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EuGH: Vorsteuerabzug für umfangreiche Umbauarbeiten an einer Immobilie

Bearbeiter: Juliane Beverungen

MwStSystRL: Art 2 Abs 1 lit a und c, Art 187, Art 189, Art 190

Abstract

Das vorliegende Urteil beschäftigt sich mit einem Rechtsstreit zwischen einer Rechtsanwaltsgesellschaft und der belgischen Steuerbehörde über die Dauer des Berichtigungszeitraums für den Vorsteuerabzug bei Renovierungsarbeiten an einem Gebäude. Während der Steuerpflichtige einen verlängerten Berichtigungszeitraum anwenden wollte, wandte die Behörde nur den Berichtigungszeitraum von fünf Jahren an. Der EuGH entschied, dass der verlängerte Berichtigungszeitraum gem Art 187 MwStSystRL auch auf Dienstleistungen anwendbar ist, die eine umfangreiche Renovierung von Gebäuden bewirken, wenn die wirtschaftliche Nutzungsdauer danach der eines neuen Gebäudes entspricht.

EuGH 12. 9. 2024, C-243/23

Sachverhalt

Die L BV ist eine belgische Rechtsanwaltsgesellschaft, die zur Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, über eine Immobilie verfügt. Zwischen 2007 und 2015 wurden umfangreiche Renovierungen an dieser Immobilie vorgenommen. Bis zum 31. 12. 2013 war die L BV nicht mehrwertsteuerpflichtig, da Belgien eine Befreiung für den Rechtsanwaltsberuf vorsah. Anfang 2014 wurde diese aufgehoben und die L BV war nunmehr mehrwertsteuerpflichtig.

Daraufhin berichtigte sie die Vorsteuerabzüge für die Renovierungsarbeiten, da sie der Auffassung war, dass der für diese Arbeiten geltende Berichtigungszeitraum noch andauere. Dabei stützte sich die L BV auf die Annahme, dass Arbeiten an Grundstücken, die als Investitionsgüter erworben wurden, einem längeren Berichtigungszeitraum von 15 Jahren nach belgischem Recht unterlägen und nicht dem üblich geltenden Berichtigungszeitraum von fünf Jahren.

Im Rahmen einer Steuerprüfung räumte die Steuerbehörde der L BV zwar grundsätzlich das Recht ein, die Vorsteuerabzüge für die Renovierung zu berichtigen, allerdings kam sie zu dem Schluss, dass die Arbeiten nicht zur Errichtung eines neuen Gebäudes geführt hätten, sondern lediglich zu einer Verbesserung und Renovierung des bestehenden Gebäudes, sodass bloß der Berichtigungszeitraum von fünf Jahren anzuwenden sei.

Hiergegen erhob die L BV Klage beim Gericht erster Instanz in Ostflandern, welches der L BV zustimmte. Daraufhin legte die Behörde Berufung beim Appellationshof Gent ein. Dieses zweifelte an der Vereinbarkeit der belgischen Regelung mit Art 187 und Art 189 MwStSystRL und setzte daher das Verfahren aus, um dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: Darf der verlängerte Berichtigungszeitraum bei Umbauarbeiten an einem bestehenden Gebäude nur dann angewendet werden, wenn nach Abschluss der Arbeiten ein neues Gebäude vorliegt, obwohl die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines bloßen Umbaus mit der eines neuen Gebäudes identisch ist? Hat Art 187 MwStSystRL unmittelbare Wirkung, sodass sich ein Steuerpflichtiger auf die Anwendung des verlängerten Berichtigungszeitraums berufen kann?

Entscheidung

Ein verlängerter Berichtigungszeitraum gem Art 187 Abs 1 Unterabs 1 MwStSystRL ist Bestandteil des Rechts auf Vorsteuerabzug. Dadurch sollen insb bei langjähriger Nutzung von Investitionsgütern ungerechtfertigte Vor- oder Nachteile für den Steuerpflichtigen vermieden werden (s EuGH 16. 6. 2016, C-229/15, Mateusiak, ECLI:EU:C:2016:454, Rn 30). Für Grundstücke, die als Investitionsgüter angeschafft wurden, erlaubt Art 187 Abs 1 Unterabs 3 MwStSystRL sogar den Berichtigungszeitraum auf bis zu 20 Jahre zu verlängern. Aus den Erwägungsgründen zur Vorgängerbestimmung in RL 95/7 geht hervor, dass der verlängerte Zeitraum in Anbetracht der wirtschaftlichen Lebensdauer von Grundstücken gewählt wurde, da diese wesentlich länger ist als die Nutzungsdauer übriger Investitionsgüter (s ErwGr 5 der RL 95/7).

Im vorliegenden Fall wurden die Bauleistungen als Dienstleistungen iSd Art 2 Abs 1 lit c MwStSystRL der Mehrwertsteuer unterworfen und nicht als Lieferung von Gegenständen iSd Art 2 Abs 1 lit a MwStSystRL. Somit können diese Arbeiten nicht unter den Begriff „Grundstücke, die als Investitionsgüter erworben wurden“ gem Art 187 Abs 1 MwStSystRL fallen. Allerdings haben die Mitgliedstaaten nach Art 190 MwStSystRL für Zwecke des Art 187 MwStSystRL die Möglichkeit Dienstleistungen, die vergleichbare Merkmale wie Investitionsgüter aufweisen, als solche zu behandeln. Von dieser Möglichkeit hat Belgien Gebrauch gemacht. Für solche kann der verlängerte Berichtigungszeitraum gem Art 190 MwStSystRL bis zu 20 Jahre lang sein, wobei Belgien hier 15 Jahre vorgesehen hat.

Unter diesen Umständen prüft der EuGH, ob Art 190 MwStSystRL den Mitgliedstaaten nicht nur das Recht einräumt Dienstleistungen Investitionsgütern gleichzustellen, sondern auch Grundstücken, die als Investitionsgüter erworben wurden. Der Wortlaut des Art 190 MwStSystRL ist allgemein gehalten und lässt den Schluss zu, dass dies der Fall ist. Art 187 Abs 1 MwStSystRL spricht ebenfalls für diese Ansicht, da Grundstücke zwar eine besondere Behandlung erfahren, allerdings weiterhin in die allgemeine Kategorie der Investitionsgüter fallen. Auch die Erwägungsgründe für die RL 2006/69 sprechen für diese Auslegung, da Dienstleistungen gleichbehandelt werden sollen, die Investitionsgütern insb unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer ähnlich sind (s ErwGr 5 der RL 2006/69). Es wäre daher inkohärent, wenn es den Mitgliedstaaten beim Gebrauch von ihrem Wahlrecht nach Art 190 MwStSystRL nicht möglich wäre, auch Dienstleistungen nach ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer zu unterscheiden und sie ggf Grundstücken gleichzustellen.

Der EuGH führt aus, dass es den Mitgliedstaaten freisteht von ihrem Wahlrecht gem Art 190 RL Gebrauch zu machen. Wenn sie davon Gebrauch machen, dann steht ihnen zwar ein Wertungsspielraum in Bezug auf die Ähnlichkeit der Merkmale zu, allerdings müssen sie dabei immer den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Somit dürfen sie bei der Umsetzung ihres Wahlrechts nicht die wirtschaftliche Nutzungsdauer außer Acht lassen. Vorliegend führten die Bauleistungen zu einer umfangreichen Renovierung des Gebäudes der L BV, was dadurch eine ähnliche wirtschaftliche Nutzungsdauer wie ein neues Gebäude hatte. Somit ähneln sie eher Grundstücken, die als Investitionsgüter erworben wurden, als anderen Investitionsgütern. Dies führt zu einer steuerlichen Ungleichbehandlung, sodass unter diesen Umständen die belgische Regelung gegen Art 190 iVm Art 187 MwStSystRL verstoßen kann.

Weiterhin führt der EuGH aus, dass eine Bestimmung nur dann unmittelbare Wirkung haben kann, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist (s EuGH 14. 5. 2024, C-15/24, Stachev, ECLI:EU:C:2024:399). Der EuGH merkt an, dass Art 190 MwStSystRL den Mitgliedstaaten lediglich ein Wahlrecht einräumt, welches wiederum vom Wahlrecht gem Art 187 Abs 1 Unterabs 3 MwStSystRL abhängig ist. Da beide Bestimmungen hinreichend genau sind, ermöglichen sie eine gerichtliche Kontrolle. Unter diesen Umständen kann Art 190 MwStSystRL unmittelbare Wirkung entfalten, sodass sich der Steuerpflichtige direkt auf ihn berufen kann.

Conclusio

Das vorliegende EuGH-Urteil beschäftigt sich mit dem verlängerten Berichtigungszeitraum für den Vorsteuerabzug bei Dienstleistungen, die wie Investitionsgüter behandelt werden. Interessant ist das Urteil besonders vor dem Hintergrund, dass es sich bei den betrachteten Art 187 und Art 190 MwStSystRL um zwei Wahlrechte für die Mitgliedstaaten handelt. Belgien hat sowohl den Berichtigungszeitraum für Grundstücke, die als Investitionsgut angeschafft wurden, auf 15 der möglichen 20 Jahre verlängert, als auch eine Regelung ins nationale Recht aufgenommen, wonach Dienstleistungen wie Investitionsgüter behandelt werden, wenn sie vergleichbare Merkmale aufweisen. Fraglich ist, ob vom EuGH die Vorlagefragen anders beantwortet worden wären, hätte Belgien von diesen Wahlrechten keinen Gebrauch gemacht.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36375 vom 07.02.2025