News

Konkursverschleppung – De-facto-Geschäftsführer

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 1304

IO: § 69, § 156, § 197

1. Der „faktische Geschäftsführer“ („De-facto-Geschäftsführer“) hat auf den formellen Geschäftsführer („De-iure-Geschäftsführer“) aktiv einzuwirken, damit dieser seiner Pflicht nach § 69 Abs 2 iVm Abs 3 IO zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachkommt. Für den Fall der Konkursverschleppungshaftung ist aus der Teleologie des § 69 Abs 3 IO eine Orientierung an der formellen Organfunktion zu fordern und daher zu verlangen, dass es sich beim „faktischen Geschäftsführer“ um eine Person handelt, die dauerhaft und ausgeprägt den Platz eines Organs einnimmt, das zum Insolvenzantrag legitimiert ist.

2. Nach § 156 Abs 4 IO können Gläubiger, deren Forderungen nur aus Verschulden des Schuldners im Sanierungsplan (bzw hier: Zahlungsplan) unberücksichtigt geblieben sind, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Bezahlung ihrer Forderungen im vollen Betrag vom Schuldner verlangen. Ist der Tatbestand des § 156 Abs 4 IO verwirklicht, tritt eine Forderungskürzung auf die Quote unabhängig von der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners von vornherein nicht ein. Schon aus dem Wortlaut von § 156 Abs 4 IO („nur aus Verschulden des Schuldners“) ergibt sich, dass bereits ein leichtes Mitverschulden des Gläubigers die Anwendung des § 156 Abs 4 IO ausschließt. Die Nichtberücksichtigung der Forderung im Sanierungs- oder Zahlungsplan muss daher ausschließlich durch ein zumindest fahrlässiges Verhalten des Schuldners verursacht worden sein. Ist die Nichtberücksichtigung der Forderung auch auf eine eigene Sorglosigkeit (§ 1304 ABGB) des Gläubigers zurückzuführen, so schuldet ihm der Schuldner nur die Sanierungs- oder Zahlungsplanquote. Dabei ist es nach dem klaren Wortlaut des § 156 Abs 4 IO ohne Relevanz, ob und bejahendenfalls welches Verschulden dem Schuldner anzulasten ist. Ebenso ist – lege non distinguente – irrelevant, ob die nicht angemeldete Forderung auf einer Schutzgesetzverletzung beruht.

3. Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen bei Abstimmung über den Zahlungsplan nicht angemeldet haben, haben gem § 197 Abs 1 Satz 1 IO Anspruch auf die Quote nach dem Zahlungsplan „nur insoweit, als diese der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners entspricht“. Dass die für eine „nachträgliche“ (nicht angemeldete) Forderung zu zahlende Quote nicht den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Schuldners entspricht, ist nach Rsp und Lit eine anspruchshemmende Tatsache. Es ist im Prozess Sache des Schuldners, das Vorliegen einer anspruchshemmenden Tatsache zu behaupten und zu beweisen.

OGH 19. 5. 2021, 17 Ob 5/21s

Sachverhalt

Die Kl, eine große Versicherungsanstalt, vermietete am 25. 9. 2013 einer GmbH (erneut) ein Geschäftslokal, in dem diese eine Modeboutique betrieb. Ab Ende 2013 zahlte die GmbH keine Miete mehr.

Der Erstbekl war Alleingeschäftsführer der GmbH. Er kümmerte sich um die Buchhaltung und die Administration der Mitarbeiter (Einstellung, Dienstpläne, Urlaube). Die GmbH war bereits zum 31. 12. 2012 zahlungsunfähig, was bei ordnungsgemäßer Buchführung erkennbar gewesen wäre.

Die Zweitbekl war bei der GmbH teilzeitbeschäftigt. Sie ist die Mutter der Alleingesellschafterin der GmbH, die im Ausland lebt und in die Geschäftstätigkeit nicht involviert war. Die Zweitbekl ist in der Modebranche erfahren und war für die GmbH va im Einkauf bei Lieferanten in Frankreich tätig.

Über Antrag der GmbH wurde am 11. 3. 2015 über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet, das im Mai 2017 wegen Masseunzulänglichkeit nach Verteilung an die Massegläubiger gem §§ 123a iVm 124a IO aufgehoben wurde.

Über das Vermögen des Erstbekl wurde am 11. 5. 2016 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 7. 12. 2016 ein Zahlungsplan angenommen. Die Rechtskraft der Bestätigung des Zahlungsplans wurde am 3. 1. 2017 in der Insolvenzdatei bekannt gemacht. Die Kl meldete im Schuldenregulierungsverfahren des Erstbekl ihre Schadenersatzforderung nicht an.

Die Kl begehrt von den Bekl zur ungeteilten Hand den Ersatz des Vertrauensschadens iHv 145.065,90 €, der ihr durch unterlassene Insolvenzantragstellung verursacht worden sei (Mietzinse bis zur Insolvenzeröffnung samt Zinsen und Kosten und eine Massemietzinsforderung, die wegen Masseunzulänglichkeit unbeglichen geblieben ist). Der Erstbekl habe seine Verpflichtung als Geschäftsführer zur rechtzeitigen Beantragung der Insolvenzeröffnung nach § 69 IO verletzt und habe der Kl auch die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über sein Vermögen verschwiegen; nur aus seinem Verschulden habe die Kl ihre Forderungen im Schuldenregulierungsverfahren nicht angemeldet. Die Zweitbekl sei faktische Geschäftsführerin und damit verpflichtet gewesen, auf den Erstbekl dahin einzuwirken, dass dieser rechtzeitig einen Insolvenzantrag stelle.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren gegenüber der Zweitbekl ab und verpflichteten den Erstbekl zur Zahlung von 15.184,70 € sA; hinsichtlich der zukünftig fällig werdenden Zahlungsplanraten stellten sie die Haftung des Erstbekl nur fest. Die Revisionen beider Seiten waren zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Entscheidung

Keine faktische Geschäftsführerin

Im vorliegenden Fall führte das Auftreten der Zweitbekl nicht dazu, dass der Erstbekl als formeller Geschäftsführer so sehr in den Hintergrund rückte, dass sein Agendenkreis in der GmbH vernachlässigbar gewesen wäre. Vielmehr verblieben wesentliche Bereiche in seiner Kompetenz, namentlich die – gerade für die Verantwortlichkeit nach § 69 IO entscheidenden – Finanzangelegenheiten der GmbH.

Dass er bestimmte Tätigkeiten an die Zweitbekl abgab, stellte bloß eine Aufgabendelegierung an eine Angestellte der GmbH dar. Weil es nicht unüblich ist, dass Angestellte mit Aufgaben betraut werden, bei denen sie den Rechtsträger nach außen zu vertreten haben, könnte selbst dann noch keine faktische Geschäftsführung angenommen werden, wenn feststünde, dass die Zweitbekl in ihren Bereichen – insb dem Einkauf in Frankreich – selbstständig Entscheidungen traf.

Daran ändert auch nichts, dass die Zweitbekl bei den beiden Besprechungen mit der Kl das Wort führte. Dass ein Geschäftsführer jemanden zu einer Besprechung mitnimmt, kann viele Gründe haben, etwa dessen Expertise. Daraus, dass diese Person in der Besprechung das Wort führt, lässt sich nicht ableiten, dass sie faktisch die Geschäftsführerin sei, weil genauso möglich ist, dass der formelle Geschäftsführer, der ja anwesend ist und somit jederzeit eingreifen könnte, die Ausführungen dieser Person teilt und es nur für nicht notwendig erachtet, dies explizit zu äußern.

Entgegen der Ansicht der Kl kann für eine faktische Geschäftsführung der Zweitbekl auch nichts daraus abgeleitet werden, dass sie die Mutter der Alleingesellschafterin der GmbH ist. Dass die Zweitbekl zu verstehen gegeben hätte, was sie sage, sei Position der GmbH, weil ihre Tochter ja deren Alleingesellschafterin sei, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen.

Die Beurteilung des BerufungsG, die Zweitbekl sei nicht faktische Geschäftsführerin der GmbH gewesen, ist somit nicht zu beanstanden.

Mitverschulden der Kl

Hier verfolgte die Kl ihre – der Höhe nach nicht unbeträchtlicheSchadenersatzforderung gegenüber dem Erstbekl bereits mehr als ein Jahr gerichtlich, als über dessen Vermögen am 11. 5. 2016 ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und sodann über ein halbes Jahr geführt wurde. Zutreffend ist daher der Vorwurf des BerufungsG an die Kl, als große Versicherungsanstalt über ein halbes Jahr keine Onlineabfrage in der Ediktsdatei gemacht zu haben.

Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren – Haftung für Miete

Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen fort. Die auf diesen Zeitraum entfallende Miete (Masseforderung) beglich er nur zum Teil.

Die Haftung des Erstbekl auch für diese unbeglichene Miet-Masseforderung wurde von den Vorinstanzen bejaht. Die Kausalität der Insolvenzverschleppung für diesen Schaden der Kl als Neugläubigerin begründeten sie damit, dass die Kl bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung über das Vermögen der seit 31. 12. 2012 zahlungsunfähigen GmbH mit dieser am 25. 9. 2013 keinen Mietvertrag geschlossen hätte, sondern das Objekt nach zweimonatigem Leerstand zum selben Mietzins an einen zahlungsfähigen Bestandnehmer vermietet hätte.

Die Kausalität der Insolvenzverschleppung auch für diesen Schadensteil steht aus diesem Grunde fest. Die Zahlungsunfähigkeit der GmbH war für den Erstbekl objektiv erkennbar. Sein Einwand des fehlenden Verschuldens ist daher unberechtigt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31150 vom 05.07.2021