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EuGH zum Leistungsort bei grenzüberschreitenden Versicherungsdienstleistungen

Bearbeiter: Franz Wallig

MwStSyst-RL: Art 59 lit c

Abstract

In der Rs Uniqa Asigurari befasste sich der EuGH mit der Frage, ob Versicherungsdienstleistungen, die von einer Partnergesellschaft einer inländischen Versicherung im (EU-)Ausland an Nichtunternehmer erbracht werden, unter die besonderen Leistungsortbestimmungen des Art 59 lit c MwStSyst-RL fallen. Auf Basis dieser Regelung verschiebt sich der Leistungsort für sonstige Leistungen ins Inland, wenn es sich bei den Leistungen um „Dienstleistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Dienstleistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen“ gem Art 59 lit c MwStSyst-RL handelt.

EuGH 1. 8. 2022, C-267/21, Uniqa Asigurari

Sachverhalt

Die Uniqa Asigurari SA bietet in Rumänien Versicherungspolizzen an, die das Risiko von Autounfällen und medizinischen Kosten abdecken, die außerhalb des Hoheitsgebietes von Rumänien eingetreten sind. Dazu hat die Versicherung Partnerschaftsverträge mit 26 Gesellschaften mit Sitz außerhalb des rumänischen Hoheitsgebietes abgeschlossen, welche im Falle von Unfällen die Bearbeitung der Entschädigungsanträge übernehmen. Bei Sachschäden bis zu € 15.000 können die Partnergesellschaften selbst über die Genehmigung der Entschädigungsanträge entscheiden. Für die Entscheidungsfindung bei Sachschäden über € 15.000 ist eine verpflichtende Zusammenarbeit mit der Uniqa Asigurari SA vorgesehen. Lediglich die Krankenversicherungen werden zur Gänze von einem anderen Unternehmen verwaltet und sehen keine Einbeziehung der Uniqa Asigurari SA vor. Die Leistungen der Partnergesellschaften werden dabei immer im Namen und auf Rechnung der Uniqa Asigurari SA an die versicherten Nichtunternehmer erbracht.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung über den Zeitraum von 2007-2011 wurde von der rumänischen Finanzverwaltung vorgebracht, dass es sich bei den erbrachten Versicherungsleistungen um „Dienstleistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Dienstleistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen“ gem Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL (der Vorgängerbestimmung zu Art 59 lit c MwStSyst-RL in der aktuellen Fassung) handelt. Für die Erbringung solcher Leistungen an Nichtunternehmer sah Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL die Verschiebung des Leistungsortes vom (EU-) Ausland ins Inland vor, weswegen die rumänischen Finanzbehörden für die gesamten Leistungen der Partnerunternehmen rumänische Umsatzsteuer festsetzten. Uniqa Asigurari SA war der Meinung, dass die durch die Partnergesellschaften erbrachten Leistungen keine Leistungen iSd Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL darstellen und legte daraufhin Revision beim obersten rumänischen Gerichtshof ein, welcher die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegte.

Entscheidung des EuGH

Mit seiner Vorlagefrage befragte das rumänische Höchstgericht den EuGH, ob Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL dahin gehend auszulegen ist, dass die von Drittgesellschaften im Namen und auf Rechnung einer Versicherungsgesellschaft erbrachten Dienstleistungen der Schadenregulierung zu den in dieser Bestimmung angeführten „Dienstleistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige[n] ähnliche[n] Dienstleistungen sowie [zur] Datenverarbeitung und [zur] Überlassung von Informationen“ gehören. Im Fall der Nichtanwendbarkeit von Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL liegt der Leistungsort nach den allgemeinen Leistungsortregelungen der MwStSyst-RL im Sitzstaat der leistungserbringenden Drittgesellschaft und die Leistung unterliegt der ausländischen Umsatzsteuer. Sofern der EuGH die Versicherungsleistungen unter Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL subsumiert, liegt der Leistungsort im Wohnsitzstaat des leistungsempfangenden Nichtunternehmers und die Leistung ist mit rumänischer Umsatzsteuer zu besteuern.

Der EuGH hat daher einzeln geprüft, ob die Versicherungsdienstleistungen unter die in Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL genannten Dienstleistungen subsumiert werden können. Betreffend die Leistungen von Ingenieuren wurde festgestellt, dass diese nicht nur darauf abzielen, Kenntnisse und bestehende Prozesse auf konkrete Probleme anzuwenden, sondern auch darauf, neue Kenntnisse zu erwerben und neue Prozesse zur Lösung von Problemen zu entwickeln (vgl EuGH 7. 10. 2010, C-222/09, Kronospan Mielec, Rn 21). Die Dienstleistungen der Schadenregulierung und der Patientenverwaltung gehören nicht zu den vorgenannten Leistungen, da sie nicht im Rahmen der gewöhnlichen Tätigkeit eines Ingenieurs erbracht werden und idR keine neuen Kenntnisse erworben oder neue Prozesse eingesetzt werden.

Zu den im Rahmen des Anwaltsberufs erbrachten Leistungen wurde vom EuGH festgestellt, dass sie hauptsächlich und gewöhnlich die Vertretung und Verteidigung der Interessen eines Mandanten zum Gegenstand haben, was im Allgemeinen in einem Kontext der Auseinandersetzung und in Gegenwart widerstreitender Interessen stattfindet (vgl EuGH 16. 9. 1997, C‑145/96, von Hoffmann, Rn 17, und EuGH 6. 12. 2007, C‑401/06, Kommission/Deutschland, Rn 36 und 37). Diese Leistungen sind durch Ihren Beitrag zur Rechtspflege gekennzeichnet. Ein solcher Beitrag wird jedoch im Rahmen der Schadenregulierung und Patientenverwaltung nicht geleistet.

Dienstleistungen der Schadenregulierung und der Patientenverwaltung entsprechen nicht den Leistungen, die hauptsächlich und gewöhnlich von einem Berater, von einem Studienbüro oder von einem Buchprüfer erbracht werden. Insb setzen Dienstleistungen der Schadenregulierungen im Namen und für Rechnung einer Versicherungsgesellschaft im Gegensatz zu Beratungsdienstleistungen die Ausübung einer Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Gewährung einer Entschädigung oder deren Ablehnung voraus, was nicht unter den Begriff Beratungsdienstleistungen eingeordnet werden kann.

Aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit mit den oben genannten Dienstleistungen und aufgrund der Tatsache, dass die Leistungen über eine reine Datenverwaltung oder Überlassung von Informationen weit hinausgehen, war auch eine Subsumtion unter „sonstige ähnliche Leistungen“ aus Sicht des EuGH nicht möglich. Dementsprechend war Art 56 Abs 1 lit c MwStSyst-RL dahin gehend auszulegen, dass die von Drittgesellschaften im Namen und für Rechnung einer Versicherungsgesellschaft erbrachten Dienstleistungen nicht vom Wortlaut „Dienstleistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Dienstleistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen“ erfasst sind.

Conclusio

Art 56 Abs 1 der RL 2006/112/EG sah in der ursprünglichen Fassung für die dort enthaltenen Katalogleistungen eine Verschiebung des Leistungsortes an den Wohnsitzstaat des Empfängers der Leistungen vor, insoweit es sich dabei um einen Nichtunternehmer handelt und die Leistungen außerhalb des Ansässigkeitsstaates des leistenden Unternehmers bezogen wurden. Aufgrund der fortlaufenden Digitalisierung von Dienstleistungen wurde jedoch vom Rat der Europäischen Union im Rahmen der RL 2008/8/EG beschlossen, dass die Bestimmungen bezüglich des Leistungsortes von Dienstleistungen einer Anpassung an die neuen Gegebenheiten bedürfen. Dadurch wurde ua die infrage stehende Regelung in Art 59 MwStSyst-RL verschoben und nur auf jene Leistungen eingeschränkt, die an Nichtunternehmer in Drittstaaten erbracht werden.

Der EuGH hat in der vorliegenden Entscheidung klargestellt, dass Versicherungsleistungen an Nichtunternehmer immer nach den allgemeinen Regelungen der MwStSyst-RL an dem Ort erbracht werden, von dem aus der ausführende Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Selbst wenn die Leistungen von einem Partnerunternehmen an Nichtunternehmer in Drittstaaten erbracht werden, kommt die Ausnahme für die Katalogleistungen gem Art 59 lit c MwStSyst-RL nicht zur Anwendung.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33229 vom 02.11.2022