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MwStSyst-RL: Art 98 Abs 2, 135 Abs 2 lit a und Anhang III Nr. 12
Abstract
Der EuGH wurde vom vorlegenden bulgarischen Gericht gefragt, ob die Anwendung des besonderen Steuersatzes für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen (vgl Art 98 Abs 2 iVm Anhang III Nr. 12 MwStSyst-RL) von dem im bulgarischen Recht vorgesehenen Kriterium abhängig gemacht werden darf, dass die betreffende Beherbergungseinrichtung über eine sog. „Einstufungsbescheinigung“ verfügt. Der EuGH stellte eine selektive Anwendung des Art 98 Abs 2 MwStSyst-RL fest. Ob dies zulässig ist, hat das nationale Gericht aufgrund der vom EuGH herausgearbeiteten Bedingungen zu prüfen.
EuGH 8. 2. 2024, C-733/22, “Valentina Heights" EOOD
Sachverhalt
Valentina Heights ist eine Gesellschaft bulgarischen Rechts, deren Gesellschaftszweck ua Tätigkeiten in den Bereichen Tourismus, Bewirtung, Beherbergung und Reiseveranstaltung umfasst. Sie hatte von Privatpersonen eine Apartment-Ferienanlage angemietet und diese im Rahmen einer Beherbergungstätigkeit an Dritte weitervermietet. Dabei wendete Valentina Heights einen ermäßigten Steuersatz von 9 % auf die getätigten Beherbergungsumsätze an. Bei einer Steuerprüfung für den Zeitraum 13. 12. 2016 bis 29. 2. 2020 wurde festgestellt, dass Valentina Heights nach 7. 3. 2019 über keine „Einstufungsbescheinigung“ mehr für die Ferienanlage verfügte. Um den ermäßigten Steuersatz anwenden zu dürfen, mussten Unternehmer nach bulgarischem Recht über eine solche Bescheinigung verfügen. Dies diente dem Nachweis, dass Unternehmer Tätigkeiten ausübten, auf die der ermäßigte Steuersatz anwendbar war. Mangels entsprechender „Einstufungsbescheinigung“ war auf die Umsätze nach dem 7. 3. 2019 der Normalsteuersatz von 20 % anwendbar. Die bulgarische Steuerverwaltung verlangte von Valentina Heights daher, die Umsatzsteuer für den restlichen Prüfungszeitraum nachzuzahlen. Nach mehreren Instanzenzügen geriet der Fall vor das Oberste Verwaltungsgericht in Bulgarien. Dieses stellte im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens gem Art 267 AEUV zwei Fragen an den EuGH, der die beiden Fragen zusammen prüfte. Im Wesentlichen wollte das vorlegende Gericht wissen, ob Mitgliedstaaten für die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen (Art 98 Abs 2 MwStSyst-RL iVm Anhang III Nr. 12) überhaupt verlangen dürfen, dass eine solche Einrichtung über eine „Einstufungsbescheinigung“ verfügt.
Entscheidung des EuGH
Art 98 Abs 2 iVm Anhang III Nr. 12 MwStSyst-RL gestattet den Mitgliedstaaten, einen ermäßigten Steuersatz ua auf die „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ anzuwenden. Die Wendung „Unterbringung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ wird in der MwStSyst-RL nicht weiter definiert. Der EuGH führt jedoch aus, dass Anhang III Nr. 12 im Wesentlichen den gleichen Wortlaut wie Art 135 Abs 2 lit a MwStSyst-RL hat, und wendet in weiterer Folge seine Rsp zum Art 135 auf Art 98 und Anhang III Nr. 12 sinngemäß an.
Art 135 Abs 2 lit a sieht eine Ausnahme von der Steuerbefreiung gem Art 135 Abs 1 lit l vor. Abweichend von der im Abs 1 geregelten Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ist die Gewährung von Unterkunft „nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten“ im Rahmen des ua Hotelgewerbes von der USt nicht befreit (Art 135 Abs 2 lit a). Aus dem Wortlaut des Art 135 Abs 2 lit a (und daher auch Anhang III Nr. 12) ergibt sich, dass die MwStSyst-RL den Mitgliedstaaten bei der Definition des Hotelgewerbes einen Gestaltungsspielraum lässt (s in Bezug auf Art 135 das Urteil EuGH 16. 12. 2010, C‑270/09, MacDonald Resorts, Rn 50). Bulgarien definiert „Beherbergung“ (iSd Anhang III Nr. 12) unter Bezugnahme auf das bulgarische Tourismusgesetz, wonach Beherbergungseinrichtungen über eine „Einstufungsbescheinigung“ verfügen müssen. Nichtsdestotrotz hat die bulgarische Steuerbehörde jene Leistungen von Valentina Heights, die sie ohne „Einstufungsbescheinigung“ erbracht hat, als Gewährung von Unterkunft im Rahmen eines Hotelgewerbes angesehen. Denn die Steuerverwaltung hat den Normalsteuersatz angewendet. Andernfalls wären die Leistungen nämlich gem Art 135 Abs 1 lit l als Vermietung von Grundstücken von der USt befreit gewesen. Somit stellt der EuGH in einem ersten Prüfschritt fest, dass Bulgarien den Art 98 Abs 2 iVm Anhang III Nr. 12 selektiv auf jene Beherbergungseinrichtungen anwendet, die über eine „Einstufungsbescheinigung“ verfügen. Dies ist allerdings nur unter zwei Bedingungen zulässig. Erstens dürfen für Zwecke der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen herausgelöst werden. Zweitens muss der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet werden (mVa EuGH 27. 2. 2014, C‑454/12 und C‑455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, Rn 45).
IZm der ersten Bedingung ist zu prüfen, ob es sich um die Erbringung einer Dienstleistung handelt, die getrennt von den übrigen Leistungen dieser Kategorie als solche bestimmbar ist (mVa EuGH 27. 2. 2014, C‑454/12 und C‑455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, Rn 47). Im vorliegenden Fall gehe aus dem Sachverhalt hervor, dass in Bulgarien alle Beherbergungseinrichtungen eine Einstufung nach dem Tourismusgesetz erhalten müssen, ohne die sie ihre Tätigkeit nicht rechtmäßig ausüben können. Ob dem tatsächlich so ist, soll das nationale Gericht prüfen. Ist dem tatsächlich so, dann ist die Beherbergung in eingestuften Einrichtungen kein konkreter und spezifischer Aspekt der in Anhang III Nr. 12 MwStSyst-RL genannten „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“. Folglich wäre die selektive Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nur auf bescheinigte Beherbergungseinrichtungen unionsrechtswidrig.
ISd Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dürfen gleichartige Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der MwSt nicht unterschiedlich behandelt werden. Im konkreten Fall wäre zu prüfen, ob der Besitz einer „Einstufungsbescheinigung“ aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers einen Unterschied zwischen eingestuften und nicht eingestuften Einrichtungen schaffen kann. Ferner wäre es auch zu prüfen, ob die beiden Einrichtungsarten geeignet sind, jeweils anderen Bedürfnissen dieses Verbrauchers zu dienen, und ein etwaiger Unterschied einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des Verbrauchers zwischen den beiden Beherbergungsarten haben kann. Zwar kann die Einstufung einer Einrichtung durch die nationalen Behörden in den Augen des Durchschnittsverbrauchers grds eine Garantie hinsichtlich des Niveaus, des Umfangs und der Qualität der Dienstleistungen, die ihm während seines Aufenthalts in einem Hotel oder einer ähnlichen Einrichtung erbracht werden, geben. Dennoch kann es nicht ausgeschlossen werden, dass andere Elemente, die leichter abrufbar sind und regelmäßig aktualisiert werden, wie die Bewertungen, Fotos und Kommentare anderer Kunden auf Online-Buchungsplattformen, ebenfalls einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahl des Durchschnittsverbrauchers oder sogar einen stärkeren Einfluss haben können als die Einstufung selbst. Auch diese Prüfung sei jedoch schließlich vom nationalen Gericht vorzunehmen (mVa EuGH 27. 2. 2014, C‑454/12 und C‑455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, Rn 59).
Der EuGH gibt schlussendlich keine sachdienliche Antwort auf die Vorlagefrage, sondern verweist auf jene Bedingungen, die er zunächst in der Rs Kommission/Frankreich herausgearbeitet und in der Rs Pro Med Logistik und Pongratz bestätigt hat (s EuGH 6. 5. 2010, C-94/09, Kommission/Frankreich, Rn 30 und 27. 2. 2014, C‑454/12 und C‑455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, Rn 45).
Conclusio
Im vorliegenden Fall entscheidet der EuGH nicht, ob die selektive Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gem Art 98 Abs 2 iVm Anhang III Nr. 12 MwStSyst-RL durch Bulgarien auf Beherbergungseinrichtungen, die über eine „Einstufungsbescheinigung“ nach dem bulgarischen Tourismusgesetz verfügen, unionsrechtskonform ist. Der Gerichtshof verweist bloß auf die Bedingungen, wonach zum einen nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen für die Zwecke der selektiven Anwendung des ermäßigten Satzes herausgelöst werden dürfen. Zum anderen muss der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet werden. Beide Bedingungen sind von den nationalen Gerichten zu prüfen. Vor dem Hintergrund, dass Valentina Heights während des gesamten Prüfungszeitraumes (2016 bis 2020) beständig dieselbe Leistung erbrachte – bis März 2019 mit und nachher ohne „Einstufungsbescheinigung“ – werden die bulgarischen Gerichte insbesondere die Vereinbarkeit mit dem Neutralitätsgrundsatz schwer bejahen können.