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Abstract
Im April 2020 publizierte die ESMA insgesamt acht Entscheidungen zu Enforcement-Verfahren aus dem Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2019. Da in den untersuchten Jahres- und Konzernabschlüssen bereits teilweise der neue Standard IFRS 15 (Erlöse aus Verträgen mit Kunden) anzuwenden war, bildete dieser – wenig überraschend – einen Schwerpunkt in den veröffentlichten Entscheidungen.
In der Entscheidung EECS/0120-07 setzte sich die Enforcement-Behörde mit der Bilanzierung von in verschiedenen Branchen verbreiteten Rahmenverträgen auseinander.
ESMA Decision ref EECS/0120-07
Sachverhalt
Das bilanzierende Unternehmen ist ein Industrieunternehmen, das Automobilteile an Erstausrüster (Original Equipment Manufacturers, OEM) liefert. Im Produktionsprozess werden Formen eingesetzt, die vom bilanzierenden Unternehmen geplant und von einem externen Lieferanten angefertigt werden.
Sobald der Erstausrüster das bilanzierende Unternehmen als Zulieferer für einen bestimmten Teil ausgewählt hat, unterschreiben beide Parteien ein sogenanntes Nominierungsschreiben. Dieses Dokument enthält unter anderem folgende Angaben: die voraussichtliche Programmlaufzeit, das geschätzte jährliche Abnahmevolumen, den Produktionsbeginn, Spezifikationen zu den zu verwendenden Formen, Preis und Menge der benötigten Formen sowie den Teilepreis. Das Nominierungsschreiben sieht vor, dass die Formen in das Eigentum des Erstausrüsters übergehen, allerdings verpflichtet sich dieser zu keiner bestimmten Abnahmemenge. Letzteres erfolgt erst im Rahmen der Bestellungen des Erstausrüsters.
Unmittelbar nach der Unterfertigung des Nominierungsschreibens beginnt das bilanzierende Unternehmen mit der Planung und Herstellung der Formen, die im Durchschnitt nach zwei Jahren fertiggestellt und abgenommen werden. Danach werden Prototypen für die zu produzierenden Teile hergestellt und die ersten Bestellungen des Erstausrüsters folgen auf diesen Schritt.
Die Beurteilung durch das Unternehmen
Bei der Analyse des Umsatzrealisierungsprozesses war als erster Schritt zu bestimmen, ob das Nominierungsschreiben bereits als Vertrag im Sinne der Vorschriften des IFRS 15 zu qualifizieren ist. Hier ist insbesondere gemäß IFRS 15.9b zu prüfen, ob für jede Vertragspartei feststellbar ist, welche Rechte diese hinsichtlich der zu übertragenden Güter oder Dienstleistungen besitzt. Bei dieser Analyse stellte das bilanzierende Unternehmen fest, dass das Nominierungsschreiben keine Festlegung hinsichtlich der Abnahmemenge für die zu produzierenden Teile enthält. Vielmehr wurde nur eine Mindestmenge festgelegt, die das bilanzierende Unternehmen zu liefern in der Lage sein muss. Das bilanzierende Unternehmen argumentierte, dass eine zuverlässige Schätzung der abgenommenen Mindestmenge möglich ist und dass die Erfahrungen aus der Vergangenheit eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Überschreitung dieser Menge zeigen. Das bilanzierende Unternehmen zog daher die Schlussfolgerung, dass durchsetzbare Rechte und Verpflichtungen beider Parteien sowohl für die Teile als auch für die Formen vorliegen und daher ein einheitlicher Vertrag vorliegt. Bei der Analyse der Leistungsverpflichtungen innerhalb des Vertrags wurde festgestellt, dass die Lieferung der Formen keine separate Leistungsverpflichtung darstellt und daher gemeinsam mit der Lieferung der Teile als eine Leistungsverpflichtung anzusehen ist. In weiterer Folge wurde der Umsatz aus dem Verkauf der Formen zeitraumbezogen über den Zeitraum der Herstellung der Teile erfasst.
Die Beurteilung im Rahmen des Enforcement-Verfahrens
Die zuständige Enforcement-Behörde schloss sich der Auffassung des bilanzierenden Unternehmens nicht an. Das Nominierungsschreiben ermöglicht nur für den Verkauf der Formen, nicht jedoch für den Verkauf der Teile eine Identifizierung der Rechte und Verpflichtungen beider Vertragsparteien im Sinne des IFRS 15.9b. Für den Verkauf der Teile reicht die Angabe der Mindestabnahmemenge nicht aus, um als Verpflichtung des Erstausrüsters qualifiziert zu werden. Eine derartige Festlegung erfolgt erst im Rahmen der Bestellungen. Aus diesem Grund bestehen separate Verträge für den Verkauf der Formen und für den Verkauf der Teile.
Als nächster Schritt war zu prüfen, ob die beiden Verträge in Übereinstimmung mit IFRS 15.17 zusammenzufassen waren. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung setzt jedoch voraus, dass die Verträge gleichzeitig oder in geringem Zeitabstand abgeschlossen werden. Gemäß der Sachverhaltsdarstellung vergehen allerdings mindestens zwei Jahre zwischen dem Abschluss des Rahmenvertrags und den ersten Bestellungen des Erstausrüsters.
Die Behörde zog daher die Schlussfolgerung, dass die beiden Verträge unabhängig voneinander nach den Vorschriften des IFRS 15 zu beurteilen sind und dass der Umsatz aus den Formen vor Beginn der Umsatzrealisierung für die Teile zu erfassen ist.
Dieser Fall zeigt, dass – abhängig von der Branche – eine breite Palette an Vertragsvarianten bestehen kann und die Analyse dieser Verträge ein entsprechendes Augenmerk auch seitens der Rechnungswesenabteilungen in Unternehmen erfordert. Insbesondere ist hier auf die Notwendigkeit einer zeitnahen Kommunikation zwischen Vertrieb und Rechnungswesen hinzuweisen, die eine rechtzeitige Analyse der bilanziellen Abbildung neuer bzw geänderter Vertragsmodelle erlaubt.