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Familienunternehmen – Auslegung des Gesellschaftsvertrags

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: §§ 914 ff

UGB: § 137

1. Bei Publikumsgesellschaften tritt die objektive Auslegung des Gesellschaftsvertrags in den Vordergrund. Unter Publikumsgesellschaften werden Gesellschaften verstanden, die nicht auf einen festen Mitgliederbestand angelegt sind, sondern sich, zumeist mit Prospektwerbung, an ein breites Anlegerpublikum wenden, also grundsätzlich für beliebige Interessenten als Anlagegesellschaften offen sind.

Die vorliegenden KG war keine Publikumsgesellschaft in diesem Sinn (keine offene Mitgliedschaft); vielmehr ist im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich der Charakter als Familienunternehmen hervorgehoben. Allerdings ist bei der Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu berücksichtigen, dass die Gesellschaft eine außerordentlich große Anzahl von Gesellschaftern hat. Dieser Umstand lässt es zumindest nicht naheliegend erscheinen, dass alle Gesellschafter den gleichen Informationsstand aufweisen. Aus diesem Grund ist auch bei einer derartigen Gesellschafterstruktur der Gesellschaftsvertrag jedenfalls dann objektiv auszulegen, wenn keine Feststellungen über allen Gesellschaftern gemeinsame Vorstellungen oder Absichten getroffen werden können.

2. Die Frage der Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters muss für alle Gesellschafter schon aus Gründen der Gleichbehandlung notwendig gleich beurteilt werden; insoweit besteht kein Raum für eine Differenzierung danach, ob der konkrete Rechtsstreit zwischen den ursprünglichen Gesellschaftern stattfindet oder ob daran auch neu hinzugekommene Gesellschafter beteiligt sind.

Zur hier strittigen Frage der Höhe des Abfindungsbetrags hält der OGH ua fest, dass es bei der Bemessung der Abfindung nach § 137 Abs 2 UGB keine Rolle spielt, dass die Anteile nur innerhalb der Familie veräußert werden konnten.

OGH 25. 11. 2020, 6 Ob 96/20s

Sachverhalt

Der vorliegende Fall betrifft die Umwandlung einer KG in eine AG. Die Kl waren mit der Rechtsformänderung nicht einverstanden und schieden daher mit Ablauf des 20. 12. 2013 als Kommanditisten aus.

Strittig ist die Höhe ihrer Abfindung, und zwar konkret va die Auslegung des § 19c Abs 6 des Gesellschaftsvertrags, der von einer „angemessenen“ Abfindung spricht und als Untergrenze den „Bilanzwert“ der Einlagen vorsieht.

Die Vorinstanzen wiesen die Klagen ab.

Der OGH ließ die Revision aus Gründen der Rechtssicherheit zu, weil sich im vorliegenden Fall über den Einzelfall hinausgehende Fragen der Grenzen zulässiger Gestaltung der Abfindung und der Auslegung gesellschaftsvertraglicher Buchwertklauseln stellen. Die Revision war auch teilweise berechtigt.

Entscheidung

Abfindung nach § 137 Abs 2 UGB

Zunächst hält der OGH fest, dass den Kl nach § 137 Abs 2 UGB der volle Verkehrswert ihrer Anteile zustünde:

Für Zwecke der Ermittlung des Abfindungsbetrags ist nach § 137 Abs 2 UGB anzunehmen, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt des Ausscheidens des Gesellschafters aufgelöst worden wäre. Dabei vollzieht sich die Ermittlung des Abfindungsguthabens in zwei Schritten: Zunächst muss der Wert des Gesellschaftsvermögens (erforderlichenfalls durch Schätzung) ermittelt werden, dabei sind die wahren Werte heranzuziehen, nicht die Buchwerte. Sodann ist aufgrund des Kapitalanteils der auf den Gesellschafter entfallende Anteil zu berechnen. Ziel der Unternehmensbewertung ist stets die Ermittlung des Marktwerts, somit jenes Preises, der bei Verkauf des Unternehmens im Liquidationsverfahren erzielt werden könnte.

Die Höhe der Abfindung entspricht nach § 137 Abs 2 S 1 UGB dem fiktiven Auseinandersetzungserlös nach einer Auflösung der Gesellschaft. Daher ist grundsätzlich der Gegenwert der Beteiligung am lebenden Unternehmen, nicht der Zerschlagungswert anzusetzen.

Anders als beim Squeeze-out nach dem GesAusG muss dabei nicht ein Abfindungspreis ermittelt werden, der im Verhältnis zu den verbleibenden Gesellschaftern „gerecht“ ist; § 137 Abs 2 S 1 UGB erübrigt die daran notwendig geknüpften diffizilen Wertungsfragen schon dadurch, dass er – ausgehend vom personengesellschaftlichen Grundkonzept der Auflösung der Gesellschaft – die Abfindung zum fiktiven Liquidationserlös vorschreibt. Aus diesem Grund werden auch sogenannte shareholder-level-discounts nicht berücksichtigt und ist auch kein Minderheiten- und Fungibilitätsabschlag vorzunehmen.

Dass Anteile nur innerhalb der Familie veräußert werden konnten, spielt bei der Bemessung der Abfindung nach § 137 Abs 2 UGB keine Rolle, kommt doch diese Einschränkung bei der – Maßstab für die Bemessung der Abfindung bildenden – (fiktiven) Liquidation nicht zum Tragen.

Auch der erzielte Preis bei bisherigen Veräußerungen innerhalb der Familie (bestimmtes Vielfaches des Nominalwerts) war hier schon aufgrund der relativ geringen Anzahl der Transaktionen nicht als repräsentativ anzusehen.

„Angemessene“ Abfindung laut Gesellschaftsvertrag

Während die Kl über § 137 UGB zum Verkehrswert als maßgebliche Bezugsgröße für ihre Abfindung gelangen, lehnt das BerufungsG eine Orientierung an § 137 Abs 2 UGB ab, weil mit § 19c Abs 6 des Gesellschaftsvertrags (über eine „angemessene“ Abfindung) die gesetzliche Regelung des § 137 UGB abbedungen werden sollte (die gesetzlichen Regelungen über den Abfindungsanspruch sind dispositiv) und daher jede Orientierung an § 137 Abs 2 UGB ausgeschlossen sei.

Allerdings wurde von den Vorinstanzen gleichzeitig die Negativfeststellung getroffen, es stehe nicht fest, dass die Gesellschafter bei der Abstimmung schon auf eine bestimmte Berechnungsmethode abgezielt hätten. Damit kann aber nicht zwanglos davon ausgegangen werden, dass die „angemessene“ Abfindung gem § 19c Abs 6 des Gesellschaftsvertrags keinerlei Bezug zu § 137 Abs 2 UGB haben sollte. Vielmehr liegt nahe, zur Konkretisierung der „Angemessenheit“ auf das dispositive Recht – als Leitbild eines abgewogenen und gerechten Interessenausgleichs (RS0014676; RS0016591) – zurückzugreifen.

§ 19c Abs 6 des Gesellschaftsvertrags spricht von einer „angemessenen“ Abfindung, wobei jedoch als Untergrenze der „Bilanzwert seiner Einlagen und aller anteilsmäßigen offenen Rücklagen“ vorgesehen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage nach der Bedeutung der „angemessenen“ Abfindung, sondern auch die Frage, ob der als Untergrenze vorgesehene Buchwert auf Basis des Einzelabschlusses oder des Konzernabschlusses zu ermitteln ist.

Buchwertklauseln werden als grundsätzlich zulässig angesehen; sie tragen dem Interesse der Gesellschaft Rechnung, Liquidität und Fortbestand des Unternehmens nicht durch unerträglich hohe Abfindungen zu gefährden. Wie bei gesellschaftsvertraglichen Abfindungsregelungen überhaupt sind allerdings auch hier die gesetzlichen Zulässigkeitsschranken zu beachten.

Im vorliegenden Fall kann die Normierung einer von den Regeln des UGB abweichenden Berechnungsmethode nur bedeuten, dass die Vereinbarung einer „angemessenen“ Abfindung dahin auszulegen ist, dass der ausscheidende Gesellschafter nicht in einer Höhe abgefunden werden muss, der seinem Anteil am Verkehrswert des Gesellschaftsvermögens (bzw des Unternehmens, wenn – wie hier – ein Unternehmen betrieben wird) entspricht. Eine angemessene Abfindung iSd § 19c Abs 6 des Gesellschaftsvertrags liegt demnach zwischen Verkehrswert und Mindestabfindung.

Nach K. Schmidt (in MünchKomm HGB4 § 131 Rz 167) hat die „Angemessenheit“ verschiedene Maßstäbe, einen auf den Abfindungswert bezogenen Maßstab, einen auf den Abfindungsanlass bezogenen Maßstab und einen auf die Art der Beteiligung bezogenen Maßstab. Nur eine Gesamtschau dieser Maßstäbe lässt eine Entscheidung im Einzelfall zu. Entscheidend ist, ob die Abfindungsregelung im Kern der gesetzlichen Regelung entspricht und im Wesentlichen zur Abgeltung des vollen Werts des Gesellschaftsanteils und nicht zu einer Bereicherung der verbleibenden Gesellschafter führt.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass den gegenläufigen Interessen der ausscheidenden Gesellschafter einerseits und der verbleibenden Gesellschafter andererseits durch einen Abschlag vom anteiligen Verkehrswert Rechnung zu tragen ist. Für diesen Abschlag erscheint eine Höhe von 20 % sachgerecht, sodass die Kl Anspruch auf Abfindung in Höhe von 80 % des Verkehrswerts ihrer Anteile an der KG haben.

Untergrenze Buchwert laut Gesellschaftsvertrag

Da die Auslegung des Gesellschaftsvertrags somit ergibt, dass der Abfindungsbetrag in weitgehender Anlehnung an den Verkehrswert der Anteile festzusetzen ist, bedarf es keiner abschließenden Beurteilung der Frage, ob der in § 19 Abs 6 des Gesellschaftsvertrags als Untergrenze des Abfindungsanspruchs vorgesehenen Buchwert auf Basis des Einzelabschlusses oder des Konzernabschlusses zu ermitteln ist (dazu Schön, Buchwertabfindung im Personengesellschaftskonzern, ZHR 166 [2002] 585). Ein Rückgriff auf die Buchwerte als Korrektiv wäre nur dann erforderlich, wenn man die „angemessene Abfindung“ im Einklang mit dem Prozessstandpunkt der Bekl dahin verstünde, dass lediglich das 4,1-fache des Nominales zustände. In diesem Fall wäre eine Heranziehung von Buchwerten bloß auf Basis des Einzelabschlusses hier nicht sachgerecht.

Im vorliegenden Fall fungierte die KG schon vor 2005 als Holding-Gesellschaft (vgl zur Differenzierung zwischen „ursprünglicher“ und „nachträglicher“ Holdingfunktion Schön, ZHR 166, 589 ff). Der Konzernbuchwert ist infolge der offenen Rücklagen eklatant höher als der Einzelbuchwert. Vor diesem Hintergrund muss bezweifelt werden, dass die Gesellschafter mit der Übernahme der seit Jahrzehnten im Gesellschaftsvertrag der KG enthaltenen Buchwertklausel (vgl 1 Ob 531/86, RdW 1986, 241), die aber nie zur Anwendung gelangte, im Jahr 2005 für den neuen Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters, wonach aber die Abfindung primär in angemessener Höhe geschuldet wird, die klare Vorstellung verbanden, dass ihr Abfindungsguthaben dauerhaft nach Maßgabe der ursprünglichen Anschaffungskosten der erworbenen Beteiligungen bemessen sein wird (vgl Schön, ZHR 166, 590 f).

Der OGH sieht hier auch kein überzeugendes Interesse der Gesellschaft daran, dass sich ein Gesellschafter, der eine Rechtsformänderung nicht mitmachen will und deshalb ausscheiden muss, mit dem idR niedrigeren Ansatz aus der Einzelbilanz der KG zufrieden geben soll.

Zusammenfassend steht den Kl somit eine Abfindung iHv 80 % des Verkehrswerts ihrer Anteile an der KG zu.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30427 vom 15.02.2021