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MwStSyst-RL: Art 2 Abs 1 lit a, Art 9 Abs 1, Art 14 Abs 2 lit a
Abstract
Der EuGH hatte anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Verwaltungsgerichts aus Polen die Frage zu beantworten, ob ein umsatzsteuerpflichtiger Landwirt Umsatzsteuer auf die Entschädigungszahlung für die Enteignung eines Grundstücks für den Straßenbau abzurechnen hat. Nach Ansicht des EuGH ist ein solcher Vorgang umsatzsteuerpflichtig, auch wenn der Landwirt keine Tätigkeit im Immobilienhandel ausübt und die Eigentumsübertragung gegen seinen Willen erfolgt ist.
EuGH 11. 7. 2024, C-182/23, Makowit
Sachverhalt
JS führte seit 2001 einen landwirtschaftlichen Betrieb in Polen. Seit 2013 war er als Unternehmer zur Umsatzsteuer (USt) registriert. 2003 und 2015 erwarb er jeweils Grundstücke zur Vergrößerung des Betriebs, wobei auf diesen Erwerb keine USt gezahlt wurde und somit auch kein Vorsteuerabzug stattfand. 2017 wurde JS im Ausmaß eines Teils der Grundstücke durch den polnischen Staat enteignet, sodass hierauf Straßen errichtet werden konnten. In einem Steuervorbescheid beantragte JS die Klärung der Fragen, ob er aufgrund der Enteignung als umsatzsteuerpflichtig anzusehen und auf die Entschädigungszahlung USt zu entrichten war. Die Steuerbehörde bejahte beide Fragen.
Diesen Steuervorbescheid focht JS vor einem erstinstanzlichen polnischen Gericht an, welches seinem Rechtsbehelf stattgab und den Bescheid aufhob. Dagegen legte die Steuerbehörde Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht in Polen ein. Dieses beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die folgende Frage vorzulegen: „Lässt Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie zu, dass ein Landwirt, der Mehrwertsteuerpflichtiger nach den allgemeinen Regelungen ist und das Eigentum an einem Grundstück im Wege der Enteignung gegen Zahlung einer Entschädigung im Zusammenhang mit einer Nutzungsänderung hin zu nicht landwirtschaftlichen Zwecken auf den Fiskus überträgt, allein deshalb als Steuerpflichtiger angesehen wird, der Mehrwertsteuer in Bezug auf diese Lieferung abzurechnen hat, weil das Grundstück für die Zwecke einer mehrwertsteuerpflichtigen landwirtschaftlichen Tätigkeit genutzt wurde?“
Entscheidung des EuGH
Der EuGH formuliert zunächst die Vorlagefrage dahin gehend um, „ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Übertragung des Eigentums an landwirtschaftlichen Grundstücken im Wege der Enteignung gegen Zahlung einer Entschädigung an den Eigentümer dieser Grundstücke der Mehrwertsteuer unterliegen muss, wenn es sich bei diesem Eigentümer um einen mehrwertsteuerpflichtigen Landwirt handelt, auch wenn dieser keine Tätigkeit im Immobilienhandel ausübt und nichts unternommen hat, was auf eine solche Eigentumsübertragung abzielen würde.“ Diese Leistung ist dann nach Art 2 Abs 1 lit a MwStSyst-RL steuerbar, wenn einerseits eine „Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt“ und andererseits ein „Steuerpflichtiger als solcher“ vorliegen.
Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt: Nach der lex specialis für Enteignungen in Art 14 Abs 2 lit a MwStSyst-RL muss im Falle der Enteignung eine Übertragung des Eigentumsrechts stattfinden, die aufgrund behördlicher Anordnung oder kraft Gesetzes vorgenommen und für die eine Entschädigung gezahlt wurde, damit eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliegt (EuGH 13. 6. 2018, C-665/16, Gmina Wrocław, Rn 37; 25. 2. 2021, C-604/19, Gmina Wrocław, Rn 56). Dass die ersten beiden Voraussetzungen erfüllt sind, ergibt sich aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts. Damit die dritte Voraussetzung erfüllt ist, muss die in Rede stehende Entschädigung unmittelbar mit der Übertragung des Eigentums verbunden und tatsächlich geleistet worden sein (EuGH 25. 2. 2021, C-604/19, Gmina Wrocław, Rn 61 mwN). Die Verbindung mit der Übertragung des Eigentums ergibt sich ebenfalls aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts. Wurde die Entschädigung tatsächlich geleistet, was das vorlegende Gericht noch zu prüfen hat, liegt nach Ansicht des EuGH daher eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vor.
Steuerpflichtiger als solcher: JS ist als Umsatzsteuerpflichtiger registriert, handelt aber nur dann auch als solcher, wenn er dies im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit tut und somit auch dann, wenn er ein Grundstück überträgt, das er im weitesten Sinn für diese wirtschaftliche Tätigkeit verwendet hat (EuGH 13. 8. 2018, C-421/17, Polfarmex, Rn 37 mwN, 42). Aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts geht hervor, dass die enteigneten Grundstücke Vermögenswerte des Unternehmens von JS waren. Daher hat JS als Stpfl gehandelt, auch wenn er keine Tätigkeit im Immobilienhandel ausübt und er hierzu nichts unternommen hat. Würde die zusätzliche Voraussetzung bestehen, dass aktive Schritte des Stpfl verlangt werden, wäre dies nicht im Einklang mit der praktischen Wirksamkeit des Art 14 Abs 2 lit a MwStSyst-RL, der sich definitionsgemäß auf die Eigentumsübertragung aufgrund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes bezieht (EuGH 25. 2. 2021, C-604/19, Gmina Wrocław, Rn 56). Wird allerdings festgestellt, dass JS den Umsatz nicht im Rahmen des landwirtschaftlich genutzten Teils seines Vermögens getätigt hat, wäre er nicht umsatzsteuerplichtig.
Im Ergebnis stellt der EuGH daher fest, dass „eine Übertragung des Eigentums an landwirtschaftlichen Grundstücken im Wege der Enteignung gegen Zahlung einer Entschädigung an den Eigentümer dieser Grundstücke der Mehrwertsteuer unterliegen muss, wenn dieser Eigentümer ein mehrwertsteuerpflichtiger Landwirt ist, der als solcher handelt, auch wenn er keine Tätigkeit im Immobilienhandel ausübt und nichts unternommen hat, was auf eine solche Eigentumsübertragung abzielen würde.“
Conclusio
Das Umformulieren der Vorlagefrage durch den EuGH ist dadurch begründet, dass nach dessen Ansicht nicht die Frage nach der Unternehmereigenschaft von JS entscheidend war, sondern, ob in Form der Enteignung des Grundstücks eine steuerbare Lieferung iSd Art 14 Abs 2 lit a MwStSyst-RL vorgelegen ist (Huschens, Eigentumsübertragung an landwirtschaftlichen Grundstücken durch Enteignung gegen Entschädigung als steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen, UStB 2024, 229 [231 f]). ME kann aber durchaus kritisch hinterfragt werden, ob ein enteigneter Unternehmer tatsächlich auch als solcher tätig wird.
Ähnlich wie etwa auch in Deutschland (hierzu Klein, Steuerbarkeit einer Entschädigung für Grundstücksenteignung – J.S., MwStR 2024, 850 [853]) wird Art 14 Abs 2 lit a MwStSyst-RL in Österreich nicht als Sonderform der Lieferung in § 3 UStG umgesetzt. Stattdessen normiert § 1 Abs 1 Z 1 Satz 2 UStG, dass die Steuerbarkeit einer Lieferung oder sonstigen Leistung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt. Unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben sich hierdurch nicht, weswegen diese Art der Umsetzung wohl unionsrechtskonform ist (zur vergleichbaren deutschen Rechtslage mit der Umsetzung des Art 14 Abs 2 lit a MwStSyst-RL in § 1 Abs 1 Nr 1 Satz 2 dUStG Klein, MwStR 2024, 850 [853 f], der diese für unionsrechtskonform befindet). Die Steuerbarkeit der Entschädigungszahlungen für Enteignungen entspricht auch der Verwaltungspraxis (siehe UStR 2000 Rz 20).