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EuGH zu Zinsen bei einer Mehrwertsteuererstattung

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 173

MwStSyst-RL: Art 183

Abstract

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob die Steuerverwaltung eine Pflicht zur Zahlung von Zinsen an einen Steuerpflichtigen hat, wenn eine Mehrwertsteuererstattung erfolgt, die auf Fehlern in der Buchführung des Steuerpflichtigen fußt. Als Folge dieser Fehler wurde nämlich das Recht auf Vorsteuerabzug durch den Steuerpflichitgen nicht vollständig ausgeübt. Fraglich war insbesondere, für welchen Zeitraum Zinsen zu zahlen sind.

EuGH 22. 2. 2024, C-674/22, Gemeente Dinkelland

Sachverhalt

Die niederländische Gemeinde Dinkelland übt sowohl wirtschaftliche als auch nicht wirtschaftliche Tätigkeiten aus. Hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ist die Gemeinde als Steuerpflichtige iSd Art 9 MwStSyst-RL einzuordnen, weshalb für diese Tätigkeit ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht. Hinsichtlich der nicht wirtschaftlichen Tätigkeit besteht ein solches Recht nicht. Für die Gemeinkosten, die keiner Tätigkeit unmittelbar zuzurechnen sind, kann teilweise ein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Dieser Teil ergibt sich aus dem Verhältnis der wirtschaftlichen zu den nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten. Für die Jahre 2012-2016 entrichtete die Gemeinde Mehrwertsteuer für die im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeiten erbrachten Leistungen und machte den Vorsteuerabzug für damit zusammenhängende Eingangsleistungen und aliquot für die Gemeinkosten geltend. Im Jahr 2016 kam es zu einer Änderung der nationalen (niederländischen) Vorschriften über die Buchführung der Gemeinden. Im Rahmen dieser Änderung veranlasste die Gemeinde eine Prüfung ihrer Buchführung, die Fehler bei der bisherigen Einordnung bestimmter erbrachter Leistungen erkennen ließ. Die Berichtigung der Bücher führte in weiterer Folge zu einer Neuberechnung der geschuldeten Mehrwertsteuer für die Jahre 2012-2016. Auf dieser Grundlage beantragte die Gemeinde am 29. 9.2017 eine Mehrwertsteuererstattung.

Mit Bescheid vom 1. 7. 2020 gewährte die Steuerverwaltung diese Erstattung und darüber hinaus Zinsen für den Zeitraum, der acht Wochen nach Eingang des Erstattungsantrages begann und 14 Tage nach Bekanntgabe des Erstattungsbescheides endete. Daraufhin beantragte die Gemeinde, dass die Zinsen ab dem Tag der Zahlung der Mehrwertsteuer berechnet werden. Dabei stützte sich die Gemeinde auf eine nationale Bestimmung, die für einen derartigen Zinsanspruch voraussetzt, dass die Steuer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurde. Die Steuerverwaltung verneinte einen Verstoß gegen das Unionsrecht, woraufhin die Gemeinde Beschwerde erhob. Das angerufene Gericht wandte sich daraufhin mit der Frage an den EuGH, für welchen Zeitraum Zinsen zu zahlen sind.

Entscheidung des EuGH

Zunächst führt der EuGH aus, dass bei unionsrechtswidriger Erhebung von Steuern neben der Erstattung der Steuer auch ein Zinsanspruch besteht. Dieser Anspruch entsteht an dem Tag, an dem die Steuer zu Unrecht erhoben wurde und endet sobald die Steuer inkl Zinsen erstattet wurde. Damit ein derartiger Zinsanspruch besteht, müssen – so der EuGH – zwei Voraussetzungen erfüllt sein: (1) Die Steuer wurde erhoben. (2) Die Erhebung verstößt gegen das Unionsrecht.

Im vorliegenden Fall ergibt sich die Mehrwertsteuererstattung zum Teil daraus, dass für nicht steuerbare Leistungen fälschlicherweise Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt wurde. Zum Teil ergibt sich die Erstattung aber auch aus einem rückwirkend veränderten Vorsteuerschlüssel. Bezüglich der ersten genannten Voraussetzung – der Erhebung der Steuer – führt der EuGH aus, dass ein Betrag, der von einem MS vereinnahmt wird, weil der Steuerpflichtige sein Recht auf Vorsteuerabzug nicht ausgeübt hat, als „erhoben“ gilt. Gleiches gilt für den Teil der Steuer, der aufgrund der Rechnung abgeführt wurde. Zur zweiten Voraussetzung – dem Verstoß gegen das Unionsrecht – führt der EuGH aus, dass Beträge, die in Rechnung gestellt werden, nach Art 203 MwStSyst-RL der Umsatzsteuer unterliegen. Folglich verstößt das Erheben der in der Rechnung fälschlicherweise ausgewiesenen Steuer nicht gegen das Unionsrecht. Sollte vom Steuerpflichtigen zudem ein falscher Vorsteuerschlüssel berechnet werden und daher das Recht auf Vorsteuerabzug nicht zur Gänze ausgeübt werden, ist laut dem EuGH ebenso wenig von einem Verstoß gegen das Unionsrecht auszugehen. Ein Verstoß wäre nämlich nur dann denkbar, wenn die nationalen Vorschriften, nach denen der Vorsteuerschlüssel berechnet wird, nicht mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Diesbezüglich finden sich im vorliegenden Fall allerdings keine Anhaltspunkte.

Zuletzt führt der Gerichtshof aus, dass auch ohne Verstoß gegen das Unionsrecht eine Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen besteht. Dies allerdings nur dann, wenn die Steuer nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird. Im vorliegenden Fall sieht die von der Steuerverwaltung angewandte Vorschrift vor, dass Zinsen für den Zeitraum zu zahlen sind, der 8 Wochen nach Einbringung des Erstattungsantrags beginnt und 14 Tage nach dem Erstattungsbescheid endet. Der EuGH führt diesbezüglich aus, dass eine 8-wöchige Bearbeitungsfrist für die Behörden nicht unangemessen ist.

Conclusio

Art 183 MwStSyst-RL sieht grundsätzlich vor, dass die Mitgliedstaaten ein Mehrwertsteuerguthaben entweder in den folgenden Zeitraum vortragen oder erstatten müssen. Diesbezüglich hält der EuGH in stRsp (EuGH 12. 5. 2021, C-844/19, technoRent International u.a., Rn 40) fest, dass nicht bloß die Steuerbeträge zu erstatten sind, sondern auch Beträge, die unmittelbar damit zusammenhängen. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen. Diese mangelnde Verfügbarkeit soll durch einen Zinsanspruch ausgeglichen werden. Der EuGH hielt in der vorliegenden Entscheidung fest, dass zwei unterschiedliche Zeiträume für den Zinsanspruch relevant sein können. Wurde die Mehrwertsteuer unionsrechtswidrig erhoben, beginnt der Zeitraum mit unionsrechtswidriger Erhebung und endet erst mit Erstattung. Sollte die Steuer allerdings nicht unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden sein, besteht ein Zinsanspruch erst, wenn die Steuer nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird. Eine 8-wöchige Frist ist – so der EuGH – als angemessen anzusehen.

In Österreich wurde im Rahmen des AbgÄG 2022 in § 205c BAO ein Zinsanspruch für Gutschriften und Nachzahlungen von Umsatzsteuerbeträgen normiert. Demnach gibt es unterschiedliche Anspruchsgrundlagen, wobei allen gemein ist, dass der Zeitraum des Zinsanspruches 91 Tage nach dem Erstattungsantrag (Voranmeldung) zu laufen beginnt. Vor dem Hintergrund der gegenständlichen Entscheidung ist insbesondere fraglich, ob diese 91-tägige – und somit 13-wöchige – Frist in § 205c BAO noch als angemessen anzusehen ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35507 vom 05.06.2024