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EuGH zur Steuerbefreiung bei Erbringung von ergänzenden Unterrichtsleistungen

Bearbeiter: Theresa Gessl

MwStSyst-RL: Art 132 Abs 1 lit i

Abstract

In der Rs Happy Education beschäftigte sich der EuGH mit den Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei Erbringung von ergänzenden Unterrichtsleistungen gem Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL. Konkret war fraglich, ob private Einrichtungen, die keine nationale Zertifizierung erhalten, mit öffentlich-rechtlichen Bildungseinrichtungen verglichen werden können und daher die Steuerbefreiung nach Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL zur Anwendung kommt. Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL sieht zwei kumulative Voraussetzungen vor: Es muss (1) sich um Leistungen für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, für Schul- und Hochschulunterricht, für Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung oder eng damit verbundenen Dienstleistungen handeln und (2) die Leistungen müssen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen mit von dem betreffenden MS anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden.

EuGH 28. 4. 2022, C-612/20, Happy Education

Sachverhalt

Happy Education ist eine rumänische Handelsgesellschaft, die Unterrichtsdienstleistungen erbringt. Die Leistungen bestehen in der Organisation ergänzender Aktivitäten zum Schullehrplan, der Unterstützung bei Hausaufgaben, der Organisation von Bildungsprogrammen, Sprach- und Kunstkursen, sportlichen Aktivitäten, Abholen der Kinder aus Bildungseinrichtungen sowie in der Ausgabe von Mahlzeiten. Diese Aktivitäten entsprechen denen, die Teil des Programms „Schule nach der Schule“ – ein rumänisches Bildungsprogramm als Ergänzung zum Schullehrplan – sind. Die teilnehmenden Kinder sind bei verschiedenen Bildungseinrichtungen eingeschrieben. Eine Vereinbarung einer Partnerschaft mit einer Bildungseinrichtung im Rahmen des Programms „Schule nach der Schule“ liegt nicht vor. Das nationale Handelsregisteramt hat Happy Education im Rahmen der nationalen Wirtschaftstätigkeit als „nicht anderweitig eingestuftes übriges Bildungsangebot“ klassifiziert.

Aufgrund der Überschreitung des Umsatzschwellenwerts im Juli 2016 gingen die Finanzbehörden davon aus, dass Happy Education ab August 2016 umsatzsteuerpflichtig sei und setzten gegen sie eine Umsatzsteuerzahllast fest. Dagegen erhob Happy Education Einspruch und machte geltend, dass die Umsätze mit dem Schulunterricht eng verbundene Dienstleistungen iSd rumänischen Rechts sind und diese daher von der Umsatzsteuer gem Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL befreit sind. Die Finanzbehörden wiesen den Einspruch zurück, weil die von Happy Education ausgeübten Tätigkeiten nicht zum staatlichen Bildungssystem gehören und daher die Zielsetzung der Einrichtung nicht mit der von öffentlich-rechtlichen Bildungseinrichtungen vergleichbar ist. Bezüglich dieser Vergleichbarkeit hegte das vorlegende Gericht Zweifel.

Entscheidung des EuGH

Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen fragte das rumänische Landesgericht den EuGH, ob Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL dahin auszulegen ist, dass eine private Einrichtung, die dem Gemeinwohl dienende Bildungstätigkeiten ausübt, unter den Begriff Einrichtungen mit anerkannter vergleichbarer Zielsetzung wie eine öffentlich-rechtliche Bildungseinrichtung iSd MwStSyst-RL fällt. Nach Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL müssen zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Einerseits muss es sich um Leistungen für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, für Schul- und Hochschulunterricht, für Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung oder eng damit verbundene Dienstleistungen handeln. Andererseits müssen die Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden (EuGH 28. 11. 2013, C-319/12, MDDP, Rz 35).

Der EuGH hält fest, dass es grundsätzlich Sache des nationalen Gesetzgebers ist, Regeln aufzustellen, nach denen die betreffenden Einrichtungen als Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung anerkannt werden können. Die nationalen Gerichte haben dabei zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten bei der Aufstellung solcher Regelungen ihr Ermessen nicht überschritten haben und die Grundsätze der steuerlichen Neutralität beachtet haben (vgl dazu EuGH 28. 11. 2013, C-319/12, MDDP, Rz 38 mwN). Im vorliegenden Fall sieht das rumänische Recht vor, dass eine vergleichbare Zielsetzung wie eine öffentlich-rechtliche Bildungseinrichtung für privatwirtschaftliche Einrichtungen dann gegeben ist, wenn es eine Vereinbarung einer Partnerschaft mit einer Bildungseinrichtung im Rahmen des Programms „Schule nach der Schule“ gibt. Da Happy Education keine nationale Zertifizierung erhalten hat und somit – sofern die Grundsätze der steuerlichen Neutralität beachtet wurden – nicht als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung anzusehen ist, ist Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL nicht anwendbar.

Conclusio

Der EuGH kommt in dieser Entscheidung zum Ergebnis, dass es Sache des nationalen Rechts der einzelnen MS ist, Regeln aufzustellen, wonach die betreffenden Einrichtungen als Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung iSd Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL anerkannt werden können (vgl auch EuGH 26. 5. 2005, C-498/03, Kingscrest Associates und Montecello, Rz 49 f). Im vorliegenden Fall lag keine vergleichbare Zielsetzung wie eine öffentlich-rechtliche Bildungseinrichtung vor, weshalb die Steuerbefreiung nach Art 132 Abs 1 lit i MwStSyst-RL nicht zur Anwendung kommt. Fraglich ist, ob die Leistungen der Klägerin unter Art 132 Abs 1 lit j MwStSyst-RL fallen. Dazu hat sich der EuGH jedoch nicht geäußert.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32901 vom 08.08.2022