News

GA Ćapeta zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Vorrichtungen zum Aufladen von Elektrofahrzeugen

Bearbeiter: Bence Komár

MwStSyst-RL: Art 14 Abs 1 und Abs 2 lit c, Art 15 Abs 1

Abstract

Die Zahl der Elektrofahrzeuge, die in der Europäischen Union zugelassen werden, nimmt stetig zu. Damit diese Fahrzeuge genutzt werden können, wird parallel die dafür erforderliche Infrastruktur, wie etwa Ladepunkte, ausgebaut. Diese Entwicklungen erfordern, dass neue Rechtsvorschriften erlassen werden oder bereits bestehende Rechtsvorschriften neu ausgelegt werden, um die mit dem Wandel neu auftretenden Rechtsbeziehungen zu regeln. In der vorliegenden Rechtssache beschäftigt sich die GA Tamara Ćapeta mit der Auslegung der MwStSyst-RL iZm Umsätzen, in denen ein Mobilitätsanbieter durch bestimmte Vorrichtungen Zugang zu einem Netzwerk von Ladepunkten gewährt, die von Dritten betrieben werden.

SA GA Ćapeta vom 25. 4. 2024, C-60/23, Digital Charging Solutions

Sachverhalt

DCS ist eine Gesellschaft ansässig in Deutschland ohne feste Niederlassung in Schweden. Ihre wirtschaftliche Tätigkeit besteht darin, Elektrofahrzeugnutzern (ua) in Schweden Zugang zu einem Ladepunktnetzwerk zur Verfügung zu stellen. Durch dieses Netzwerk erhalten die Nutzer Information über die Preise, Standorte und Verfügbarkeit von Ladepunkten. Das Netzwerk enthält außerdem Funktionen für das Auffinden von Ladepunkten und Routenplanung. Die Ladepunkte selbst werden von Dritten betrieben. Um Fahrzeuge an den Ladestationen aufzuladen, stattet DCS die Nutzer mit einer Karte und einer Authentifizierungsapplikation aus. Bei Verwenden der Karte oder App wird das Aufladen beim jeweiligen Ladepunktbetreiber registriert. Dieser stellt den Ladevorgang DCS in Rechnung. Auf Grundlage der von den Ladepunktbetreibern erhaltenen Rechnungen stellt DCS ihrerseits den Karten- bzw App-Nutzern Rechnungen für die gelieferte Menge Elektrizität aus. Unabhängig davon, ob Elektrizität erworben wurde, verrechnet DCS ihren Nutzern zudem eine fixe Gebühr pro Monat für den Zugang und die Nutzung des Netzwerkes. Kunden können von DCS Elektrizität nicht kaufen, ohne zugleich für den Zugang zum Netzwerk zu zahlen. Die schwedische Steuerverwaltung ging davon aus, dass DCS eine komplexe einheitliche Leistung erbringt, deren charakteristischer Teil in der Lieferung von Elektrizität besteht. Diese Einordnung führt dazu, dass der Lieferort der gesamten Leistung in Schweden ist (s Art 39 MwStSyst-RL). DCS wollte hingegen, dass nur ein Teil ihrer gesamten Leistung, nämlich die Lieferung von Elektrizität, in Schweden besteuert wird. Die Dienstleistungen (Auffinden von Ladestationen in der App, Routenplanung etc) hätten in Deutschland besteuert werden sollen. Das Oberste Verwaltungsgericht in Schweden fragte schließlich den EuGH, ob im vorliegenden Geschäftsmodell eine Lieferung von Elektrizität in allen Abschnitten einer mehrstufigen Umsatzkette gegeben ist, selbst wenn – wie im gegenständlichen Fall – nur der Elektrofahrzeugnutzer über Menge, Zeitpunkt und Ort der Aufladung sowie die Art der Verwendung der Elektrizität entscheiden kann.

Schlussanträge der GA Ćapeta

Entgegen der schwedischen Steuerverwaltung geht die GA von zwei voneinander getrennten Leistungen aus: eine Dienstleistungserbringung (Zugang zum Netzwerk) und eine Lieferung von Gegenständen (Elektrizität). Sie subsumiert sodann die Lieferung von Elektrizität unter Art 14 Abs 2 lit c MwStSyst-RL (Kommissionsmodell). Diese Bestimmung begründet eine juristische Fiktion zweier gleichartiger Lieferungen, die nacheinander erfolgen. Auf den vorliegenden Fall umgelegt bedeutet dies, dass die Ladepunktbetreiber eine Lieferung an DCS und DCS eine Lieferung an die Elektrofahrzeugnutzer ausführt. Eine Lieferung durch DCS iSd Art 14 Abs 2 lit c MwStSyst-RL liegt selbst dann vor, wenn DCS durch die Ladepunktbetreiber nicht befähigt wird, wie ein Eigentümer über die gelieferte Elektrizität zu verfügen. (Anm: Im Ausgangsfall kann DCS nicht über Menge, Zeitpunkt und Ort der Aufladung sowie die Art der Verwendung der Elektrizität entscheiden. Somit wird sie von den Ladepunktbetreibern nicht befähigt, wie ein Eigentümer über die gelieferte Elektrizität zu verfügen.)

Um unter das Kommissionsmodell gem Art 14 Abs 2 lit c MwStSyst-RL zu fallen, müssen die betreffenden Umsätze zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum einen muss es einen Auftrag geben, zu dessen Ausführung der Kommissionär für Rechnung des Kommittenten tätig wird. Zum anderen müssen die Lieferungen, die der Kommissionär erwirbt, sowie die Lieferungen, die auf den Kommittenten übertragen werden, gleichartig sein. In Bezug auf die erste Voraussetzung sind die Elektrofahrzeugnutzer die Kommittenten und DCS der Kommissionär. Durch Vorzeigen der Karte oder App beim Ladepunkt beauftragen die Elektrofahrzeugnutzer DCS, eine bestimmte Menge Elektrizität für ihre Rechnung zu kaufen (Einkaufskommission). Fraglich ist, ob die zweite Voraussetzung auch erfüllt wird, weil DCS ihren Nutzern nicht nur Elektrizität liefert, sondern auch zusätzliche (Dienst-)Leistungen erbringt. Die Erbringung der Dienstleistungen in Bezug auf die Nutzung der Karte bzw Applikation lässt sich nach Ansicht der GA jedoch von der Lieferung von Elektrizität trennen. Die zu erfolgende Lieferung von Elektrizität ist somit gleichartig zwischen dem Ladepunktbetreiber und DCS wie zwischen DCS und den Elektrofahrzeugnutzern. Somit werden beide Voraussetzungen des Kommissionsmodells erfüllt und die gegenständlichen Umsätze können unter Art 14 Abs 2 lit c MwStSyst-RL subsumiert werden.

Conclusio

In ihren Schlussanträgen zeigt GA Ćapeta drei Möglichkeiten für die umsatzsteuerliche Einstufung der gegenständlichen Umsätze von DCS als Lieferung oder Dienstleistung auf. Nach der Rsp-Linie Auto Lease Holland und Vega International zu Tankkarten (EuGH 6. 2. 2003, C‑185/01, Auto Lease Holland; 15. 5. 2019, C‑235/18, Vega International) könnte eine steuerbefreite Finanzdienstleistung angenommen werden. Die GA spricht sich jedoch dagegen aus. In den genannten Urteilen legte der EuGH den Schwerpunkt weniger auf die Lieferung von Gegenständen (dort Kraftstoff) als auf die Zahlungsmodalitäten (dort Vorfinanzierung des Kraftstofferwerbs) für diese Lieferungen. Das Aufladen von Elektrofahrzeugen kann (anders als das Tanken mit Kraftstoff) nur unter Verwendung der betreffenden Karte oder App, die den Zugang zum Netzwerk ermöglicht, erfolgen. Ihre Funktion besteht somit nicht in einer bestimmten Zahlungsvereinbarung oder Vorfinanzierung, sondern in der Ermöglichung des Ladevorgangs an sich.

Zweitens wäre die Anwendung des vom MwSt-Ausschuss erarbeiteten sog „Kauf-Verkaufsmodells“ denkbar (Leitlinien aus der 118. Sitzung vom 19. April 2021, Dokument C‑taxud.c.1(2021)6657618-1018). Dabei handelt es sich um zwei Lieferungen gem Art 14 Abs 1 MwStSyst-RL. Das „Kauf-Verkaufsmodell“ würde jedoch voraussetzen, dass sowohl DCS als auch die Elektrofahrzeugnutzer befähigt werden, über die gelieferte Elektrizität wie deren Eigentümer zu verfügen. Dafür müsste DCS über Menge, Zeitpunkt und Ort der Aufladung sowie die Art der Verwendung der Elektrizität entscheiden können (EuGH 15. 5. 2019, C‑235/18, Vega International, Rn 34). Dies ist im Ausgangssachverhalt nicht der Fall.

GA Ćapeta spricht sich schlussendlich für die Anwendung des Art 14 Abs 2 lit c MwStSyst-RL aus. Im Unterschied zum Art 14 Abs 1 setzt Abs 2 lit c nicht voraus, dass der Kommissionär (hier: DCS) wie ein Eigentümer über den gelieferten Gegenstand verfügen kann. Die Einordnung des Umsatzes als Einkaufskommission entspräche auch am ehesten der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität. Die entsprechende österreichische Regelung zum Kommissionsmodell ist § 3 Abs 3 UStG (Kommissionsgeschäft).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35788 vom 27.08.2024