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Konzern: Zustimmung des Aufsichtsrats der Konzernmutter

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AktG: § 95

Gem § 74 Abs 1 AktG muss der Vorstand die Beschränkungen einhalten, die die Satzung oder der Aufsichtsrat für den Umfang seiner Vertretungsbefugnis festgesetzt hat (vgl den Zustimmungsvorbehalt gem § 95 Abs 5 AktG). § 95 Abs 5 AktG regelt den Zustimmungsvorbehalt zwar grundsätzlich nur für die jeweilige Einzelgesellschaft, für Konzernobergesellschaften kann aber eine Ergänzung für konzernrelevante Geschäfte vorgenommen werden, sodass ein Geschäft einer Tochtergesellschaft dann durch den Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft zu kontrollieren sein kann, wenn sich dieses auch auf die Obergesellschaft auswirkt. In diese Richtung weist auch Regel 35 des Österreichischen Corporate Governance-Kodex (ÖCGK), die vorsieht, dass der Aufsichtsrat unter Wahrung des AktG den Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte zu konkretisieren und nach der Größe des Unternehmens passende Betragsgrenzen festzulegen hat; „dies gilt auch für wesentliche konzernrelevante Geschäfte von Tochtergesellschaften“.

In einem Konzern hat der Aufsichtsrat der Muttergesellschaft somit nicht nur die Tätigkeit des Vorstands der Muttergesellschaft bezogen auf die Muttergesellschaft zu überwachen, sondern auch die Tätigkeit des Vorstands der Muttergesellschaft bezogen auf die verbundenen Unternehmen, somit auf den gesamten Konzern. Der Aufsichtsrat der Muttergesellschaft hat die Entwicklung in den Konzerntöchtern (und -enkeln) so weit zu verfolgen, als es sich um wirtschaftliche Aktivitäten oder Vermögensbindungen handelt, die für die Muttergesellschaft wesentlich sind, und er zu beurteilen hat, ob und wie der Vorstand der Muttergesellschaft auf die nachgeordneten Unternehmen Einfluss nehmen soll.

Konzernrelevanz ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich Maßnahmen einer Tochtergesellschaft auch auf die Vermögens- und Ertragslage der Muttergesellschaft nicht bloß unbedeutend auswirken; der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft muss sich daher quasi aus einer Art Vogelperspektive mit allen für den Konzern wesentlichen Geschäften beschäftigen. Er muss das Geschehen im gesamten Konzern bis auf die Ebene der Beteiligungsgesellschaften so weit im Auge behalten, als das Geschehen dort für die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage der Konzernobergesellschaft von Bedeutung ist. Maßgebliche Kriterien sind die Rentabilität und Liquidität der Gesellschaft sowie deren finanzielles Gleichgewicht.

OGH 25. 11. 2020, 6 Ob 209/20h

Entscheidung

Der Bekl ist Vorstandsmitglied sowohl im Vorstand der Kl (Konzernobergesellschaft) als auch im Vorstand der Tochtergesellschaft W***** AG. Die Kl stützt ihren Vorwurf gegenüber dem Bekl auf die in ihrer Geschäftsordnung des Aufsichtsrats und des Vorstands angeordnete Bestimmung, wonach die Übernahme von Patronatserklärungen für verbundene Unternehmen (“Letters of comfort“) auch in Bezug auf die Konzernholding W***** AG dem Aufsichtsrat der Kl vorzulegen gewesen wäre (Zustimmungsvorbehalt).

Nach dem hier bislang festgestellten Sachverhalt hat der Bekl den Zustimmungsvorbehalt für den Aufsichtsrat der Kl in Bezug auf die Übernahme von Patronatserklärungen auch für die W***** AG missachtet, was haftungsbegründend wäre, wenn der Kl daraus tatsächlich ein Schaden entstanden sein sollte: Er gab als Vorstand der W***** AG die Patronatserklärungen ab, als Vorstand der Kl wusste er aber, dass solche Patronatserklärungen ohne Zustimmung des Aufsichtsrats der Kl nicht abgeschlossen werden durften. Wegen fehlender Feststellungen zum Schaden (Insolvenz der W***** AG als Folge der Abgabe der Patronatserklärungen) und zur Kausalität der Pflichtverletzung des Bekl für diesen Schaden hat der OGH die Sache jedoch an das ErstG zurückverwiesen.

Im Zusammenhang damit, dass der Zustimmungsvorbehalt für den Aufsichtsrat der Kl in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats und des Vorstands der Kl hier nicht nur zulässig, sondern – wie der ÖCGK zeigt – iS einer effektiven Überwachung der Konzernleitung sogar geboten ist, führt der OGH zahlreiche Belegstellen der Lit an, die sich mit der „Konzernleitungspflicht“ des Vorstands der Muttergesellschaft und der Zustimmungskompetenz des Aufsichtsrats der Konzernmutter zu Maßnahmen einzelner KOnzerngesellschaften beschäftigen, ua:

-Nicht jedes Geschäft kann zustimmungspflichtig gemacht werden; der Aufsichtsrat der Konzernmutter muss sorgsam darauf achten, nur die Maßnahmen und Geschäfte seiner Zustimmung zu unterwerfen, die tatsächlich für die Überwachung der Konzernleitung notwendig sind (Kalss, Aufsichtsrat aktuell 2009 H 3, 4; ähnlich Frotz/Spitznagel, RWZ 2011/46 [III.3.2.1.]).
-Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft darf von seiner Konzernüberwachungsaufgabe nur angemessen Gebrauch machen; die konkrete Ausgestaltung hängt von der Intensität der Konzernleitung ebenso ab wie von der Art des betroffenen Geschäfts und seiner Auswirkung auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns oder der sonstigen Konzernrelevanz (etwa bei ganz zentralen Personalmaßnahmen; Schima, GesRZ 2012, 35 [III.2.]).
-Dabei kommt es auf den Blickwinkel der Obergesellschaft an, dh auf die Auswirkungen auf diese (Eckert/Gassauer-Fleissner, GeS 2004, 416 [426]). Zusammengefasst hat der Aufsichtsrat die Entwicklung der Konzerntochtergesellschaften so weit zu verfolgen, als es sich um wirtschaftliche Aktivitäten oder Vermögenswerte handelt, die für die Muttergesellschaft wesentlich sind (Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat2 Kap 31 Rz 46; Frotz/Spitznagel, RWZ 2011/46 [III.2.2.]).
-Da die nachgeordneten Unternehmen einen Teil des Vermögens der Konzernobergesellschaft darstellen, macht es keinen Unterschied, ob das Vermögen tatsächlich im juristischen Eigentum der Konzernobergesellschaft oder juristisch getrennt in einer nachgeordneten Gesellschaft loziert ist (vgl Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 95 Rz 37; Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 61).
-Auf der Ebene der Beteiligungsgesellschaft tritt keine unmittelbare rechtliche Wirkung ein: Deren Geschäftsführungsorgan ist nicht dazu verpflichtet, die Zustimmung des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft einzuholen; eine solche Ausdehnung des Zustimmungsvorbehalts verpflichtet allerdings den Vorstand der Muttergesellschaft, auf die betreffende Beteiligungsgesellschaft dahingehend einzuwirken, dass die erfassten außerordentlichen Geschäftsführungsmaßnahmen nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden, zu deren Erteilung es auf der Ebene der Muttergesellschaft wiederum der vorherigen Einwilligung deren Aufsichtsrats bedarf (Frotz/Schörghofer in Kalss/Kunz, HB Aufsichtsrat² Kap 11 Rz 38). Erst dadurch erhält der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft die Möglichkeit, sein Zustimmungsrecht auszuüben (Frotz/Spitznagel, RWZ 2011/46 [III.2.3.])

Das Eingehen von Haftungen in beträchtlicher Höhe – durch Patronatserklärungen wie hier – verwirklicht eine Risikomultiplikation innerhalb des Konzerns und stellt zweifellos eine Angelegenheit dar, die „konzernrelevant“ ist.

Im Übrigen hält der OGH unter Verweis auf die Lit auch fest, dass „Doppelmandate“ – wie hier – grds zulässig sind, Vorstandsmitglieder der leitenden Gesellschaft also gleichzeitig auch Vorstandsmitglieder von Tochtergesellschaften sein können. Die Repräsentanz der Organwalter der leitenden Gesellschaft in den Geschäftsführungsorganen der Tochtergesellschaften ist ein effizientes Mittel, um Einfluss zu wahren, und erleichtert den Informationsfluss. Auf diese Weise lässt sich auch sicherstellen, dass in der Enkelgesellschaft eine Maßnahme nicht ausgeführt wird, bevor nicht die Zustimmungen von Vorstand und Aufsichtsrat der Muttergesellschaft erteilt sind.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30439 vom 17.02.2021