News

Kfz-Haftpflichtversicherung: Obliegenheitsverletzung im Schock

Bearbeiter: Barbara Tuma

VersVG: § 6, § 61

ABK/RV 2019: Art 7.3.2

Gem Art 7.3.2 der hier maßgeblichen Raiffeisen Kraftfahrzeug-Kasko-Versicherung (ABK/RV) 2019 gehört es zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalls, „nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen“; eine Verletzung dieser Obliegenheit bewirkt Leistungsfreiheit des Versicherers im Rahmen des § 6 Abs 3 VersVG.

Auf einer Landstraße stieß die kl Versicherungsnehmerin mit ihrem PKW zwei Mal gegen die Leitplanke, wodurch ihr PKW beschädigt und die Leitplanke leicht verbogen wurde. Nach den Feststellungen hatte sie zunächst wegen eines auf die Fahrbahn springenden Rehs die Leitschiene touchiert; unmittelbar danach wurde ihr offenbar die Gefährdung ihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit bewusst, weil die Leitschiene der Absicherung einer stark abschüssigen Stelle diente. Die Kl stand unter Schock und beschloss umzukehren, wobei sie aufgrund eines schockbedingten Fahrfehlers neuerlich gegen die Leitplanke stieß. Am folgenden Tag fertigte sie Fotos von der Unfallstelle an und am nächsten Werktag suchte sie ihren Versicherungsvertreter auf, der die eigene Servicehotline verständigte und ihr anbot, dies auch bei der Straßenmeisterei zu tun.

Im Rahmen der Rsp ist das BerufungsG davon ausgegangen, dass es der Bekl nicht gelungen ist, im Hinblick auf eine mögliche Leistungsfreiheit gem § 61 VersVG eine konkrete Verdachtslage für eine Alkoholisierung oder Übermüdung der Kl zu beweisen und nicht von einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ausgegangen werden könne: Auch die nur leichte Beschädigung der Leitschiene hätte die Kl zwar zur Anzeige gem § 4 Abs 5 StVO verpflichtet; die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO allein schafft jedoch noch keine Verdachtslage für eine Alkoholisierung, zumal sie nach den Feststellungen unter Schock stand. Dass die Kl in dieser Situation den Fokus ihrer Aufmerksamkeit nicht auf die – nur leicht – beschädigte Leitschiene gelegt hat, gereicht ihr nicht zum Nachteil. Keiner Korrektur bedarf auch, dass das BerufungsG aufgrund der Feststellungen über die weiteren Begleitumstände des Unfalls (Anfertigung der Fotos am folgenden Tag und Aufsuchen des Versicherungsvertreters am nächsten Werktag) keine konkrete Verdachtslage im Hinblick auf eine Beeinträchtigung der Kl gesehen hat.

OGH 22. 3. 2023, 7 Ob 39/23w

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34065 vom 25.05.2023