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MwStSyst-RL: Art 2 Abs 1 lit c
Abstract
Im vorliegenden Urteil setzt sich der EuGH mit dem Anwendungsbereich der MwSt gem Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL auseinander. Im durch den österreichischen OGH eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren geht es um die Frage, ob eine Zahlung gem § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB Entgelt für eine Dienstleistung ist und diese somit der MwSt unterliegt. § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB sieht eine Zahlungspflicht des Werkbestellers vor, wenn die Ausführung des Werkes aus von ihm zu vertretenden Gründen unterbleibt, obwohl der Werkunternehmer zur Leistung bereit war.
EuGH 28. 11. 2024, C-622/23, rhtb: projekt gmbh
Sachverhalt
Im März 2018 schlossen die österreichischen Gesellschaften rhtb: projekt GmbH (im Folgenden: „rhtb“) und Parkring 14-16 Immobilienverwaltung GmbH (im Folgenden: „Parkring“) einen Werkvertrag ab, wonach sich rhtb verpflichtete, den Bau eines Immobilienprojekts durchzuführen. Nach Beginn der Arbeiten trat Parkring im Juni 2018 vom Vertrag ungerechtfertigt zurück. Gem § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB klagte rhtb Parkring auf Zahlung des vereinbarten Werklohns abzüglich der Aufwendungen, die rhtb wegen der ungerechtfertigten Beendigung des betreffenden Werkvertrags erspart hatte. In der Klagssumme war die MwSt auch enthalten. Während das erstinstanzliche Gericht der Klage stattgab, änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung ab und urteilte, dass der zu zahlende Betrag mangels Leistungsaustauschs zwischen den Parteien nicht der MwSt unterlag. Der Fall gelangte zum OGH, welcher Zweifel ob der Steuerbarkeit der an rhtb zu leistenden Zahlung hegte. Nach Aussetzung des Verfahrens legte der OGH dem EuGH die Frage vor, ob der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks wegen vom Werkbesteller zu vertretenden Umständen unterbleibt, iSd Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL mehrwertsteuerpflichtig ist.
Entscheidung des EuGH
Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL definiert den Anwendungsbereich der MwSt und besagt, dass der MwSt Dienstleistungen gegen Entgelt unterliegen. Im Sinne der Tolsma-Rsp wird eine Dienstleistung dann gegen Entgelt erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden (EuGH 3. 3. 1994, C-16/93, Tolsma, Rn 14; s weiters EuGH 11. 6. 2020, C-43/19, Vodafone Portugal, Rn 31; 22. 11. 2018, C-295/17, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia, Rn 39; 23. 12. 2015, C-250/14 und C-289/14, Air-France-KLM Kund Hop!-Brit Air, Rn 22; 18. 7. 2007, C-277/05, Société thermale d’Eugénie-les-Bains, Rn 19 ua). Zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem tatsächlich erhaltenen Gegenwert (Anm: und umgekehrt, zwischen dem entrichteten Preis und dem erhaltenen Gegenwert) muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Der Gegenwert des Preises, der aufgrund eines Dienstleistungsvertrags zu entrichten ist, ist das Recht des Kunden, die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Ob der Kunde dieses Recht tatsächlich wahrnimmt, ist für den unmittelbaren Zusammenhang keine Voraussetzung (s ua EuGH 11. 6. 2020, C-43/19, Vodafone Portugal, Rn 32). Aus der EuGH-Rsp ergibt sich, dass ein im Vorhinein festgelegter Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer bestimmten Laufzeit bezieht und der dem Betrag entspricht, den der Wirtschaftsteilnehmer ohne die vorzeitige Beendigung erhalten hätte, als Entgelt der MwSt unterliegt (EuGH 11. 6. 2020, C-43/19, Vodafone Portugal, Rn 33; 3. 7. 2019, C‑242/18, UniCredit Leasing, Rn 70). Die gleiche Erwägung gilt für den Anlassfall, in dem der Leistende die Ausführung der betreffenden Dienstleistung begonnen hatte und bereit war, sie für den vertraglich vereinbarten Betrag fertigzustellen. rhtb versetzte den Empfänger nicht nur in die Lage, die Dienstleistung zu beanspruchen, sondern sie hatte einen Teil dieser Leistung tatsächlich erbracht und sie war bereit sie fertigzustellen.
Im Verfahren vor dem EuGH wurde gegen die steuerpflichtige Behandlung des an rhtb zu zahlenden Betrags mit Verweis auf die Rs Société thermale vorgebracht, dass der zu zahlende Betrag eine pauschale Entschädigung für den Schaden darstelle, der dem Dienstleister dadurch entstanden ist, dass der Empfänger den Vertrag beendet hat. Nach dem EuGH ist (in der Rs Société thermale) ein Angeld zum Ausgleich jenes Schadens, der einem Dienstleister aufgrund der Stornierung durch einen Gast entsteht, eine nicht mehrwertsteuerpflichtige pauschale Entschädigung (EuGH 18. 7. 2007, C-277/05, Société thermale d’Eugénie-les-Bains, Rn 36). Im vorliegenden Urteil zeigt der EuGH die wesentlichen Unterschiede gegenüber der Rs Société thermaleauf. Erstens ergibt sich eine Reservierungsverpflichtung des Dienstleisters aus dem Beherbergungsvertrag selbst und nicht aus einem geleisteten Angeld. Das Angeld ist somit keine Gegenleistung für eine eigenständige und bestimmbare Leistung eines Hotelbetreibers. Dies wird auch durch den Umstand bestätigt, dass das Angeld auf den Preis des Zimmers angerechnet wird, wenn das Zimmer tatsächlich genutzt wird (EuGH 18. 7. 2007, C-277/05, Société thermale d’Eugénie-les-Bains, Rn 26). Zweitens muss der Hotelbetreiber das Doppelte des als Angeld geleisteten Betrags zurückzahlen, wenn er den Vertrag nicht erfüllt. In einem solchen Fall erbringt der Gast offensichtlich keine Leistung an den Hotelbetreiber. Das Angeld kann dann keine Gegenleistung sein, weil ihm keine Leistung gegenübersteht. Im Gegensatz dazu liegt im vorliegenden Fall eine bestimmbare Leistung vor (Bau eines Immobilienprojekts). Der Leistende (rhtb) hatte außerdem mit den vereinbarten Arbeiten begonnen und war bereit, diese vollständig auszuführen, um den Vertrag ordnungsgemäß zu beenden. Die Zahlung gem § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB spiegelt das vertraglich vereinbarte Entgelt für die fraglichen Leistungen wider (unmittelbarer Zusammenhang) und sichert dem Leistenden darüber hinaus eine vertragliche Mindestvergütung.
Der EuGH legte Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL dahin aus, dass der Betrag, der geschuldet wird, weil der Empfänger einen Werkvertrag – zu dessen Ausführung der Dienstleister bereit war – (ungerechtfertigt) beendigt hat, als Entgelt für eine Dienstleistung anzusehen ist und somit mehrwertsteuerpflichtig ist.
Conclusio
Im vorliegenden Urteil ergänzt der EuGH seine Rsp zur Frage des Leistungsaustauschs. Dass vertraglich vereinbarte Straf- oder Entschädigungszahlungen für den Fall der Verletzung vertraglicher Pflichten oder der vorzeitigen Auflösung, oder dass Zahlungen ohne tatsächliche Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistung steuerbar sind, hat der EuGH bereits in mehreren Urteilen bejaht (s zur Verletzung vertraglich vereinbarter Pflichten: EuGH 20. 1. 2022, C-90/20, Apcoa Parking; zum [vorzeitiger] Rücktritt: EuGH 22. 11. 2018, C-295/17, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA; zur fehlenden Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistung EuGH: EuGH 23. 12. 2015, C-250/14 und C-289/14, Air France-KLM und Hop!‑Brit Air; s auch Beiser, Vertragsstrafen, Prämien, Reugeld und Angeld in der Umsatzsteuer, RdW 2008, 550; Komár, Von Leistungsaustausch, Entgeltlichkeit und Vertragsstrafen im Umsatzsteuerrecht – das EuGH-Urteil in der Rs Apcoa Parking, ÖStZ 2023/495, 500). Im gegenständlichen Urteil bestätigt der EuGH, dass eine bei (ungerechtfertigtem) Rücktritt gesetzlich vorgeschriebene Zahlung (im Anlassfall gem § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB) ein Entgelt für eine Dienstleistung darstellt. Daher ist diese Zahlung gem Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL mehrwertsteuerpflichtig. Die Auffassung des EuGH steht im Einklang mit der Literaturmeinung, wonach ein Leistungsaustausch gegeben ist, wenn eine Partei, die vom Vertrag vorzeitig zurücktritt, zahlungspflichtig ist und die andere Partei bereits eine (Teil-)Leistung erbracht hat (s Borns/Coenen, Vorabentscheidungsersuchen des OGH: Umsatzsteuerbarkeit eines Entgeltsanspruches nach § 1168 ABGB und verfahrensrechtliche Folgefragen, ÖStZ 2024, 272 [276]; Achatz, Umsatzsteuer und Schadenersatz 87). Nach der EuGH-Rsp wird eine Dienstleistung bereits dadurch erbracht, dass der Leistende den Leistungsempfänger in die Lage versetzt, die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (s EuGH 23. 12. 2015, C-250/14 und C-289/14, Air France-KLM und Hop!-Brit Air, Rn 28; 22. 11. 2018, C-295/17, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA, Rn 40). Damit im Einklang steht die Rsp des VwGH, wonach der Leistende bereits durch seine Leistungsbereitschaft und die Möglichkeit der Inanspruchnahme eine Dienstleistung erbringt (VwGH 4. 6. 2008, 2005/13/0128; 24. 11. 1998, 98/14/0033 und 0034; 19. 5. 2002, 97/14/0133).