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MwStSyst-RL: Art 30a, Art 30b
Abstract
Der EuGH hatte zu entscheiden, ob es einer Einordnung als Einzweckgutschein iSd Art 30a Nr 2 MwStSyst-RL entgegensteht, wenn ein Gutschein vor Einlösung Gegenstand von B2B-Übertragungen ist und der Leistungsort dieser Übertragungen nicht mit dem Ort übereinstimmt, an dem der Gutschein vom Endverbraucher eingelöst wird.
EuGH 18. 4. 2024, C-68/23, M-GbR
Sachverhalt
Die M-GbR erwarb im Jahr 2019 von Sony herausgegebene Guthabenkarten für den Sony-PlayStation-Store über zwei Lieferanten. Diese sog PlayStation Network-Cards (PSN-Cards) ermöglichten es den Erwerbern, Konten zur Nutzung des PlayStation-Stores mit einem Nennwert in Euro aufzuladen, wobei die PSN-Cards unterschiedliche Länderkennungen enthielten. So waren etwa die PSN-Cards mit der Länderkennung „DE“ ausschließlich für Kunden vorgesehen, die ein dt Nutzerkonto hatten. Ein dt Nutzerkonto konnte nur dann eröffnet werden, wenn der Wohnsitz nach den Angaben des Nutzers in Deutschland (D) lag. Die M-GbR ging davon aus, dass es sich bei den PSN-Cards um Mehrzweckgutscheine iSd Art 30a Nr 3 MwStSyst-RL handelte, weil bei der Veräußerung der PSN-Cards weder der Wohnsitz noch der gewöhnliche Aufenthalt des Verbrauchers bekannt gewesen sei. Nach Ansicht der M-GbR war die Länderkennung nämlich nicht ausreichend, weil die Angaben der Kunden bei Eröffnung der Nutzerkonten durch Sony nicht überprüft wurden. Zudem sei bekannt gewesen, dass Kunden aufgrund von Preisvorteilen ein Nutzerkonto mit der dt Länderkennung eröffneten, obwohl diese ihren Wohnsitz nicht in D hatten.
Das dt FA vertrat hingegen die Ansicht, dass es sich bei den Gutscheinen um Einzweckgutscheine iSd Art 30a Nr 2 MwStSyst-RL handle, da sie nur von Kunden mit Wohnsitz in D verwendet werden konnten. Folglich stand der Leistungsort bereits im Zeitpunkt der Ausgabe der Gutscheine fest. Die Tatsache, dass bestimmte Kunden bei Eröffnung des Nutzerkontos falsche Wohnsitzangaben machten, könne für die umsatzsteuerliche Einordnung nicht ausschlaggebend sein. Nachdem die dagegen erhobene Klage vom FG abgewiesen wurde, wandte sich die M-GbR an den BFH. Das dt Höchstgericht war der Ansicht, dass sowohl der Leistungsort als auch die geschuldete Steuer für die von den PSN-Cards verkörperten Leistungen im Zeitpunkt der Gutscheinausgabe feststand. Allerdings war für den BFH unklar, ob die vor der Einlösung erfolgten B2B-Übertragungen der Gutscheine eine Auswirkung auf die Einordnung als Einzweckgutschein haben, wenn der Ort dieser B2B-Übertragungen vom Ort der Gutscheineinlösung abweicht. Sollte sich der EuGH im Rahmen der ersten Vorlagefrage für die Einordnung als Mehrzweckgutschein aussprechen, legte der BFH dem Gerichtshof zudem die Frage vor, ob die Übertragung eines Mehrzweckgutscheines im Rahmen einer Vertriebskette trotz Art 30b Abs 2 MwStSyst-RL einen steuerpflichtigen Umsatz begründen kann.
Entscheidung des EuGH
Im ersten Schritt hält der Gerichtshof fest, dass ein Gutschein zwei kumulative Voraussetzungen erfüllen muss, damit dieser als Einzweckgutschein iSd Art 30a Nr 2 MwStSyst-RL eingeordnet werden kann: So muss im Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheines sowohl der Liefer- oder Leistungsort als auch die geschuldete MwSt für die Lieferung oder Dienstleistung feststehen. Liegen beide Voraussetzungen vor, ist jede Übertragung des Gutscheines durch einen Steuerpflichtigen als eigenständige Lieferung oder Dienstleistung zu qualifizieren (Art 30b Abs 1 MwStSyst-RL). Demgegenüber begründet das Einlösen eines Einzweckgutscheines keinen eigenständigen steuerbaren Umsatz mehr. Art 30b Abs 1 MwStSyst-RL bezweckt somit, besondere Besteuerungsregeln für den Fall festzulegen, dass ein Einzweckgutschein zwischen Steuerpflichtigen übertragen wird.
In einem nächsten Schritt hält der Gerichtshof fest, dass das Ziel des Art 30a und Art 30b MwStSyst-RL darin besteht, eine einheitliche Behandlung von Gutscheinen zu gewährleisten. Würde ein Gutschein allerdings nicht als Einzweckgutschein eingeordnet werden können, wenn dieser Gutschein Gegenstand aufeinanderfolgender Übertragungen zwischen Steuerpflichtigen ist und der Ort dieser Übertragungen vom Ort der Gutscheineinlösung abweicht, würde das Ziel dieser Bestimmungen nicht erreicht werden. Denn diesfalls würden Gutscheine, je nachdem, ob sie im Rahmen einer grenzüberschreitenden Vertriebskette oder innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats vertrieben werden, unterschiedlich behandelt werden. Zudem würde ein derartiges Verständnis die Einstufung eines Gutscheines als Einzweckgutschein praktisch unmöglich machen und somit dieser Bestimmung die praktische Wirksamkeit nehmen. Folglich berührt – so der EuGH – eine derartige Übertragung die Einordnung als Einzweckgutschein nicht. Zudem ist die Tatsache, dass die Kunden tw falsche Wohnsitze oder Aufenthalte angeben, um steuerliche Vorteile erhalten, für die Einstufung des Umsatzes unerheblich.
Mangels expliziter Angaben zur Frage, ob die geschuldete MwSt bereits im Zeitpunkt der Gutscheinausgabe feststeht, schließt der EuGH nicht aus, dass die Gutscheine nicht doch als Mehrzweckgutscheine eingeordnet werden können. Für den Fall, dass die PSN-Cards doch als Mehrzweckgutscheine qualifiziert werden, beantwortet der EuGH auch die zweite vorgelegte Frage. Wird ein Gutschein als Mehrzweckgutschein eingeordnet, unterliegt die der Einlösung vorgelagerte Übertragung des Gutscheines grundsätzlich nicht der MwSt (Art 30b Abs 2 UAbs 1 MwStSyst-RL). Sollten die Mehrzweckgutscheine allerdings im Rahmen einer Vertriebskette übertragen werden, können bestimmbare Vertriebs- oder Absatzförderleistungen sehr wohl der MwSt unterliegen (Art 30b Abs 2 UAbs 2 MwStSyst-RL). Der Sinn und Zweck dieser Bestimmung besteht darin, die MwSt auf jede Handelsspanne zu erheben und somit zu verhindern, dass etwaige Vertriebsleistungen nicht besteuert werden. Sollten die PSN-Cards daher als Mehrzweckgutscheine qualifiziert werden, ist es Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob ein Steuerpflichtiger bestimmbare Vertriebs- oder Absatzforderungsleistungen iSd Art 30b Abs 2 UAbs 2 MwStSyst-RL erbringt.
Conclusio
Der BFH ist – wie auch die Vorinstanzen – davon ausgegangen, dass sowohl der Ort der Dienstleistung als auch die geschuldete MwSt im Zeitpunkt der Gutscheinausgabe feststeht. Der EuGH hielt nun zudem fest, dass auch eine Übertragung des Gutscheines zwischen Steuerpflichtigen vor dessen Verkauf an den Endabnehmer nichts an der Einordnung als Einzweckgutschein ändert, selbst wenn der (Liefer-/Leistungs-)Ort dieser Übertragungen vom Ort abweicht, an dem der Gutschein eingelöst wird.
Im Rahmen des Vorlagebeschlusses hat der BFH zudem Bedenken geäußert, welche Leistungsortregeln für die Gutscheinübertragungen zwischen Steuerpflichtigen anwendbar sein sollen. So hat der BFH die Möglichkeit diskutiert, dass die Übertragungen – abweichend von den Grundregeln in § 3a Abs 6–7 UStG – an dem Ort ausgeführt werden, an dem der Gutschein letztendlich eingelöst wird, dh am Ort des Verbrauchs. Der EuGH ist – wohl mangels Aufnahme in die Vorlagefrage – nicht explizit auf diese Überlegungen eingegangen. Bei genauerer Betrachtung der Entscheidung kann allerdings von einer impliziten Beantwortung dieser Frage ausgegangen werden: Würde sich der Leistungsort von Gutscheinübertragungen immer nach dem Ort richten, an dem der Gutschein eingelöst wird, hätte der EuGH die erste Vorlagefrage wohl anders beantwortet. Der Gerichtshof führte zur ersten Frage nämlich aus, dass es einer Einordnung eines Gutscheines als Einzweckgutschein nicht entgegensteht, wenn die Gutscheine an anderen Orten übertragen werden, als die Einlösung erfolgt. Würde sich der Ort derartiger Übertragungen allerdings entgegen den allgemeinen Leistungsortregeln am Ort des Einlösens befinden, könnte der Ort der Übertragung nicht vom Ort des Einlösens abweichen. Der EuGH dürfte somit zumindest implizit davon ausgehen, dass die allgemeinen Leistungsortvorschriften bei der Übertragung von Gutscheinen zwischen Steuerpflichtigen von Einzweckgutscheinen in einer Vertriebskette weiterhin zur Anwendung gelangen.