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MwStSyst-RL: Art 63, Art 64 Abs 1, Art 90 Abs 1
Abstract
Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil mit der Frage, ob die Steuer für eine in Raten vergütete einmalige Dienstleistung bereits im Zeitpunkt der Leistungserbringung oder laufend mit dem Erhalt der jeweiligen Ratenzahlung entsteht. Der EuGH entscheidet – anders als im Urteil baumgarten sports & more (EuGH 29. 11. 2018, C-548/17, baumgarten sports & more) – dass die Steuer bereits im Moment der vollständigen Leistungserbringung entsteht.
EuGH 28. 10. 2021, C-324/20, X-Beteiligungsgesellschaft
Sachverhalt
Die X-Beteiligungsgesellschaft (im Folgenden: X) erbrachte 2012 eine Grundstücksverkaufs-Vermittlungsleistung an die T-GmbH (im Folgenden: T). Zwischen X und T wurde eine Honorarvereinbarung abgeschlossen, aus der hervorgeht, dass X zu diesem Zeitpunkt die vertraglichen Verpflichtungen bereits erfüllt hatte. Als Gegenleistung wurde ein Entgelt iHv EUR 1.000.000 zzgl Umsatzsteuer iHv EUR 190.000 vereinbart, das T ab dem Jahr 2013 jährlich in fünf Teilbeträgen an X zu bezahlen hatte. Zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt stellte X eine Rechnung über den geschuldeten Betrag aus und entrichtete die entsprechende Umsatzsteuer.
Das Finanzamt verlangte die gesamte Umsatzsteuer iHv EUR 190.000 bereits im Jahr 2012. X erhob dagegen Einspruch und vertrat die Ansicht, dass Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL zur Anwendung kommen müsste, da die noch nicht geleisteten Raten als uneinbringlich anzusehen seien. Das Finanzgericht gab dem Einspruch im Wesentlichen statt, woraufhin das Finanzamt gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Revision beim BFH einlegte.
Entscheidung des EuGH
Mit seinen Vorlagefragen befragte der BFH den EuGH, ob Art 64 Abs 1 MwStSyst-RL auf einmalige Dienstleistungen anwendbar ist, und die Steuerschuld daher mit Erhalt der einzelnen Zahlungen entsteht. Im Fall der Nichtanwendung von Art 64 Abs 1 MwStSyst-RL möchte das deutsche Gericht wissen, ob Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL zur Anwendung kommt und die noch nicht geleisteten Raten als uneinbringlich anzusehen sind.
Im vorliegenden Fall wurde die Dienstleistung von X bereits Ende 2012 vollständig erbracht. Lediglich die Gegenleistung wurde gemäß den vertraglichen Bestimmungen in fünf Jahresraten ab dem Jahr 2013 bezahlt. Nach Art 63 MwStSyst-RL entsteht die Steuerschuld in dem Zeitpunkt, in dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Dieser Zeitpunkt würde im vorliegenden Fall im Jahr 2012 liegen. Art 64 Abs 1 MwStSyst-RL hingegen sieht vor, dass Dienstleistungen, die zu aufeinanderfolgenden Zahlungen Anlass geben, als mit Ablauf des Zeitraums als bewirkt gelten, auf den sich die Zahlungen beziehen. Art 64 Abs 1 MwStSyst-RL ist als ergänzende Bestimmung zu Art 63 MwStSyst-RL zu sehen, falls der Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht eindeutig ist. Die Entstehung und die Höhe der Umsatzsteuerpflicht hängen von drei Faktoren ab: der Art des bewirkten Umsatzes, der Höhe des Entgelts und dem Zeitpunkt der Leistungserbringung. Der Zeitpunkt der Entrichtung der Bezahlung gehört im Mehrwertsteuersystem hingegen nicht zu den für die Besteuerung relevanten Faktoren. Würde man davon ausgehen, dass der Zeitpunkt der Entrichtung der Zahlung auch zu den für die Besteuerung relevanten Faktoren gehört, würde man dem Steuerpflichtigen, der eine einmalige Leistung erbracht und gleichzeitig für die Vergütung dieser Leistung eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen hat, die Möglichkeit einräumen, den Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld und der Fälligkeit der Umsatzsteuer selbst zu bestimmen.
Eine in Raten vergütete einmalige Dienstleistung, bei dem – wie im vorliegenden Fall – der Zeitpunkt der Leistungserbringung eindeutig ist, fällt daher nicht in den Anwendungsbereich von Art 64 Abs 1 MwStSyst-RL. Die Umsatzsteuer ist mit vollständiger Leistungserbringung abzuführen, auch wenn der Dienstleistungserbringer von seinem Kunden noch keine Zahlung für den bewirkten Umsatz erhalten hat.
Art 64 Abs 1 MwStSyst-RL ist daher nicht anwendbar, weshalb der EuGH die Anwendbarkeit von Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL zu beurteilen hatte. Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL kommt dann zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Wenn die Bezahlung lediglich ausbleibt, ohne dass es zu einer Auflösung oder Annullierung des Vertrags gekommen ist, schuldet der Käufer des Gegenstands oder der Empfänger der Leistung weiterhin den vereinbarten Preis, und dem Verkäufer des Gegenstands oder dem Dienstleistungserbringer steht grundsätzlich immer noch seine Forderung zu, die er vor Gericht geltend machen kann. Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL erfasst nicht die ratenweise Zahlung der für eine Dienstleistung geschuldeten Vergütung.
Eine Vereinbarung einer Ratenzahlung bei vollständig erbrachter Leistung kann daher auch nicht als Nichtbezahlung eines Teilbetrags eingestuft werden und führt nicht zu einer Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage.
Conclusio
Der EuGH kommt in diesem Urteil zum Ergebnis, dass bei vollständiger Leistungserbringung trotz vereinbarter Ratenzahlung die Steuerschuld bereits im Moment der Leistungserbringung entsteht. Er entscheidet damit anders als im Jahr 2018 (EuGH 29. 11. 2018, C-548/17, baumgarten sports & more), wobei er keine klaren Abgrenzungskriterien nannte. Eine mögliche Abgrenzung könnte darin liegen, dass in der Entscheidung baumgarten sports & more die Ratenzahlung an einen Erfolg geknüpft war, wogegen im vorliegenden Fall die Zahlungen der Teilbeträge lediglich an Fristen gebunden waren und nicht von einer Voraussetzung abhing, deren Eintritt ungewiss war.