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EuGH zur Umsatzsteuerbarkeit des ORF-Programmentgelts

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 2 Abs 1 lit c

MwStSyst-RL: Art 378 Abs 1

Abstract

Der EuGH befasste sich in der Rs GIS mit der Frage, ob das ORF Programmentgelt als Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL anzusehen ist. Mitunter ist unklar, inwiefern die Beitrittsbedingungen Österreichs zur EU bei der Auslegung von Art 2 Abs 1 heranzuziehen sind und ob die Entscheidungsgründe des EuGH zur tschechischen Rundfunkgebühr (EuGH 22. 6. 2016, C-11/15, Český rozhlas) auf das ORF-Programmentgelt angewendet werden können.

EUGH 25. 5. 2023, C-249/22, GIS

Sachverhalt

Die Revisionswerberin (Rw) ist am Standort Wien bei der Gebühren Info Service GmbH (GIS) als Rundfunkteilnehmerin registriert. Der Standort wird digital-terrestrisch mit den Programmen des ORF versorgt, ein Empfang mit Zimmerantenne wäre daher grundsätzlich möglich. Die Tatsache, dass die Rw über keine SAT-Karte (Smartcard) verfügt und folglich die Programme nicht empfangen kann, ändert nichts am Entstehen der Zahlungsverpflichtung des ORF-Programmentgelts gem § 31 Abs 10 ORF-G. Im Zeitraum 2013—2018 wurde der Rw zusätzlich zum ORF-Programmentgelt die Umsatzsteuer iHv 10 % verrechnet. Basierend auf dem Urteil des EuGH zur tschechischen Rundfunkgebühr (EuGH 22. 6. 2016, C-11/15, Český rozhlas) beantragte die Rw, dass die GIS mit Bescheid festlegt, dass die in diesem Zeitraum bezahlte Umsatzsteuer zurückerstattet wird. Wesentliches Argument der Rw war, dass zwischen der Tätigkeit des ORF und der Zahlung des ORF-Programmentgelts kein für Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL notwendiger unmittelbarer Zusammenhang gegeben ist. Nachdem die ersten beiden Instanzen das Begehren abgewiesen haben, legte der VwGH dem EuGH folgende Frage vor: „Ist ein Entgelt wie das österreichische ORF-Programmentgelt, (…), unter Berücksichtigung der primärrechtlichen Bestimmung des Art. 151 Abs. 1 iVm Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchstabe h Unterabsatz 1 zweiter Gedankenstrich der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge (Abl. C 241 vom 29. August 1994, S 336) als Entgelt iSd Art. 2 in Verbindung mit Art. 378 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG (…) anzusehen?“

Entscheidung des EuGH

In erster Linie führt der EuGH aus, dass eine Dienstleistung iSd Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL nach stRsp gegen Entgelt erbracht wird, wenn die Parteien eine Vereinbarung über einen Preis oder einen Gegenwert getroffen haben. Sollte sich die Tätigkeit darauf beschränken, Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, fehlt es daher an einer Besteuerungsgrundlage. Folglich bedarf es eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger und eines unmittelbaren Zusammenhanges zwischen der Leistung und der Gegenleistung (EuGH 22. 6. 2016, Český rozhlas, C-11/15, Rn 21 f).

Darauffolgend führt der EuGH aus, dass Art 132 Abs 1 lit q MwStSyst-RL eine Steuerbefreiung für Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten vorsieht. Die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung setzt allerdings voraus, dass eine Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1MwStSyst-RL vorliegt und somit der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet ist. Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL entspricht der Beitrittsakte und erlaubt Österreich, die in Anhang X Teil A Nr 2 MwStSyst-RL genannten Umsätze, darunter Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, weiterhin zu besteuern. In weiterer Folge prüft der EuGH wie weit diese Ausnahme reicht. Dabei ist insbesondere fraglich, ob eine Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL vorliegen muss, damit Österreich die Tätigkeiten einer Rundfunkanstalt weiterhin iSd Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL besteuern darf und somit von der in Art 132 Abs 1 lit q MwStSyst-RL normierten Steuerbefreiung abweichen kann.

Diesbezüglich führt der EuGH aus, dass bei der Auslegung des Unionsrechts nicht allein der Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang und die Ziele einer Bestimmung zu berücksichtigen sind. Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten ist jener der Vorzug zu geben, mit der die praktische Wirksamkeit der Vorschrift gewährt werden kann (EuGH 7. 3. 2017, Cristal Union, C-31/17, Rn 41). Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL besagt, dass Österreich bestimmte Umsätze „weiterhin besteuern“ darf. Basierend auf dem Wortlaut ist Österreich befugt ein bereits bestehendes System der Besteuerung aufrechtzuerhalten. Bezüglich des Zieles der Vorschrift stellt der Gerichtshof fest, dass diese Bestimmung der Umsetzung der Ausnahme dient, die der Republik Österreich durch Art 151 Abs 1 der Beitrittsakte gewährt worden ist. Wie aus den Dokumenten zu den Verhandlungen über den Beitritt zur Union hervorgeht, hat die Republik Österreich darum gebeten, Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten ausnahmsweise weiterhin der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Die Mitgliedstaaten haben dieser Bitte entsprochen.

Basierend auf dieser Auslegung darf Österreich das ORF-Programmentgelt weiterhin, wie bereits vor dem Beitritt zur Union, der Mehrwertsteuer unterwerfen. Der EuGH führt zudem explizit aus, dass sich auch aus der Entscheidung in der Rs Český rozhlas (C-11/15, Rn 32) nichts anderes ergibt. In dieser Entscheidung befasste sich der EuGH nämlich nicht mit einer Ausnahmebestimmung wie hier Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL. Folglich ist Art 2 Abs 1 lit c und Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL iVm Art 151 Abs 1 der Beitrittsakte dahin auszulegen, dass die Republik Österreich eine Tätigkeit des öffentlichen Rundfunks, die durch eine gesetzliche Zwangsgebühr finanziert wird, der Mehrwertsteuer unterwerfen darf.

Conclusio

Auch wenn dieser Rechtssache aufgrund der Abschaffung des ORF-Programmentgelts in dieser Form mit 1. 1. 2024 in Österreich keine allzu große praktische Bedeutung zukommen wird, so wurde die Entscheidung des EuGH aufgrund der methodisch bedeutsamen Fragestellung und der in dieser Form unerwarteten Schlussanträge des GA Szpunar (GA Szpunar 25. 5. 2023, C-249/22, GIS)mit Spannung erwartet. Konkret wurde der EuGH mit der Frage befasst, inwiefern der Beitrittsvertrag bzw die sekundärrechtliche Umsetzung (Art 378 Abs 1) der Beitrittsbestimmung bei der Auslegung von Art 2 Abs 1 lit c MwStSyst-RL heranzuziehen ist. Hervorsticht, dass der EuGH in der Entscheidung nicht auf die Schlussanträge Bezug nimmt und auch zu einem gänzlich anderen Ergebnis als GA Szpunar kommt. Während der GA überraschenderweise davon ausging, dass die Umsatzsteuer, die Österreich beim ORF-Programmentgelt erhebt, mangels Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL keine Umsatzsteuer iSd Richtlinie, sondern eine direkt öffentliche Abgabe ist, die unglücklicherweise in Österreich auch als Umsatzsteuer bezeichnet wird, kommt der EuGH nun zu einem überzeugenderen Auslegungsergebnis: Grundsätzlich verlangt Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL ein Rechtsverhältnis innerhalb dessen geleistet wird und einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Auch wenn diese Voraussetzungen, wie bereits die Entscheidung des EuGH in der Rs Český rozhlas gezeigt hat, bei Rundfunkgebühren regelmäßig nicht erfüllt sind, ergibt sich beim ORF-Programmentgelt durch Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL ein abweichendes Bild. Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL erlaubt es Österreich das Programmentgelt auch nach dem Beitritt zur Union wie bereits zuvor der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Diese Bestimmung darf nicht nur als Ausnahme zur Steuerbefreiung in Art 132 Abs 1 lit q MwStSyst-RL gesehen werden. Vielmehr führt diese Ausnahmebestimmung auch zu einem abweichenden Auslegungsergebnis des Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL. Im Falle des ORF-Programmentgelts ist basierend auf Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL somit kein Rechtsverhältnis und kein unmittelbarer Zusammenhang notwendig, damit dieser Umsatz in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Bei einer gegenteiligen Auslegung würde die Beitrittsbestimmung und damit zusammenhängend die Ausnahmeregelung in Art 378 Abs 1 MwStSyst-RL ins Leere laufen (zu diesem Auslegungsergebnis kommend siehe bereits Borns, Zur Umsatzsteuerbarkeit des ORF-Programmentgelts, ecolex 2022, 658; Lang/Dziurdz, Die umsatzsteuerliche Behandlung des ORF-Programmentgelts im Lichte der jüngsten EuGH-Judikatur, SWK 2016, 1244).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34825 vom 06.12.2023