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EuGH zur Ermittlung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

Markus Mittendorfer (Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht, WU Wien)

MwStSyst-RL: Art 73 ff

Abstract

In der Rs Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia hatte sich der EuGH mit der bei einem verschleierten Umsatz zugrunde zu legenden Bemessungsgrundlage auseinanderzusetzen. Bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die von der Steuerverwaltung rekonstruierten Beträge die Umsatzsteuer bereits enthalten.

EuGH 1. 7. 2021, C-521/19, Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia

Sachverhalt

Die Lito-Gruppe ist mit Infrastruktur- und Orchestermanagement für Patronats- und Dorffeste betraut. CB, ein selbständiger Vermittler für Künstler, verhandelt im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Tätigkeit im Namen der Lito-Gruppe mit den kommunalen Festkomitees über den Auftritt von Orchestern. Die Festkomitees zahlen meist bar und ohne Rechnung. Ein Teil der Einnahmen der Lito-Gruppe wird – ebenfalls in bar und ohne Rechnungstellung durch CB – an CB ausgezahlt. CB gibt folglich auch keine Mehrwertsteuererklärungen ab. Nach einer Steuerprüfung stellt die spanische Steuerbehörde fest, dass die Beträge, die CB von der Lito-Gruppe erhalten hat, keine Mehrwertsteuer enthielten. Die Steuerbehörde ist daher der Auffassung, dass die Steuerbemessungsgrundlage für die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Gesamtheit dieser Beträge zu ermitteln sei. CB hingegen argumentiert, dass die Mehrwertsteuer im Preis der erbrachten Dienstleistungen enthalten sein müsse. Nach spanischem Recht sei es ihm nämlich nicht möglich, die auf ihn abgewälzte Mehrwertsteuer einzufordern, weil sein Verhalten ein Steuervergehen darstelle. Das oberste Gericht von Galicien stellte dem EuGH daraufhin die Frage, wie die Bestimmungen der MwStSyst-RL über die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage in Fällen auszulegen seien, in denen der Steuerpflichtige aufgrund von Betrug der Steuerverwaltung Umsätze weder mitgeteilt, noch eine Rechnung ausgestellt hat. Insb wollte das vorlegende Gericht wissen, ob in solchen Fällen davon auszugehen ist, dass die gezahlten und erhaltenen Beträge die Mehrwertsteuer bereits enthalten.

Entscheidung des EuGH

In seiner Urteilsbegründung hebt der EuGH zunächst hervor, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen zu den von der MwStSyst-RL geförderten Zielen gehört. Die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage zähle aber nicht zu den Instrumenten zur Ahndung von Steuerhinterziehungen. In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass Steuerpflichtige, die die Grundregeln der MwStSyst-RL ua in Bezug auf die Rechnungsstellung nicht eingehalten haben, die Konsequenzen ihres Verhaltens selbst zu tragen haben. Die Mehrwertsteuer auf Umsätze, für die keine Rechnung ausgestellt wurde, kann nämlich auch dann nicht in Abzug gebracht werden, wenn nach einer Steuerprüfung rückwirkend Mehrwertsteuer erhoben wurde. Schließlich setzt der Vorsteuerabzug den Besitz einer Rechnung voraus. Dennoch kann der bloße Verstoß gegen die Pflicht zur Rechnungsstellung dem Grundprinzip der MwStSyst-RL, wonach nur der Endverbraucher mit Mehrwertsteuer belastet werden soll, nicht entgegenstehen. Die Wiederherstellung der Situation, die ohne Unregelmäßigkeit und ohne Betrug bestanden hätte, beinhaltet – dem EuGH zufolge – jedenfalls eine unvermeidbare Unsicherheitsmarge. Die Steuerbemessungsgrundlage muss im Fall einer nachträglichen Rekonstruktion wegen des fehlenden Ausweises der Mehrwertsteuer jedenfalls unter Berücksichtigung dieser unvermeidbaren Unsicherheitsmarge verstanden werden. Die Steuerbemessungsgrundlage ist nach Rsp des EuGH zwar als subjektiver Wert anzusehen und umfasst daher grds nicht die Mehrwertsteuer. In concreto ist aber davon auszugehen, dass das Ergebnis eines vom Steuerpflichtigen gegenüber der Steuerverwaltung verschleierten Umsatzes über den eine Rechnung hätte ausgestellt und der der Behörde hätte gemeldet werden müssen, die auf diesen Umsatz entfallende Mehrwertsteuer enthält, wenn das Ergebnis auf einer Rekonstruktion durch die Steuerbehörde beruht. Eine andere Auslegung würde nämlich einen Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität bedeuten, weil ein Teil der Steuerbelastung dann von einem Steuerpflichtigen zu tragen wäre. Die Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes hindert die Mitgliedstaaten – dem EuGH zufolge – nicht daran, Sanktionen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu erlassen.

Conclusio

Mit seiner Entscheidung in der Rs Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia stellt der EuGH klar, wie nationale Steuerbehörden bei verschleierten Umsätzen im Rahmen der Rekonstruktion der Zahlungen sowie deren steuerlichen Einordnung vorzugehen haben. Das Ergebnis eines verschleierten Umsatzes enthält demnach die auf diesen Umsatz entfallende Mehrwertsteuer. Damit widerspricht der EuGH GA Hogan, der in seinen Schlussanträgen davon ausgegangen ist, dass die Mehrwertsteuer aufgrund der konkreten Umstände im gezahlten Preis nicht enthalten sei (vgl GA Hogan 4. 3. 2021, C-521/19, Rn 60). Der EuGH begründet sein Abweichen insb mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität und betont zudem, dass ein Steuerbetrug nicht im Wege der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage geahndet werden dürfe.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31466 vom 21.09.2021