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EuGH zur Differenzbesteuerung bestimmter Immobiliengeschäfte

Bearbeiter: Stefanie Stöcklinger

Stefanie Stöcklinger, Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht, WU Wien

MwStSystRL: Art 392

Abstract

Der EuGH hatte in der französischen Rs zu entscheiden, ob die Regelung über die Differenzbesteuerung in Art 392 MwStSystRL auch Lieferungen von Baugrundstücken umfasst, deren Erwerb nicht mehrwertsteuerpflichtig war, weil dieser Erwerb außerhalb des Anwendungsbereiches der MwSt liegt oder befreit ist. Weiters war zu entscheiden, ob Änderungen am Grundstück in der Zeit zwischen An- und Verkauf eine Anwendung der Differenzbesteuerung ausschließen.

EuGH 30.9.2021, C-299/20, Icade Promotion

Sachverhalt

Icade Promotion (im Folgenden: Kl) erwarb in ihrer Bauträgertätigkeit unerschlossene Grundstücke von nicht mehrwertsteuerpflichtigen Personen. Nach der Durchführung von Erschließungsarbeiten veräußerte sie diese als Baugrundstücke zur Errichtung von Wohngebäuden an natürliche Personen. Die Veräußerungsgeschäfte unterwarf die Kl nach Art 257 Nr 6 iVm Art 268 Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) der Differenzbesteuerung. In der Folge machte die Kl die Erstattung der auf den Differenzbetrag entrichteten MwSt geltend.

Die Finanzverwaltung wies den Einspruch zurück. Gegen das Urteil des Verwaltungsberufungsgerichts Versailles erhobt die Kl ihr Rechtsmittel und wendete ein, dass die nationale Regelung zur Differenzbesteuerung nicht mit Art 392 MwStSystRL vereinbar sei. Gem Art 392 MwStSystRL können Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei der Lieferung von Gebäuden und Baugrundstücken, die ein Steuerpflichtiger, dem beim Erwerb kein Vorsteuerabzug zukam, zum Zwecke des Wiederverkaufs erworben hat, die Steuerbemessungsgrundlage in der Differenz zwischen Verkaufspreis und Ankaufspreis besteht. Der französische Conseil d’État (Staatsrat) setzte das Verfahren aus und stellte ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH bejahte die erste Frage über die Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung sowohl auf Lieferungen von Baugrundstücken, wenn deren Erwerb der MwSt unterlag, ohne dass der Steuerpflichtige, der sie wiederverkauft, zum Vorsteuerabzug berechtigt war, als auch dann, wenn ihr Erwerb nicht der MwSt unterlag, aber der Einkaufspreis einen Mehrwertsteuerbetrag enthält, der vom ursprünglichen Verkäufer entrichtet wurde. Unterlag hingegen schon der ursprüngliche Erwerb nicht der MwSt, ist die Regelung zur Differenzbesteuerung nicht anwendbar. Damit soll das von der MwStSystRL verfolgte Ziel der steuerlichen Neutralität gewährleistet bleiben. Würde man Art 392 MwStystRL dahingehend auslegen, dass man die Differenzbesteuerung ausschließe, wenn der Erwerb nicht der MwSt unterlag, so hätte dies zur Folge, dass gleichartige, miteinander im Wettbewerb stehende Lieferungen von Gegenständen ungleich behandelt werden würden. Eine Besteuerung des Gesamtpreises nach dem ersten Endverbrauch würde mangels Abzugsmöglichkeit dazu führen, dass nicht nur der die MwSt bereits inkludierende Preis in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen werden würde, sondern auch der Betrag dieser MwSt.

Das vorlegende Gericht wollte außerdem wissen, wie vorgegangen werden soll, wenn sich die Merkmale eines Grundstücks in der Zwischenzeit geändert haben (zB aufgrund von Erschließungsarbeiten). Der Begriff „Baugrundstück“ umfasst gem Art 12 Abs 3 MwStSystRL sowohl erschlossene als auch unerschlossene Grundstücke, deren nähere Bestimmung den Mitgliedstaaten obliegt. Die Differenzbesteuerung nach Art 392 MwStSystRL gelangt jedoch nur für jene Baugrundstücke zur Anwendung, auf denen ein Gebäude errichtet werden soll und die zum Zwecke des Wiederverkaufs erworben werden. Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung ist daher, ob der Wille der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf die Errichtung eines Gebäudes gerichtet war. Ob es sich bei Grundstücken letzten Endes um Baugrundstücke, die unter die Anwendung der Differenzbesteuerung fallen, handelt, oder ob es sich um unbebaute Grundstücke handelt, die von der MwSt befreit sind, ist Sache des vorlegenden Gerichts. Werden weiters unerschlossene Grundstücke nach nationalem Recht als Baugrundstücke eingestuft, so haben vorgenommene Erschließungsarbeiten keine Auswirkungen auf die Qualifikation des Grundstücks als Baugrundstück. Auf die zweite Frage war daher zu antworten, dass Art 392 MwStSystRL die Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Baugrundstücken ausschließt, wenn diese als unbebaute Grundstücke erworben wurden und in der Zeit bis zum Wiederverkauf zu Baugrundstücken wurden. Werden hingegen Merkmale eines Grundstücks in der Zwischenzeit durch den Steuerpflichtigen verändert (zB aufgrund von Erschließungsarbeiten), so schließt dies eine Anwendung der Differenzbesteuerung auf die Lieferung von Baugrundstücken nicht aus.

Conclusio

In der Rs Icade Promotion kommt der EuGH zu dem Schluss, dass es Aufgabe der nationalen Gerichte ist, entsprechende Begriffe im Einklang mit den nationalen Definitionen und verfahrensrelevanten Umständen auszulegen. Bei der gegenständlichen Ausnahmeregelung zur Differenzbesteuerung in Art 392 MwStSystRL handelt es sich um keine umsetzungspflichtige Bestimmung, sondern es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, diese Ausnahmeregelung in nationales Recht zu implementieren. Neben Frankreich haben sich jedoch nur einige wenige Mitgliedsstaaten dazu entschieden, diese Ausnahmebestimmung in die nationale Rechtsordnung aufzunehmen. Sowohl Österreich als auch Deutschland haben von dieser Option keinen Gebrauch gemacht. Hierzulande werden Grundstücke unabhängig von ihrer Qualifikation als Baugrundstücke nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Dieser Entscheidung kommt daher allenfalls bloß untergeordnete Bedeutung zu.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31783 vom 03.12.2021