidung des EuGH

In seiner Argumentation stützt sich der EuGH auf eine strenge Wortauslegung von Art 167 MwStSyst-RL. Demnach entsteht das Vorsteuerabzugsrecht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Damit knüpft Art 167 MwStSyst-RL den Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges für bezogene Leistungen an den Zeitpunkt, zu dem der entsprechende Steueranspruch gegen den Leistungserbringer entsteht. Der Steueranspruch gegen den Steuerschuldner entsteht nach Art 63 MwStSyst-RL wiederum in jenem Zeitpunkt, in dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Art 66 Abs 1 lit b MwStSyst-RL sieht allerdings dahin gehend eine Abweichung vor, als dass die Mitgliedstaaten für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten vorsehen können, wodurch der Steueranspruch spätestens bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht. Werden beide Vorschriften (Art 167 MwStSyst-RL und Art 66 Abs 1 lit b MwStSyst-RL) gemeinsam angewandt und in Einklang gebracht, muss das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers für den Fall, dass der Steueranspruch gegen den Leistungserbringer gem Art 66 Abs 1 lit b MwStSyst-RL entsteht, ebenfalls im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts durch diesen entstehen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger der Ist- oder Soll-Besteuerung unterliegt. Denn Art 167 MwStSyst-RL verlangt eine einheitliche Behandlung des Umsatzes sowohl auf Ebene des Leistungserbringers, als auch auf Ebene des Leistungsempfängers.

Conclusio

Die Entscheidung des EuGH in der Rs Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 äußert sich der EuGH zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges. Nach österreichischem Recht steht der Vorsteuerabzug unabhängig von der Besteuerung des Leistenden grds im Zeitpunkt der Leistungserbringung zu. Die österreichische Auffassung ist damit unternehmensfreundlich und führt zu einem − durch den vor Zahlung ausübbaren Vorsteuerabzug − Vorfinanzierungseffekt. Unterliegt der die Leistung erbringende Unternehmer der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten, verstößt dies allerdings gegen Unionsrecht. Es bleibt abzuwarten, welche gesetzgeberischen Konsequenzen aus der Entscheidung gezogen werden. Notwendig wird dabei jedenfalls ein zwingender Hinweis auf die Ist-Besteuerung des Leistenden in der Rechnung sein. Ansonsten wäre es für den Leistungsempfänger wohl unmöglich den korrekten Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges zu bestimmen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32291 vom 30.03.2022