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Abstract
Können Abgabenschulden einer juristischen Person nicht eingebracht werden, trifft deren Vertreter nach § 9 iVm § 80 BAO eine verschuldensabhängige Haftung. Kommen mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Betracht, ist in die Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme eines bestimmten Vertreters auch einzubeziehen, ob und in welchem Ausmaß (bereits) andere Haftungspflichtige herangezogen werden. Ist auf Grund einer internen Geschäftsverteilung ein bestimmter Vertreter für die Besorgung der abgabenrechtlichen Pflichten zuständig, haftet primär dieser. Die übrigen Vertreter trifft jedoch eine Überwachungspflicht.
VwGH 1. 2. 2021, Ra 2020/13/0087
Sachverhalt
Der Revisionswerber war – neben seiner Ehefrau und seinem Sohn – einer von drei Geschäftsführern einer insolventen GmbH (der Primärschuldnerin). Nachdem das Konkursverfahren der GmbH mangels Kostendeckung eingestellt worden war, wurde der Revisionswerber mit Haftungsbescheid gemäß §§ 9 und 80 BAO zur Haftung für Abgabenschulden der GmbH herangezogen.
In einer gegen den Haftungsbescheid erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, sein Sohn habe nach der internen Geschäftsverteilung die tatsächliche Geschäftsführung und die Wahrnehmung der steuerlichen Interessen übernommen. Es liege keine schuldhafte Pflichtverletzung seinerseits vor. Das BFG wies die Beschwerde ab – der Revisionswerber hätte insoweit seine Pflichten als Geschäftsführer verletzt, als er nicht überprüfte, ob sein Sohn (welcher an Burn-out litt) seine Position als Geschäftsführer überhaupt hinreichend ausfüllen könne.
In der gegen das Erkenntnis des BFG erhobenen Revision brachte der Revisionswerber vor, das BFG habe sich mit der internen Geschäftsverteilung nicht auseinandergesetzt. Zudem habe das BFG auch unterlassen, sich im Rahmen der Ermessensübung damit auseinanderzusetzen, dass mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Betracht kommen.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH vertritt zur Haftung bei einer Mehrheit von Geschäftsführern in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei Vorliegen einer Geschäftsverteilung die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit denjenigen Geschäftsführer trifft, der mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Dieser haftet jedoch selbst, wenn er eigene Pflichten dadurch grob verletzt, dass er es unterlässt, Abhilfe gegen Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Bestellten zu schaffen. In einem solchen Fall könnte ihn nur entschuldigen, dass ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten aus triftigen Gründen unmöglich gewesen wäre (vgl zB VwGH 18. 11. 1991, 90/15/0123, mwN). Eine Pflichtverletzung des nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten befassten Geschäftsführers ist aber erst dann anzunehmen, wenn für diesen ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des anderen Geschäftsführers zu zweifeln, und er dennoch nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen. Ob – wie der Revisionswerber vorbringt – im Rahmen der Geschäftsführung der GmbH eine Aufgabenverteilung (Zuständigkeitsverteilung) bestand, geht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht hervor. Ebenso wenig geht daraus hervor, ob – bei Annahme einer derartigen Aufgabenverteilung – für den Revisionswerber ein Anlass bestanden hätte, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des mit der Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Betrauten zu zweifeln.
Kommen mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Frage (hier neben dem Revisionswerber auch seine Ehefrau und sein Sohn als weitere Geschäftsführer), ist die Ermessensentscheidung, wer von ihnen und gegebenenfalls in welchem Ausmaß in Anspruch genommen wird, entsprechend zu begründen (vgl zB VwGH 20. 9. 1996, 94/17/0122; 17. 12. 2002, 98/17/0250). Eine derartige Begründung enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Schon aus diesem Grund erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig.
Conclusio
Wird einer von (potentiell) mehreren Haftungspflichtigen zur Haftung herangezogen, ist bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme – sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach – auch die Inanspruchnahme der weiteren Haftungspflichtigen einzubeziehen. Nach der überzeugenden Ansicht von Heffermann/Twardosz (in Althuber, Geschäftsführer- und Vorstandshaftung3 [2018] 167 [190]) ist in Fällen mehrerer Haftungspflichtiger, insbesondere, wenn eine interne Geschäftsverteilung vorliegt, grundsätzlich eine Verschuldensteilung und somit eine Teilung der Haftung auszusprechen. Die Praxis der Abgabenbehörden, einen Vertreter trotz Mitverschuldens anderer Personen in voller Höhe zur Haftung heranzuziehen, ist daher kritisch zu sehen.