News

Kartellverfahren – Akteneinsicht für Dritte zwecks Schadenersatzklage?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

KartG 2005: § 39

In der Rs C-536/11, Donau Chemie, hat der EuGH klargestellt, dass bei einem nationalen Verfahren in Anwendung von Art 101 AEUV ein Aktenzugang Dritter, die Schadenersatzklagen gegen Kartellteilnehmer erwägen, nicht generell von der Zustimmung der Parteien abhängig gemacht werden darf und § 39 Abs 2 KartG 2005 daher mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist (Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes). Das nationale Gericht muss vielmehr die Möglichkeit haben, die Interessen an einer Übermittlung von Informationen und am Schutz dieser Informationen im Einzelfall abzuwägen (EuGH C-536/11, Donau Chemie, Rz 49, RdW 2013/404).

Bei einem Antrag eines Dritten auf Akteneinsicht ist nunmehr – neben §§ 37j und 37k KartG 2005 (Offenlegung von Beweismitteln [erst] in Verfahren über Ersatzansprüche aus einer Wettbewerbsrechtsverletzung) – auch die Veröffentlichung kartellgerichtlicher Entscheidungen in der Ediktsdatei gem § 37 KartG 2005 (idF KaWeRÄG 2012) zu berücksichtigen, die ua im Fall Donau Chemie noch nicht zur Anwendung kam. Die Veröffentlichung trägt wesentlich zur Informationsgewinnung des Kartellgeschädigten bei. Der Dritte wird daher konkrete Umstände behaupten müssen, aus denen sich ergibt, dass die Verweigerung der Akteneinsicht gem § 39 Abs 2 KartG die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs dennoch übermäßig erschwert (sodass der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz verletzt wäre), etwa weil Kategorien von Dokumenten benötigt werden, die in die veröffentlichte Entscheidung keinen Eingang gefunden haben oder die typischer Weise in eine zu veröffentlichende Entscheidung keinen Eingang finden werden. Diese Wertung gilt auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Antrag auf Akteneinsicht bereits vor Abschluss des Kartellverfahrens oder zumindest vor Veröffentlichung der kartellgerichtlichen Entscheidung in der Ediktsdatei gestellt wurde.

Ob in einem konkreten Fall der Effektivitätsgrundsatz verletzt ist, kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Der Antragsteller muss daher dartun, dass ihm unter Berücksichtigung aller ihm zu Gebote stehenden rechtlichen Möglichkeiten der Informationsgewinnung ohne die Gewährung von Akteneinsicht (ohne Zustimmung der Verfahrensparteien) die Geltendmachung seines (behaupteten) Schadenersatzanspruchs praktisch verunmöglichen oder übermäßig erschwert würde.

OGH als KOG 12. 5. 2022, 16 Ok 1/22s

Entscheidung

Im vorliegenden Fall erfordert die Anwendung der Grundsätze der Rs Donau Chemie nicht, von der Anwendung des § 39 Abs 2 KartG abzusehen. Ausgehend vom Antragsvorbringen der Einschreiterin ergibt sich unter Berücksichtigung ihrer Informationsmöglichkeiten nicht, dass ihr durch die Verweigerung der Akteneinsicht die Geltendmachung ihres Schadenersatzanspruchs aus den Wettbewerbsrechtsverletzungen der Antragsgegnerinnen praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde.

Ein Rechtsträger, der sich durch einen Wettbewerbsrechtsverstoß geschädigt erachtet, kann zwar bereits vor Abschluss des wettbewerbsrechtlichen Verfahrens eine Schadenersatzklage erheben. Es sind aber keine – auch keine unionsrechtlichen – Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die effiziente private Durchsetzung des Wettbewerberbsrechts die Erhebung derartiger stand alone-Klagen unbedingt erfordert. Der Effizienzgrundsatz verlangt vielmehr (nur), dass die Geltendmachung von Schadenersatz aus Wettbewerbsrechtsverstößen nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Aufgrund der Hemmung der Verjährung von Ersatzansprüchen gem § 37h KartG (Ende der Hemmung ein Jahr nach der rk Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des wettbewerbsrechtlichen Verfahrens oder der Untersuchungsmaßnahme) ist insb nicht ersichtlich, dass durch das Abwarten der kartellgerichtlichen Entscheidung eine Verjährung der Schadenersatzansprüche drohen würde. Dies wurde von der Einschreiterin für den vorliegenden Fall jedenfalls nicht vorgebracht.

Auch aus der Bindungswirkung gem § 37i KartG kann ein Recht auf Akteneinsicht nicht abgeleitet werden und ergibt sich auch keine materielle Parteistellung der Einschreiterin im Geldbußenverfahren:

Nach § 37i Abs 2 KartG ist ein Gericht, das über den Ersatz des Schadens aus einer Wettbewerbsrechtsverletzung entscheidet, an die Feststellung der Wettbewerbsrechtsverletzung gebunden, wie sie in einer rk Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde – bzw eines Gerichts im Instanzenzug über die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde – getroffen wurde. Wie die Vorgängerbestimmung des § 37a Abs 3 KartG idF KaWeRÄG 2012 ordnet § 37i KartG keine Bindung an Entscheidungen von Wettbewerbsbehörden und Gerichten an, die das Vorliegen einer Gesetzesverletzung verneinen (Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² [2016] § 37a Rz 59). Die Bindungswirkung erstreckt sich darüber hinaus allein auf die Feststellung des Wettbewerbsverstoßes; hingegen entfalten Feststellungen zur Schadenshöhe, die beispielsweise für die Zwecke der Bußgeldbemessung getroffen wurden, keine bindende Wirkung (Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² [2016] § 37a Rz 60). Zu Recht zog das ErstG daraus die Schlussfolgerung, dass die Bindungswirkung gem § 37 Abs 2 KartG ausschließlich zu Gunsten der Einschreiterin wirken kann, sodass daraus ihre materielle Parteistellung nicht ableitbar ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32716 vom 27.06.2022