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Kontrahierungszwang des Marktbeherrschers betr digitale Maut?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 861

AEUV: Art 102

KartG 2005: § 5

Die Verweigerung der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit Handelspartnern, die weder aktuelle noch potentielle Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens sind, ist nur dann missbräuchlich, wenn der Marktbeherrscher einem Kontrahierungszwang unterliegt und keine sachliche Rechtfertigung für sein Verhalten vorliegt. Ein Kontrahierungszwang trifft va Inhaber gesetzlicher oder faktischer Monopole sowie Unternehmen mit beherrschender Verfügungsmacht über Einrichtungen, die für die Geschäftstätigkeit anderer Teilnehmer notwendig sind. Den Inhaber einer Monopolstellung trifft eine Kontrahierungspflicht, wenn ihm ein Vertragsabschluss zumutbar ist; er kann diesen daher nur aus einem sachlichen Grund ablehnen.

Besteht zum Zeitpunkt der Weigerung, eine Geschäftsbeziehung aufzunehmen, für den Gegenstand des Geschäfts ein Markt, hat also das marktbeherrschende Unternehmen bereits mit anderen kontrahiert, kommt bei der Verweigerung einer Geschäftsbeziehung mit geeigneten Dritten ein Verstoß gegen die Generalklausel des Art 102 Satz 1 AEUV in Betracht, was nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen ist.

Der Online-Bezug digitaler Mautprodukte ist technisch ausschließlich über den Webshop der Antragsgegnerin (ASFINAG, Monpolistin) möglich. Strittig ist im vorliegenden Fall der online-Vertrieb von digitalen Maut-Vignetten, die “sofortgültig sind, an Verbraucher (ein neues Produkt, das die Antragsgegnerin nicht anbietet, die Antragstellerin aber nun anbieten will). Im Hinblick auf die Bestimmungen des Verbraucherschutzes (betr das Rücktrittsrecht von Verbrauchern) bietet die Antragsgegnerin solche nämlich ausschließlich Unternehmern an.

Die dt Antragstellerin möchte in ihrem Webshop als neues Produkt sofort gültige Maut-Vignetten an ausländische Verbraucher verkaufen (nicht von vornherein verbraucherschädigend und unter gesetzeskonformer Aufklärung über den von ihr verrechneten Aufschlag auf die Mautgebühr) und begehrt mit ihrem Abstellungsantrag (ua) die Gewährung des Zugangs zum Webshop der Antragsgegnerin zum Zweck der Ermöglichung dieses neuen Webshop-Angebots. In diesem Punkt erweist sich der Abstellungsantrag nach Ansicht des OGH im Ergebnis als berechtigt: Da der Online-Bezug digitaler Mautprodukte ausschließlich über den Webshop der Antragsgegnerin technisch möglich ist, ist der vorliegende Sachverhalt mit jenem vergleichbar, der der E des EuGH in der Rs C-241/91 P und C-242/91 P, Magill, zugrunde lag. Somit ist von einem missbräuchlichen Verhalten der Antragsgegnerin auszugehen, wenn sie den diesbezüglichen Vertragsabschluss mit der Antragstellerin zur Kreation eines neuen Produkts verweigert.

OGH 12. 10. 2021, 16 Ok 1/21i

Entscheidung

Das (modifizierte) künftige Geschäftsmodell der Antragstellerin ist nicht von vornherein verbraucherschädigend; es entspricht nach seinen vorgesehenen Rahmenbedingungen den gesetzlichen Vorgaben.

Es trifft zwar zu, dass Verbraucher auch jetzt schon sofort gültige digitale Vignetten online über den Webshop der Antragsgegnerin beziehen können – und damit ohne den von der Antragstellerin verrechneten Aufschlag –, wenn sie (unrichtig) angeben, Unternehmer zu sein (und damit im Ergebnis auf ihr Rücktrittsrecht nach dem FAGG verzichten). Dass sich ein Verbraucher eine gewünschte Leistung nur durch falsche Angaben erschleichen kann, ist allerdings keine von der Rechtsordnung zu duldende Vorgangsweise und kann daher dem Geschäftsmodell der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden.

Ob die Antragsgegnerin im Fall des Unterliegens in diesem Rechtsstreit auch jedem anderen Online-Weiterverkäufer diskriminierungsfrei Zugang zu ihrem Webshop gewähren muss, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Antragsgegnerin bestreitet die Anwendbarkeit des KartG auf den vorliegenden Sachverhalt unter Verweis auf § 24 Abs 2 KartG: Ihre Lieferverweigerung gegenüber der Antragstellerin wirke sich nämlich deshalb nicht auf den inländischen Markt aus, weil die Antragstellerin inländische Kunden bewusst von ihrem Angebot ausnehme.

Der hier zu beurteilende Sachverhalt wirkt sich nach Ansicht des OGH jedoch unzweifelhaft auf den inländischen Markt aus, weil ein inländischer Monopolist einem deutschen Unternehmer die Aufnahme einer Geschäftsbeziehung zum Bezug eines Vorprodukts verweigert, das allein im Inland verwertet werden kann und mit den Produkten in Wettbewerb steht, die der inländische Monopolist anbietet (digitale Mautprodukte für Verbraucher).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31668 vom 05.11.2021