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Kartellgeschädigter – Einsicht in Kartellakt

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

KartG 2005: § 37a, § 37j, § 37k, § 38, § 39

Im vorliegenden Fall legte die Einschreiterin keine ausreichend konkreten Umstände dar, die den Schluss zuließen, dass eine Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen die Antragsgegnerinnen trotz umfassender Veröffentlichung der Bußgeldentscheidung, der im Zivilprozess bestehenden Erleichterungen hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klage sowie der im Haftungsprozess zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten ohne Akteneinsicht übermäßig erschwert und daher der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz verletzt wäre.

Wenn die Einschreiterin erwägt, nicht nur die Antragsgegnerinnen zivilrechtlich auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen, sondern auch andere Beteiligte der wettbewerbswidrigen Absprachen, ist ihr entgegenzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, warum die Einsicht in den Kartellakt ein effektives und gebotenes Mittel zur privatrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gegenüber Personen sein sollte, die von der Wettbewerbsbehörde im vorliegenden Verfahren, in dem der Antrag auf Akteneinsicht gestellt wurde, gar nicht „belangt“ wurden (16 Ok 1/23t, RdW 2023/584).

OGH als KOG 12. 1. 2024, 16 Ok 8/23x

Entscheidung

Antrag nicht hinreichend konkret

Ausgehend von der Rechtslage [vgl 16 Ok 1/23t, RdW 2023/584; 16 Ok 1/22s, RdW 2022/509], begegnet die Beurteilung des konkreten Falls durch das ErstG keinen Bedenken, wonach die Einschreiterin nicht ausreichend dargelegt habe, dass ihr die Einbringung einer Klage gegen die Antragsgegnerinnen ohne die angestrebte Akteneinsicht praktisch unmöglich oder zumindest übermäßig erschwert wäre:

Die Einschreiterin nimmt in ihrem Rekurs zwar – anders als noch in erster Instanz – Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen von der angestrebten (gemäß § 37k Abs 4 KartG aber jedenfalls unzulässigen) Einsichtnahme aus. Ihr Begehren ist entgegen ErwGr 23 der RL 2014/104/EU (KartellschadensersatzRL; auch: SchadenersatzRL) aber nach wie vor auf eine Einsicht in sämtliche anderen Unterlagen im Akt des Kartellgerichts gerichtet (hilfsweise in jene „Aktenbestandteile, […] welche die Antragstellerin betreffen und Aufschluss über die von kartellrechtswidrigen Handlungen betroffenen Bauprojekte geben“). Damit bezeichnet sie jene Dokumente oder Kategorien von Dokumenten, die sie zur Verfolgung ihrer Ansprüche unbedingt benötige, aber auch in ihrem Rechtsmittel nicht hinreichend konkret.

Warum die bereits in der E zu 16 Ok 1/22s dargelegten Anforderungen an eine (im Rahmen des Zumutbaren) möglichst konkrete Bezeichnung der von der Akteneinsicht umfassten Unterlagen (oder Kategorien von Unterlagen) hier „weniger streng“ zu beurteilen wären als im dortigen Verfahren, zeigt die Rekurswerberin nicht plausibel auf. Wenngleich die Akteneinsicht in jenem Fall bereits während des anhängigen Geldbußenverfahrens angestrebt wurde, kann dieser E nicht entnommen werden, dass auf einen erst danach gestellten Antrag auf Akteneinsicht ein „weniger strenger Maßstab“ anzuwenden wäre.

Veröffentlichte Bußgeldentscheidung ausreichend

Aber selbst wenn der Einschreiterin zuzugestehen wäre, dass sie jene Dokumente, auf die sich ihr Antrag auf Akteneinsicht bezog, nicht konkreter beschreiben konnte, käme ihrem Antrag keine Berechtigung zu.

In erster Instanz begründete sie ihr rechtliches Interesse an der Akteneinsicht einerseits damit, dass sich aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung nicht ergebe, ob sämtliche ihrer Bauprojekte von den Kartellverstößen der Antragsgegnerinnen betroffen wären. Andererseits lasse sich dieser E auch nicht entnehmen, „in welcher Form“ die Antragsgegnerinnen bei Bauprojekten der Einschreiterin kartellrechtswidrig gehandelt hätten.

Dem letztgenannten Argument ist entgegenzuhalten, dass sich die wettbewerbswidrigen Handlungen der Antragsgegnerinnen für den Zeitraum 2002 bis 2017 aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung ergeben. Diese wurden dort ihrer Art nach eingehend beschrieben und die Einschreiterin ausdrücklich als Geschädigte der Wettbewerbsverstöße genannt. Dass nicht festgestellt wurde, durch welche konkreten wettbewerbswidrigen Handlungen der Antragsgegnerinnen (also etwa Gebiets- oder Preisabsprachen) die Einschreiterin geschädigt worden sei, lässt nicht erkennen, warum sie zu keiner Klageerhebung gegen diese in der Lage wäre:

Einerseits kommen ihr die abgeschwächten Schlüssigkeitserfordernisse des § 37j Abs 1 KartG zugute, wonach es ausreicht, wenn die auf Schadenersatz wegen Kartellverstößen gerichtete Klage zumindest soweit substanziiert ist, als sie diejenigen Tatsachen und Beweismittel enthält, die dem Kl mit zumutbarem Aufwand zugänglich sind und die die Plausibilität eines Schadenersatzanspruchs ausreichend stützen.

Andererseits könnte die Einschreiterin ihr zivilrechtliches Ersatzbegehren im Wege einer kumulierten Klagenhäufung auch auf unterschiedliche – einander sogar widersprechenderechtserzeugende Tatsachen stützen (hier also auf unterschiedliche wettbewerbswidrige Handlungen; RS0038130; siehe auch 16 Ok 1/23t, RdW 2023/584). Warum die veröffentlichte Bußgeldentscheidung des Kartellgerichts dafür keine ausreichende Grundlage böte, ist nicht ersichtlich. Aus der E zu 5 Ob 193/22a, RdW 2023/244, lässt sich für diese Beurteilung nichts Konkretes ableiten, weil dort kein Fall einer solchen kumulierten Klagenhäufung zu beurteilen war.

Dem Argument, die Einschreiterin bedürfe für eine effektive Geltendmachung von zivilrechtlichen Ersatzansprüchen konkreter Informationen dazu, welche ihrer Bauprojekte von den Kartellrechtsverstößen betroffen waren, ist zunächst entgegenzuhalten, dass sie die mit den Antragsgegnerinnen abgewickelten Bauvorhaben ihren eigenen Geschäftsunterlagen entnehmen kann. Aus diesen müsste auch eine bloße Teilnahme der Antragsgegnerinnen an Ausschreibungen bzw Angebotsprozessen der Einschreiterin hervorgehen, auch wenn der Auftrag letztlich einem anderen Unternehmer erteilt wurde. Gegenteiliges behauptet die Einschreiterin auch in ihrem Rechtsmittel nicht.

Da es sich bei den Kartellbestimmungen um Schutzgesetze handelt, hat der Geschädigte auch nur die Verletzung des Schutzgesetzes und den Eintritt des Schadens zu behaupten und zu beweisen (RS0022474; vgl auch § 37c Abs 2 KartG; Gänser/Egger in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht [2022] § 37c KartG Rz 14). Die Verletzung von Wettbewerbsvorschriften durch die Antragsgegnerinnen ergibt sich aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung. Für die schlüssige Behauptung eines Schadens aus einem Kartellverstoß ist nach der Rsp nur ein Vorbringen zu den vom Geschädigten „historischbezahlten Preisen erforderlich (5 Ob 193/22a mwN, RdW 2023/244; 16 Ok 1/23t, RdW 2023/584). Warum die Einschreiterin aufgrund ihrer eigenen Geschäftsunterlagen kein solches Vorbringen erstatten könnte, legt sie nicht überzeugend dar.

Soweit im Rekurs behauptet wird, die Antragsgegnerinnen seien möglicherweise bei einzelnen Aufträgen (im Einvernehmen mit anderen Kartellbeteiligten) „zurückgestanden“, sodass diese Aufträge von der Einschreiterin an Personen vergeben worden wären, die in der Bußgeldentscheidung nicht namentlich genannt worden seien, hat sie ihren Antrag auf Akteneinsicht darauf in erster Instanz nicht gestützt. Dass und warum es sich bei der Verspätung (Unterlassung) dieses Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung gehandelt hätte, legt die Rechtsmittelwerberin nicht dar (RS0120290; 16 Ok 9/14f, RdW 2015/328; 16 Ok 10/14b).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35201 vom 19.03.2024