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EuGH zur Differenzbesteuerung: Umsatzsteuer auf den ig Erwerb ist kein Teil des Einkaufspreises

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 311 ff

Abstract

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob die Umsatzsteuer, die ein Wiederverkäufer im Rahmen eines ig Erwerbs schuldet, Teil des Einkaufspreises iSd Art 312 Abs 2 MwStSyst-RL ist und folglich die Bemessungsgrundlage für die Differenzbesteuerung schmälert. Dabei war unter anderem unklar, ob die im Rahmen des ig Erwerbs geschuldete USt einer Einfuhrumsatzsteuer gleichgestellt werden kann. Art 317 MwStSyst-RL sieht für die Einfuhrumsatzsteuer nämlich explizit vor, dass sie Teil des Einkaufspreises ist.

EuGH 13. 7. 2023, C-180/22, Mensing

Sachverhalt

Herr Mensing ist ein in Deutschland ansässiger Kunsthändler. Im Jahr 2014 wurden ihm Kunstgegenstände von Urhebern aus anderen MS geliefert. Diese Lieferungen wurden im Ansässigkeitsstaat als steuerbefreite ig Lieferungen behandelt. Herr Mensing versteuerte sie als ig Erwerb. Daraufhin beantragte Herr Mensing die Anwendung der Differenzbesteuerung iSd § 25a dUStG (Art 311 ff MwStSyst-RL). Das FA versagte die Anwendung der Differenzbesteuerung. Gem § 25a Abs 7 Nr 1 lit a dUStG findet die Differenzbesteuerung keine Anwendung auf die Lieferung eines Gegenstandes, den der Wiederverkäufer ig erwarb, wenn auf die Lieferung an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für ig Lieferungen angewendet wurde. Nach erfolglosem Einspruch gegen den Bescheid erhob Herr Mensing Klage beim FG, das wiederum Zweifel über die unionsrechtliche Zulässigkeit des § 25a Abs 7 Nr 1 lit a dUStG hatte. Der EuGH entschied daraufhin, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer gem Art 316 Abs 1 lit b MwStSyst-RL für die Anwendung der Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen optieren kann, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten ig Lieferung vom Urheber erworben hat (EuGH 29. 11. 2018. C-264/17, Mensing). Im Anschluss an dieses Urteil entschied das FG, dass mit Hinblick auf Art 317 Abs 1 MwStSyst-RL die Umsatzsteuer margenmindernd als Bestandteil des „Einkaufspreises“ zu berücksichtigen ist. Gegen diese Entscheidung erhob das FA Revision beim BFH und brachte vor, dass die USt für den ig Erwerb die zu besteuernde Marge nicht mindern könne. Daraufhin legte der BFH dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

„Sind die Art 311 ff der Richtlinie 2006/112 dahin gehend zu verstehen, dass bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die zuvor vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolger) innergemeinschaftlich erworben wurde, die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer die Handelspanne (Marge) mindert, oder liegt insoweit eine planwidrige Lücke des Unionsrechts vor, die nicht von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung, sondern nur vom Richtliniengeber geschlossen werden darf?“

Entscheidung des EuGH

Der EuGH führt aus, dass bei der Auslegung von Richtlinienbestimmungen nach stRsp (EuGH 29. 11. 2018, C-264/17, Mensing, Rn 24) neben dem Wortlaut auch der Zusammenhang und die Ziele des Mehrwertsteuerrechts zu berücksichtigen sind. Art 315 Abs 2 MwStSyst-RL sieht vor, dass die Differenz dem Unterschied zwischen dem vom Wiederverkäufer geforderten „Verkaufspreis“ und dem vom Wiederverkäufer bezahlten „Einkaufspreis“ des Gegenstandes entspricht. Art 312 MwStSyst-RL definiert wiederum die Begriffe „Einkaufspreis“ und „Verkaufspreis“. Während unter dem Verkaufspreis all das verstanden wird, was der steuerpflichtige Wiederverkäufer vom Erwerber oder von einem Dritten erhält, versteht man unter dem Einkaufspreis lediglich die gesamte Gegenleistung, die der Lieferer vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer erhält. Dabei ergibt sich insbesondere aus dem Begriff des Einkaufspreises, dass diejenigen Kostenbestandteile nicht mitumfasst sind, die der Wiederverkäufer an Dritte gezahlt hat. Angesichts des Wortlautes ist die Umsatzsteuer bei einem ig Erwerb kein Bestandteil des Einkaufspreises, weil sie vom Wiederverkäufer nicht an den Lieferer, sondern an einen Dritten (Fiskus) bezahlt wird. Daraufhin erörtert der EuGH mit Verweis auf die Europäische Kommission, dass sich Doppelbesteuerung und Wettbewerbsverzerrungen vermeiden ließen, wenn der Einkaufspreis auch die Umsatzsteuer umfasse. Der 51. Erwägungsgrund nennt auch explizit das Ziel, durch die Regelungen rund um die Differenzbesteuerung eine Doppelbesteuerung und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Diesbezüglich führt der EuGH allerdings aus, dass die Auslegung einer Bestimmung im Licht ihres Zusammenhanges und ihres Zweckes nicht dazu führen darf, dass dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen wird. Somit kann der EuGH, wenn sich der Sinn einer Bestimmung eindeutig aus dem Wortlaut ergibt, nicht von dieser Auslegung abweichen. Der Gerichtshof gibt auch zu erkennen, dass bei diesem Auslegungsergebnis Bedenken bezüglich des Neutralitätsgrundsatzes bestehen, weil die Marge unterschiedlich berechnet wird, je nachdem ob der Wiederverkäufer den Gegenstand im Rahmen einer innerstaatlichen Lieferung, eines ig Erwerbs oder im Rahmen einer Einfuhr erworben hat. Allerdings kann selbst der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nichts am klaren Wortlaut ändern.

Conclusio

Der EuGH nimmt eine umfassende Auslegung der Bestimmungen rund um Art 311 MwStSyst-RL vor und kommt zum Ergebnis, dass die Umsatzsteuer, die ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer im Rahmen des ig Erwerbs abzuführen hat, nicht Teil des Einkaufspreises iSd Art 312 Abs 2 MwStSyst-RL ist. Somit kann die Steuer die Marge nicht mindern. Hervorzuheben ist, dass der EuGH explizit ausspricht, dass dieses Auslegungsergebnis vor dem Hintergrund des Neutralitätsgrundsatzes problematisch erscheint, und weist auch darauf hin, dass ausschließlich der Unionsgesetzgeber dieses Problem lösen kann. Da die unterschiedliche Berechnung des Einkaufspreises beim ig Erwerb, bei der Einfuhr und der innerstaatlichen Lieferung systematisch nicht überzeugt, ist zu hoffen, dass der Unionsgesetzgeber tatsächlich rasch tätig wird und eine Angleichung dieser drei Tatbestände vornimmt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34490 vom 13.09.2023