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Individualantrag auf Verfassungswidrigkeit von steuerlicher Begünstigung für Flugreisen unzulässig

Bearbeiter: Severin Schragl

B-VG: § 139 Abs 1 Z 3, § 140 Abs 1 Z 1 lit c

UStG 1994: § 6 Abs 1 Z 3

Mineralölsteuergesetz 2022 (MinStG 2022): § 4 Abs 1 Z 1, § 15 Abs 3, § 52 Abs 2 Z 4 lit d, § 54 Abs 3

Abstract

Individualanträge nach Art 139 Abs 1 Z 3 oder Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG bedürfen – neben der Umwegsunzulässigkeit – eines unmittelbaren Eingriffs des Gesetzes oder der Verordnung in die Rechtssphäre der Antragsteller sowie eine daraus folgende Verletzung jener Rechtssphäre. Im streitgegenständlichen Fall behauptete die Antragstellerin eine steuerliche Bevorzugung von Flugreisen gegenüber weniger klimaschädlichen Reisealternativen. Sie sah sich dabei in ihren verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, Leben und Achtung des Privat und Familienlebens verletzt. Mangels Antragslegitimation wies der VfGH den Antrag als unzulässig zurück.

VfGH 27. 6. 2023, G106/2022 ua, V140/2022

Anlassfall für Individualantrag

Die Antragstellerin begehrte die Aufhebung der Wortfolge „und Luftfahrzeugen“ in § 6 Abs 1 Z 3 lit d und „soweit nicht § 6 Abs 1 Z 3 anzuwenden ist“ in § 10 Abs 3 Z 9 UStG, der gesamten Luftfahrtbegünstigungsverordnung sowie zahlreicher Bestimmungen im Mineralölsteuergesetz 2022. Begründend brachte sie vor, regelmäßig nach Amsterdam zu reisen, um den dort lebenden Bruder zu besuchen. Aufgrund ihres lediglich durchschnittlichen Einkommens konnte sie dabei nicht immer die Zugoption in Anspruch nehmen und musste stattdessen auf den günstigeren (und umweltschädlicheren) Flug zurückgreifen. Die Antragstellerin behauptete idZ, dass die Flugtickets deshalb preislich günstiger sind, weil diese in Österreich der steuerlichen Begünstigung des § 6 Abs 1 Z 3 lit d UStG und § 4 Abs 1 Z 1 MinStG unterliegen. Zwar räumte die Antragstellerin ein, dass sie als Verbraucherin nicht unmittelbar von diesen Regelungen betroffen sei, allerdings aufgrund der Überwälzung der Kosten in ihrer Rechtssphäre verletzt worden sei. Konkret wurde eine Verletzung des Gleichheitssatzes wegen der Bevorzugung von – klimaschädlichen – Flugreisen gegenüber Zugreisen sowie eine Verletzung von Art 2 und 8 EMRK (Art 2 und 7 GRC), letztere wegen Verletzung der staatlichen Schutzpflichten durch mangelnde Bekämpfung des Klimawandels, behauptet. Nachdem in der Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 3 lit d UStG mit BGBl I 2022/108 die „Beförderung von Person“ durch das Wort „Eisenbahnen“ ergänzt worden, begehrte die Antragstellerin mit nachträglicher Eingabe die nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit der früheren Bestimmungen im UStG. Der BMF sowie die Bundesregierung argumentierten (ua), dass die Prozessvoraussetzungen nicht erfüllt seien.

Entscheidung des VfGH

Die Zulässigkeit eines Individualantrags nach Art 139 Abs 1 Z 3 oder Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG bedarf nach stRsp des VfGH eines unmittelbaren Eingriffs des Gesetzes oder der Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person sowie der Verletzung ebenjener Sphäre (VfSlg 8009/1977 und 8058/1977). Dieser Eingriff muss hinsichtlich jeder behaupteten Verletzung gesondert geprüft werden.

Hinsichtlich der Zulässigkeit der Wortfolge „und Luftfahrzeugen“ in § 6 Abs 1 Z 3 lit d UStG hielt der VfGH fest, dass nach stRsp eine im Zeitpunkt der Entscheidung bereits außer Kraft getretene Norm für die Rechtssphäre des Antragstellers regelmäßig nicht mehr die eine Antragstellung rechtfertigende unmittelbare Wirkung entfaltet (vgl VfSlg 9868/1983, 11.365/1987, 12.182/1989, 12.413/1990, 12.999/1992, 14.033/1995, 15.116/1998 und 16.145/2001). Dies ist in Bezug auf die genannte Norm der Fall: durch die Einfügung des Wortes „Eisenbahnen“ infolge des AbgÄG 2022 (BGBl I 108/2022) ist die grenzüberschreitende Personenbeförderung mit Eisenbahnen ebenso echt von der Umsatzsteuer befreit. Der Antragstellerin fehlt entsprechend die erforderliche Betroffenheit und damit die Legitimation zur Anfechtung (vgl etwa VfSlg 13.057/1992). Darüber hinaus liegt die Voraussetzung des Eingriffs in die Rechtssphäre und deren Verletzung nicht vor: Die Auswirkung der USt auf das vereinbarte Entgelt ist allein wirtschaftlicher und nicht rechtlicher Natur (vgl VfSlg 8292/1978), selbst wenn der Unternehmer ein Wahlrecht hat, eine steuerbefreite Leistung steuerpflichtig zu behandeln (vgl VfGH 12. 6. 2020, G 263/2019). Umsatzsteuerrechtliche Vorschriften sind in Anbetracht der diesen Regelungen zugrundeliegenden Belastungskonzeption nicht geeignet, den Verbraucher in seiner Rechtssphäre zu verletzen. Das gilt auch im streitgegenständlichen Fall hinsichtlich der Antragstellerin.

Auch im Hinblick auf § 4 Abs 1 Z 1 MinStG ist die Antragstellerin nicht Normadressatin und auch nicht unmittelbar in ihren Rechten betroffen (vgl VfGH 30. 9. 2020, G 144-145/2020). Die Verpflichtung zur Entrichtung der Mineralölsteuer trifft gem § 22 MinStG den Inhaber des Steuerlagers. Die potenzielle Abwälzung der Abgabenlast auf die Verbraucher hängt dabei von vielen Faktoren ab. Selbst wenn allenfalls eine Überwälzung auf die Verbraucher stattgefunden hätte, würde hierbei keine Verletzung von deren Rechten vorliegen (vgl insoweit auch VfSlg 8292/1978).

Auch wenn der VfGH bereits nicht unmittelbar betroffene Personen als Normadressaten angesehen, sofern in deren Rechtssphäre eingegriffen worden ist (VfSlg 19.349/2011, 19.892/2014), erfüllen weder § 6 Abs 1 Z 3 lit d UStG noch § 4 Abs 1 Z 1 MinStG die geforderten Voraussetzungen. Damit war der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

Conclusio

Die Begründung der Antragstellerin lässt im gegenständlichen Fall darauf schließen, dass es sich um eine Klimaklage handelt. Darunter versteht man den „Rechtsweg als alternative Möglichkeit zur Erreichung politischer Ziele [iZm] der globalen Klimakrise“ (Beham/Hofbauer/Lindner, Klimaklagen und „strategic litigation“ als Instrumente des Nachhaltigkeitsrechts, NR 2021, 146 [147]). Im nationalen wie auch im internationalen Bereich lässt sich in jüngerer Vergangenheit eine Häufung derartiger Klagen beobachten – zum Teil mit Erfolg (Abel, Klimaklagen gegen Staaten: Ein systematischer Überblick, NR 2023, 13 [14] mwN).

Bereits 2020 entschied der VfGH in einem sehr ähnlich gelagerten Fall (VfGH 30. 9. 2020, G 144/2020), der teilweise als „erste Klimaklage“ bezeichnet worden ist (vgl Rockenschraub, Die erste Klimaklage vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, NR 2021, 205 [205]), ebenfalls mit einer Zurückweisung. Der zentrale Unterschied zur streitgegenständlichen Entscheidung ergibt sich aus dem Umstand, dass mittlerweile eine Gesetzesänderung des § 6 Abs 1 Z 3 UStG stattgefunden. Da der grenzüberschreitende Bahnverkehr seit 1. 1. 2023 (BGBl I 2022/108) ebenfalls echt von der Umsatzsteuer befreit wird, begünstigt das Umsatzsteuerrecht den „klimaschädlichen“ Flugverkehr somit nicht mehr mehr als den „klimafreundlichen“ Bahnverkehr. Mit dieser Änderung wurde den Bedenken (ua) der Antragstellerin bereits Rechnung getragen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34533 vom 25.09.2023