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EuGH zur Steuerbefreiung von Versicherumsätzen und dazugehörigen Dienstleistungen

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

MwStSyst-RL: Art 1 Abs 2 UAbs 2

MwStSyst-RL: Art 135 Abs 1 lit a

Abstract

In der Rs Q-GmbH befasste sich der EuGH mit der Einheitlichkeit von Leistungen und einer etwaigen Anwendbarkeit der Steuerbefreiung für Versicherungsumsätze. Die Mehrwertsteuerbefreiung des Art 135 Abs 1 lit a MwStSyst-RL findet auf die Bereitstellung eines Versicherungsproduktes an eine Versicherungsgesellschaft jedenfalls keine Anwendung, weil es an der notwendigen (un-)mittelbaren Verbindung zum Versicherten fehlt.

EuGH 25. 3. 2021, C-907/19, Q-GmbH (Assurance de risques spéciaux)

Sachverhalt

Die Q-GmbH ist im Versicherungsgeschäft tätig. Sie entwickelt, vermarktet und vermittelt Versicherungsprodukte. Im Zuge ihrer Tätigkeit schließt sie einen Vertrag mit der F-Versicherungs-AG, der die Erbringung verschiedener Dienstleistungen ua die Zurverfügungstellung einer Nutzungslizenz für ein eigens entwickeltes Versicherungsprodukt, die Vermittlung von Versicherungsverträgen und die Übernahme der Verwaltung dieser Verträge sowie Schadensregulierung, vorsieht. Dafür erhält die Q-GmbH eine Vergütung in Form einer Courtage. Im Rahmen der Umsatzsteuererklärung für das Steuerjahr 2011 macht die Q-GmbH die Steuerfreiheit sämtlicher Leistungen geltend. Die deutsche Finanzverwaltung folgt dieser Ansicht nicht und geht von mehreren unterschiedlichen Leistungen aus, von denen nur die Vermittlung der Versicherungsverträge steuerbefreit sei. Die Q-GmbH vertritt demgegenüber die Auffassung, es liege eine einheitliche Leistung iSd EuGH-Rsp vor, die sich aus einer Haupt- und mehreren Nebenleistung zusammensetzt, weshalb die Steuerbefreiung auf die einheitliche Leistung als Ganzes anwendbar ist. Auch der BFH geht in seinem Vorlagebeschluss von einer einheitlichen Leistung aus, unterwirft diese aber dem Normalsteuersatz. Das Höchstgericht ersucht den EuGH daraufhin um Vorabentscheidung dahingehend, ob eine nach Art 135 Abs 1 lit a der MwStSyst-RL steuerbefreite Dienstleistung vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger für eine Versicherungsgesellschaft neben einer Vermittlungstätigkeit zusätzlich auch das vermittelte Versicherungsprodukt zur Verfügung stellt.

Entscheidung des EuGH

Nach stRsp des EuGH sind Leistungen grundsätzlich eigenständig zu betrachten und auch einzeln zu besteuern. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht für einheitliche Leistungen, denn Umsätze dürfen im Interesse eines funktionierenden MwSt-Systems nicht künstlich aufgespalten werden. Eine einheitliche Leistung liegt ua dann vor, wenn ein Teil der Gesamtleistung als Hauptleistung und die anderen Teile als Nebenleistung qualifiziert werden können. Von einer Nebenleistung ist dabei insb bei Leistungsbestandteilen auszugehen, die für den Kunden ohne der Hauptleistung keinen eigenständigen Zweck haben und lediglich die optimale Inanspruchnahme der Hauptleistung gewährleisten.

Im Zusammenhang mit den von der Q-GmbH angebotenen Leistungen hält der EuGH fest, dass die Lizenz einem Versicherer zwar ermöglicht, das Versicherungsprodukt seinen potenziellen Kunden anzubieten, diesen aber nicht dazu verpflichtet, auch die von der Q-GmbH angebotenen Vermittlungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die angebotene Vermittlungsleistung sei demnach für den Vertrieb des Versicherungsproduktes nicht unerlässlich und könne daher auch eine eigenständige Leistung darstellen. Ausgehend vom Vorlagebeschluss sei jedenfalls nicht davon auszugehen, dass es sich im konkreten Fall um eine einheitliche Leistung handle. Dies habe der BFH aber im fortgesetzten Verfahren zu prüfen. Sollte das Höchstgericht im Ergebnis von einer einheitlichen Leistung ausgehen, verweist der EuGH auf seine stRsp, wonach die Nebenleistung mehrwertsteuerlich genauso zu behandeln ist wie die Hauptleistung. Wäre die Hauptleistung nach Art 135 Abs 1 lit a MwStyst-RL steuerbefreit, wäre somit der gesamte Umsatz als einheitliche Leistung von der Mehrwertsteuer befreit. Nach Auffassung des EuGH bestehe die Hauptleistung im konkreten Fall aus der Gewährung von Lizenzen zur Verwendung eines Versicherungsprodukts. Die Lizenzgewährung sei aber weder als „Versicherungs- und Rückversicherungsumsatz“ iSd Art 135 Abs 1 lit a MwStSyst-RL, noch als „dazugehörige Dienstleistung[en], die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht wird [werden]“ zu qualifizieren, weil es an der notwendigen Voraussetzung einer Verbindung zwischen dem Lizenzgeber und dem Versicherten mangle. Eine Anwendung der Steuerbefreiung auf die einheitliche Leistung scheide daher aus.

Conclusio

In seiner Begründung verweist der EuGH weitestgehend auf seine bisherige Rsp zur Einheitlichkeit von Leistungen (vgl etwa EuGH 2. 7. 2020, C-231/19, Blackrock Investment Management; 18. 1. 2018, C-463/16, Stadion Amsterdam). Der Leitsatz der Entscheidung ist demnach nicht weiter überraschend. Bemerkenswert ist aber, dass der EuGH in seiner Entscheidung insb die Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenleistung analysiert, zumal ihm diese Frage vom BFH nicht gestellt wurde. Vielmehr ging der BFH in seinem Vorlagebeschluss (EuGH-Vorlage vom 5. 9. 2019, V R 58/17) bereits vom Vorliegen einer einheitlichen Leistung aus und war sich lediglich in Bezug auf die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung des Art 135 Abs 1 lit a MwStSyst-RL unsicher. Abzuwarten bleibt, ob der BFH der Aufforderung des EuGH zur nochmaligen Prüfung der Einheitlichkeit der Leistung folgt, die Vermittlungsleistung als selbständige Leistung qualifiziert und in weiterer Folge steuerfrei stellt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30868 vom 10.05.2021