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EuGH zum Nachholen eines versäumten Vorsteuerabzugs im Wege einer Vorsteuerberichtigung

Bearbeiter: Theresa Gessl

MwStSyst-RL: Art 184, Art 185

UStG 1994: § 20 Abs 2, § 12 Abs 10, § 12 Abs 11

Abstract

In der Rs  beschäftigte sich der EuGH mit der Möglichkeit des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Ablauf einer Ausschlussfrist. Der EuGH entscheidet, dass der Berichtigungsmechanismus gem Art 184 und Art 185 MwStSyst-RL keine Anwendung findet, wenn ein Steuerpflichtiger es versäumt, sein Recht auf Vorsteuerabzug innerhalb einer vom nationalen Recht vorgesehenen Ausschlussfrist auszuüben. Durch die Berichtigungsvorschriften kann daher ein ursprünglich nicht vorgenommener Vorsteuerabzug (ohne Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) nicht nachträglich nachgeholt werden.

EuGH 7. 7. 2022, C-194/21,

Sachverhalt

Die Gesellschaft B verkaufte zehn Baugrundstücke an X. Es war beabsichtigt, sie durch die Errichtung von Mobilheimen samt Zubehör für Erholungszwecke zu entwickeln und diese Mobilheime anschließend mit ihrem Grundstück zu verkaufen. Im Jahr 2006 schlossen X und B dazu einen Vertrag ab, der vorsah, dass B alle Entwicklungsarbeiten auf eigene Rechnung durchführt und der Nettoerlös aus dem Verkauf der entwickelten Parzellen zwischen den beiden Parteien zu gleichen Teilen aufgeteilt werden soll. B lieferte daraufhin die Parzellen an X und stellte X für diese Lieferung die Mehrwertsteuer in Rechnung, wobei X sein Recht auf Vorsteuerabzug nicht ausübte. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage wurde die beabsichtigte Entwicklung der Parzellen nicht realisiert, weshalb X im Jahr 2013 zwei Parzellen an B zurückverkaufte und die Mehrwertsteuer auf den Verkaufspreis in Rechnung stellte. X erklärte den Betrag dieser Steuer jedoch nicht und führte ihn auch nicht ab. 2015 richtete die Steuerverwaltung an X einen Nacherhebungsbescheid über die Mehrwertsteuer bezüglich des von B für die Lieferung der beiden Parzellen gezahlten Preises und zog die Mehrwertsteuer ein. Daraufhin erhob X Klage und machte geltend, dass die Nacherhebung über die Mehrwertsteuer um den für die Lieferung dieser Parzellen im Jahr 2006 gezahlten Betrag reduziert werden müsse. Das Berufungsgericht hat den Anträgen von X stattgegeben und den Nacherhebungsantrag herabgesetzt. Dagegen erhob der niederländische Staatssekretär für Finanzen mit der Begründung, dass die Mehrwertsteuer für die Lieferung der Parzellen zu dem Zeitpunkt abgezogen werden muss, zu dem der Steueranspruch entstanden sei, Beschwerde beim Obersten Gerichtshof der Niederlande, der die Sache daraufhin dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

Entscheidung des EuGH

Mit seinen Vorlagefragen wollte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob die Art 184 und 185 MwStSyst-RL dahin auszulegen sind, dass sie einem Steuerpflichtigen, der es versäumt hat, den Vorsteuerabzug für den Erwerb eines Gegenstands oder einer Dienstleistung innerhalb einer vom nationalen Recht vorgesehenen Ausschlussfrist auszuüben, die Möglichkeit verwehren, diesen Abzug später bei der ersten Verwendung des Gegenstands oder der Dienstleistung zum Zweck besteuerter Umsätze im Wege einer Vorsteuerberichtigung vorzunehmen.

Nach Art 167 und Art 179 Abs 1 MwStSyst-RL wird das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich während des gleichen Zeitraums ausgeübt, in dem es entstanden ist. Art 167 MwStSyst-RL sieht vor, dass das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Vorsteuer entsteht. Nach Art 63 MwStSyst-RL treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird (vgl EuGH 21. 10. 2021, C-80/20, Wilo Salmson France, mwN). Grundsätzlich kann einem Steuerpflichtigen nach den Art 180 und 182 MwStSyst-RL das Abzugsrecht auch gewährt werden, wenn er es nicht während des Zeitraums, in dem es entstanden ist, ausgeübt hat. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass bestimmte in den nationalen Regelungen festgelegte Bedingungen und Einzelheiten befolgt werden. Im vorliegenden Fall sieht das niederländische Umsatzsteuergesetz allerdings nicht die Möglichkeit vor, das Recht auf Vorsteuerabzug nach Ablauf der Frist für die Abgabe der Erklärung für den Zeitraum, in dem dieses Recht entstanden ist, auszuüben, weshalb ein nachträgliches Vorsteuerabzugsrecht nicht gewährt wird.

X hat es verabsäumt, sein Recht auf Vorsteuerabzug für den Erwerb der Parzellen im Jahr 2006 auszuüben und hat von dieser Möglichkeit auch nicht innerhalb der vorgesehenen Ausschlussfrist Gebrauch gemacht. Erst mehr als neun Jahre nach der Lieferung der Parzellen beantragte X bei seinem Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid im Jahr 2015 das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu dürfen. In diesem Zusammenhang hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, das Abzugsrecht ohne zeitliche Beschränkung auszuüben, dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderlaufen würde. Dieser Grundsatz verlangt, dass die steuerliche Lage des Steuerpflichtigen in Anbetracht seiner Rechte und Pflichten gegenüber der Steuerverwaltung nicht unbegrenzt lange offenbleiben kann (EuGH 8. 5. 2008, C-95/07 und C-96/07, Ecotrade, Rz 44). Eine Berichtigung nach Art 185 Abs 1 MwStSyst-RL hat insb dann zu erfolgen, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach der Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben (EuGH 18. 10. 2012, C-234/11, TETS Haskovo, Rz 32). Allerdings besteht der Berichtigungsmechanismus nur, wenn ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht; Art 184 und Art 185 MwStSyst-RL können kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen lassen. Der Grundsatz der Neutralität kann somit nicht dazu führen, dass einem Steuerpflichtigen gestattet wird, ein Recht auf Vorsteuerabzug zu berichtigen, das er vor dem Ablauf einer Ausschlussfrist nicht ausgeübt und somit verloren hat. Im vorliegenden Fall hat X das Recht auf Vorsteuerabzug verloren, weil die Ausschlussfrist bereits abgelaufen ist und dementsprechend keine Berichtigung des Vorsteuerabzugs mehr möglich ist.

Conclusio

Gem § 20 Abs 2 UStG 1994 sind abziehbare Vorsteuerbeträge in dem Zeitraum anzusetzen, in dem sämtliche Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind. Auch der Berichtigungsmechanismus gem § 12 Abs 10 und Abs 11 UStG sieht nicht vor, dass ein nicht geltend gemachter Vorsteuerabzug in einem späteren Veranlagungszeitraum geltend gemacht werden kann (vgl auch Ruppe/Achatz, UStG5 [2017] § 12 Rz 62). Der EuGH hält in der vorliegenden Entscheidung fest, dass auch Art 184 und Art 185 MwStSyst-RL kein Nachholen eines unterbliebenen Vorsteuerabzugs vorsehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33241 vom 04.11.2022