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EuGH zu den Begriffen „Steuerpflichtiger“ und „wirtschaftliche Tätigkeit“ im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem

Bearbeiter: Raphaela Riegler

MwStSyst-RL: Art 9 Abs 1

Abstract

Zwei Ehepartner verkauften Privatgrundstücke aus ihrer gesetzlichen Gütergemeinschaft unter Bevollmächtigung eines Geschäftsbesorgers. Dieser setzte aktive Schritte zur Vermarktung der Grundstücke und übernahm einen Teil des wirtschaftlichen Risikos. Der EuGH befasst sich in diesem Zusammenhang mit der Auslegung der Begriffe „Steuerpflichtiger“ und „wirtschaftliche Tätigkeit“ gem Art 9 Abs 1 der MwStSyst-RL. Mehrwertsteuerpflicht besteht beim Grundstücksverkauf insb dann, wenn sich eine Person ähnlicher Mittel wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleister bedient. Als Steuerpflichtiger ist zu behandeln, wer bei Durchführung der Tätigkeit nach außen als selbstständig handelnd in Erscheinung tritt und das wirtschaftliche Risiko trägt.

EuGH 3. 4. 2025, C-213/24, Grzera

Sachverhalt

Zwei Ehepartner wurden während aufrechter Ehe Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs mit mehreren Flurstücken. Nach nationalem polnischen Recht waren die Flächen daher Teil der gesetzlichen Gütergemeinschaft und konnten nur mit Zustimmung beider Ehegatten belastet oder veräußert werden. Um die Grundstücke zu verkaufen, schlossen die Ehepartner einen Vertrag mit einem gewerblichen Geschäftsbesorger und bevollmächtigten diesen, in ihren Namen zu handeln. Die Aufgaben des Geschäftsbesorgers umfassten die Aufteilung der Flurstücke in kleinere Flächen, die Eintragung dieser in Grundbuch und Kataster, die Umwidmung auf Bauland, die Erschließung, die Bewerbung und die Vorbereitung der Verkäufe. Als Vergütung wurde die Differenz aus den tatsächlich erzielten Verkaufspreisen und den im Geschäftsbesorgungsvertrag vereinbarten Preisen festgelegt.

Die nationale Steuerverwaltung sah die Verkäufe der Flächen als wirtschaftliche Tätigkeit iSd Art 9 Abs 1 der MwStSyst-RL an und stufte diese daher als mehrwertsteuerpflichtig ein. Weiters hat sie trotz gesetzlicher Gütergemeinschaft der Ehegatten jedem jeweils die Hälfte der Erlöse zugeordnet und beide gesondert als Steuerpflichtige behandelt. Einer der Ehepartner erhob dagegen Klage beim vorlegenden Gericht. Das nationale Verwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Entscheidung

Der EuGH befasste sich mit folgenden Vorlagefragen:

1. Liegt eine Ausübung einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit beim Verkauf von Grundstücken vor, obwohl diese vor dem Verkauf dem Privatvermögen angehörten und für die Verkaufsvorbereitungen ein gewerblicher Unternehmer bevollmächtigt wurde?

2. Ist der Begriff des Steuerpflichtigen gem Art 9 Abs 1 der RL so zu verstehen, dass im Falle einer gesetzlichen Gütergemeinschaft jeder Ehegatte gesondert eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt und damit als Steuerpflichtiger anzusehen ist?

Zur Beantwortung der ersten Frage verwies der EuGH auf seine Rechtsprechung zur weiten Definition der selbstständigen Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Zur Beurteilung dieser im Zusammenhang mit einem Verkauf eines Baugrundstückes stellt der EuGH auf das Setzen aktiver Schritte zur Vermarktung ab. Dabei handelt es sich insb um Erschließungs- oder Vermarktungsmaßnahmen wie sie auch ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender vornimmt und die im Regelfall bei der Verwaltung von Privatvermögen in Ausübung des Eigentumsrechtes nicht anfallen. Diese aktiven Schritte waren im vorliegenden Fall bspw durch die Aufteilung, Umwidmung, Erschließung und Bewerbung der Grundstücke gegeben.

Fraglich war hier jedoch, ob es sich dennoch um eine selbstständige Ausübung handelt, wenn diese Schritte durch einen Bevollmächtigten gesetzt wurden. Dies bejahte der EuGH in solchen Fällen, in denen die wirtschaftliche Tätigkeit im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, in eigener Verantwortung und unter Tragung des wirtschaftlichen Risikos erfolgt. Diskussionsbedarf bestand hier bei der Vergütungsregelung im Geschäftsbesorgungsvertrag, die dem Auftragnehmer einen wesentlichen Teil des Risikos überträgt. Diese sah für den Geschäftsbesorger eine variable Vergütung je nach erzieltem Preis beim Verkauf der Grundstücke vor, die Auftraggeber erhielten jedoch den im Vertrag vereinbarten Preis. Zwar verringerte die Vergütungsvereinbarung im Geschäftsbesorgungsvertrag laut dem EuGH das wirtschaftliche Risiko des Eigentümers, das endgültige wirtschaftliche Risiko verwirklichte sich aber erst beim Nichtverkauf der Grundstücke, wenn kein Käufer gefunden werden konnte. Das vorlegende Gericht hat also in dieser Hinsicht noch zu prüfen, ob der Auftraggeber oder der Auftragnehmer dieses Risiko trägt.

Alleine die Tatsache, dass ein körperlicher Gegenstand ursprünglich dem Privatvermögen angehörte, schließt die anschließende Nutzung zur Ausübung einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nach der EuGH-Rechtsprechung nicht aus und vermag am Ergebnis nichts zu ändern.

Hinsichtlich der zweiten Frage, hielt der EuGH fest, dass unter den Begriff des Steuerpflichtigen natürliche und juristische Personen, öffentliche und private Einrichtungen sowie Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit fallen können. Ausschlaggebend dabei ist, wer die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Zur Beurteilung können im vorliegenden Fall die Vorschriften des nationalen Familien- und Pflegschaftsgesetzbuches herangezogen werden und die darin vorgesehenen Bestimmungen zur Gütergemeinschaft. Jedenfalls unerheblich ist aber die Tatsache, dass ein Gegenstand zur gesetzlichen Gütergemeinschaft gehört. Dennoch kann auch nur einer der Ehepartner gesondert die wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dessen ungeachtet erfordert das nationale Recht die Zustimmung beider Ehegatten zum Verkauf einer Immobilie aus der Gütergemeinschaft. Das vorlegende Gericht hat im nachfolgenden Verfahren daher zu beurteilen, ob die Ehegatten gemeinsam gehandelt haben und nach außen aufgetreten sind.

Conclusio

Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Verkauf privater Grundstücke Mehrwertsteuerpflicht begründen kann, wenn dabei aktive Schritte zur Vermarktung gesetzt werden, die über das hinausgehen, was bei der Verwaltung von Privatvermögen üblicherweise vorgenommen wird. Die Bevollmächtigung eines Geschäftsbesorgers schließt eine selbstständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht aus. Als Steuerpflichtiger iSd MwStSyst-RL wird verstanden, wer nach außen handelt und das wirtschaftliche Risiko trägt. Steuerpflichtiger kann auch die gesetzliche Gütergemeinschaft sein, die Zugehörigkeit eines Gutes zur Gemeinschaft führt aber nicht zwangsläufig dazu.

Dem vorliegenden Fall kann für die Auslegung der selbstständigen Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit auch für österreichische Fälle etwas abgewonnen werden, bspw wenn in Bevollmächtigungsverträgen ähnliche Konstellationen der Risikotragung vorgesehen sind. Wird eine steuerbare Leistung identifiziert, sieht das österreichische UStG in § 6 Z 9 lit a eine unechte Steuerbefreiung für die Lieferung von Grundstücken vor. Diese Befreiung geht unionsrechtskonform über das hinaus, was in Art 135 Abs 1 lit j MwStSyst-RL vorgesehen ist (Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz: Kommentar6 [2024] § 6 Rz 196).

In Österreich wird der Steuerpflichtige in der Umsatzsteuer als Unternehmer bezeichnet. Das UStG stellt aber ebenso wie die MwStSyst-RL und der EuGH für die Steuerpflicht auf die ausgeführte Tätigkeit ab. In Bezug auf die Gütergemeinschaft der Ehegatten wird in Österreich bereits das vom EuGH erzielte Ergebnis vertreten. Treten die Ehepartner nach außen gemeinsam auf, bspw in Form einer GesbR, ist auch diese Gemeinschaft als Steuerpflichtiger anzusehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36835 vom 13.06.2025