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RL 2006/112/EG (MwStSyst-RL): Art 53
DVO 282/2011 (MwStVO): Art 32 ff
UStG 1994: § 3a Abs 11
Abstract
Der EuGH hatte zu entscheiden, ob Art 53 MwStSyst-RL Anwendung auf Dienstleistungen findet, die durch den Betreiber eines Videostudios an den Betreiber einer Streaming-Plattform erbracht werden, und die darin bestehen, Videochats zu erstellen und zur Verbreitung zur Verfügung zu stellen.
EuGH 23. 11. 2023, C-532/22, SC Westside Unicat SRL
Sachverhalt
Die in Rumänien ansässige Westside Unicat betrieb ein Videostudio und vermarktete über die StreamRay, einen in den USA ansässigen Anbieter einer Streaming-Plattform, Videochats mit Erotikmodellen. Die Modelle schlossen mit der Westside Unicat Partnerschaftsverträge, im Rahmen derer die WestsideUnicat ermächtigt wurde, die Honorare einzuziehen und an die Modelle auszubezahlen. StreamRay erbrachte die Dienstleistung im eigenen Namen und legte die Preise für die Videochats fest. Von den so erzielten Einnahmen wurde ein Teil an die WestsideUnicat geleistet, die wiederum einen Teil hiervon an die Modelle weiterreichte.
Nach Ansicht der rumänischen Finanzverwaltung war Rumänien der Leistungsort, weil die WestsideUnicat als Veranstalterin der Videochats und somit Erbringerin der Dienstleistung an die StreamRayanzusehen gewesen wäre. Die Videochats wären nämlich Unterhaltungsveranstaltungen iSd Art 53 der MwStSyst-RL gewesen. Nach der Rsp des EuGH in der Rs Geelen (EuGH 8. 5. 2019, C-568/17) war nämlich am Sitz des Leistungserbringers der Veranstaltungsort und somit Leistungsort iSd Art 53 MwStSyst-RL gewesen.
Gegen einen dementsprechend erlassenen Steuerbescheid erhob die Westside Unicat Einspruch und mangels Erfolges in weiterer Folge Klage. Nach teilweiser Stattgabe der Klage, gefolgt von einem Rechtsmittel der FinVw hatte das nunmehr entscheidungsbefugte Berufungsgericht Zweifel über die Auslegung des Art 53 MwStSyst-RL und legte dem EuGH die Frage vor, ob Art 53 MwStSyst-RL auf das Live-Streaming digitaler Inhalte anwendbar ist.
Entscheidung des EuGH
Während Art 44 und 45 MwStSyst-RL allgemeine Regeln für die Bestimmung des Dienstleistungsortes enthalten, sehen Art 46–59a MwStSyst-RL besondere Anknüpfungspunkte vor (EuGH 13. 3. 2019, C-647/17, Srf konsulterna, Rn 20). Diese Bestimmungen stehen jedoch in keinem Verhältnis eines Vorrangs zueinander, weswegen Art 53 MwStSyst-RL, der den Leistungsort bei der Erbringung von Eintrittsberechtigungen regelt, nicht als Ausnahme eines allgemeinen Grundsatzes eng auszulegen ist (EuGH 13. 3. 2019, C-647/17, Srf konsulterna, Rn 21 f).
Erotische Videochats stellen zwar Tätigkeiten auf dem Gebiet der Unterhaltung dar, da sie ihrem Zweck nach der Unterhaltung dienen und eine physische Anwesenheit der Empfänger hierfür nicht erforderlich ist (EuGH 8. 5. 2019, C-568/17, Geelen). Es gilt hier jedoch bei der Auslegung zwischen Art 52 lit a MwStSyst-RL, der Gegenstand der Rs Geelen war, und dem aktuellen Art 53 MwStSyst-RL als dessen Nachfolgebestimmung zu unterscheiden. Ersterer bezieht sich nämlich allgemein auf Tätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaften, des Unterrichts, der Unterhaltung oder auf ähnliche Tätigkeiten sowie ggf auf damit zusammenhängende Dienstleistungen. Letzterer bezieht sich demgegenüber auf Veranstaltungen auf dem Gebiet der Kultur der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder für ähnliche Veranstaltungen wie Messen und Ausstellungen.
Die Schlussfolgerungen in der Rs Geelen lassen sich daher nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch setzen Veranstaltungen – anders als Tätigkeiten – eine öffentliche Darbietung voraus. Mangels spezifischer Definition des Begriffs der Veranstaltung in Art 53 MwStSyst-RL ist dieser so zu verstehen, dass er Dienstleistungen erfasst, die der Organisation dessen, was Gegenstand dieser Darbietung ist, nachgelagert sind und darauf abzielen, der Öffentlichkeit Zugang zu ihr zu gewähren. Im vorliegenden Fall werden die Videositzungen aber nicht öffentlich präsentiert. Besitz und Bedienung von Geräten zur Aufnahme und Aufzeichnung der Videochats begründen nämlich keine öffentliche Präsentation der Darbietung.
Die Auslegung der Eintrittsgewährung iSe Zugangsgewährung für die Öffentlichkeit wird durch Art 32 ff MwStVO bestätigt. Hieraus geht nämlich hervor, dass Art 53 MwStSyst-RL auf mit der Eintrittsberechtigung verbundene Dienstleistungen, die zudem an eine die Veranstaltung beiwohnende Person gegen eine Gegenleistung gesondert erbracht werden, anwendbar ist (Art 33 MwSt-VO). Dienstleistungen iSd Art 53 MwStSyst-RL sind nur solche, deren wesentliche Merkmale darin bestehen, gegen eine Eintrittskarte oder eine Vergütung das Recht auf Eintritt zu einer Veranstaltung zu gewähren. Dh, dass es sich dabei nur um solche Dienstleistungen handelt, die sich auf den Vertrieb des Rechts auf Eintritt zu der fraglichen Veranstaltung an Dienstleistungsempfänger beziehen (Art 32 MwSt-VO). Art 53 MwStSyst-RL ist auch auf den Vertrieb von Eintrittskarten durch im eigenen Namen tätige Absatzmittler anwendbar (Art 33a MwSt-VO). Deswegen besteht ein Zusammenhang zwischen den in Art 53 MwStSyst-RL genannten Dienstleistungen und dem Vertrieb des Rechts auf Eintritt zu der fraglichen Veranstaltung an Dienstleistungsempfänger.
Im Ergebnis ist Art 53 MwStSyst-RL daher nicht auf Dienstleistungen, die zur Durchführung einer zu einer Veranstaltung führenden Tätigkeit erbracht werden, und somit nicht auf die Bereitstellung von Räumlichkeiten und des notwendigen Materials für das Filmen von Darbietungen für interaktive Videositzungen, anwendbar (idS auch der Mehrwertsteuerausschuss, Sitzung v 19. 4. 2021, Dokument B – taxud. c.1 (2021)6 378 389 – 1016). Eintrittsberechtigungen und zusammenhängende Dienstleistungen sind nur solche, die darin bestehen, das Recht auf Eintritt zu einer solchen Veranstaltung an Dienstleistungsempfänger zu vertreiben.
Conclusio
Mangels Vorliegens einer Eintrittsberechtigung oder einer damit zusammenhängenden Dienstleistung richtet sich im vorliegenden Fall der Leistungsort nicht nach Art 53 MwStSyst-RL. Maßgebend ist vielmehr die B2B-Grundregel für Dienstleistungen des Art 44 MwStSyst-RL. Besteuert wird daher am Ort des Leistungsempfängers.
Die hier infrage stehenden Eintrittsberechtigungen werden in Österreich in § 3a Abs 11 UStG geregelt. Nach Ansicht der FinVw erfordert „der Begriff Eintrittsberechtigung zu einer Veranstaltung […] die physische Anwesenheit des Leistungsempfängers“ (UStR 2000 Rz 641f). Beim Live-Streaming über Online-Plattformen ist der Leistungsempfänger gerade nicht physisch anwesend. Daher liegt in einem solchen Fall auch nach Ansicht der FinVw keine Eintrittsberechtigung vor, weswegen § 3a Abs 11 UStG auch nicht anwendbar sein kann. Im Ergebnis findet die Ansicht der FinVw somit Widerhall in dem vorliegenden Urteil (idS auch Haunold/Stangl/Tumpel, News aus der EU, SWI 2024, 31 [35]).
Auch unter dem Gesichtspunkt der Auslegung des Begriffs „Veranstaltung“ wird das vorliegende Urteil als bedeutend erachtet (M. Mayr, Umsatzsteuer-Update Dezember 2023: Aktuelles auf einen Blick, SWK 2023, 1292 [1294]). Hier ist das ausdrückliche Abstellen des EuGH auf ein Element der Öffentlichkeit bemerkenswert.