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Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen als umsatzsteuerfreie Heilbehandlung?

Bearbeiter: Annika Streicher

UStG: § 6 Abs 1 Z 19

MwStSyst-RL: Art 132 Abs 1 lit c

Abstract

Die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen ist von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie Bestandteil einer Heilbehandlung ist. Während im Fall organisch bedingter Sterilität die Anwendung der Befreiung in Frage kommt, ist die Lagerung des Materials für Zwecke des „social freezing“ nicht befreit. Unerheblich ist, ob im Anschluss an die Kryokonservierung tatsächlich eine weitere Fruchtbarkeitsbehandlung stattfindet und auch, ob die Kryokonservierung nicht vom behandelnden Arzt selbst durchgeführt wird.

FG Münster vom 6. 2.2020, 5 K 158/17 U

Sachverhalt

Die Bf ist eine aus Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe bestehende GesbR. Die Ärzte hatten sich zu zwei verschiedenen GesbR zusammengeschlossen. Eine GesbR bot Kinderwunschbehandlungen an. Wurde im Rahmen dieser Behandlung von den Patienten die Entscheidung zu einer Kryokonservierung (Einfrieren von Ei- und Samenzellen) getroffen, schlossen die Patienten mit der anderen GesbR (der Bf) einen Vertrag über die Lagerung des Materials. Das Finanzamt verwehrte der Bf die Anwendung der Umsatzsteuerbefreiung für Heilbehandlungen gem § 4 Z 14 lit a dUStG.

Entscheidung

In der gegenständlichen Entscheidung war fraglich, ob die unechte Steuerbefreiung in § 4 Z 14 lit a dUStG auf die Lagerung von Ei- und Samenzellen anwendbar ist. Diese Befreiung ergibt sich aus Art 132 Abs 1 lit c MwStSyst-RL und ist in Österreich in § 6 Abs 1 Z 19 UStG umgesetzt. Das FG kam zu dem Schluss, dass die angesprochene Befreiung auf die vorliegende Leistung anwendbar ist. Aus der EuGH-Rsp ergibt sich, dass Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen müssen (Rs PFC-Clinic, C-91/12). Der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ ist angesichts des Ziels der Regelung – die Heilbehandlungskosten zu senken – aber „nicht besonders eng auszulegen“ (Rs Dornier, C-45/01, Rn 48). Leistungen medizinischer Art, die zum Schutz und der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, können daher unter die Steuerbefreiung in Art 132 Abs 1 lit c MwStSyst-RL fallen. Keine Heilbehandlungen sind jedoch Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden und keinem solchen therapeutischen Zweck dienen (BFH vom 29. 7. 2015, XI R 23/13). Daher muss im Fall der Kryokonservierung nach ihrem Zweck unterschieden werden: Die Befreiung ist anzuwenden, wenn eine organisch bedingte Sterilität vorliegt. Nicht steuerfrei ist hingegen eine Lagerung ohne medizinischen Anlass, sog „social freezing“. Aus den Akten ergab sich, dass die Lagerung des Materials nur in solchen Fällen erfolgte, in denen ein Partner steril war. Die allgemeine Information auf der Website der Bf, dass eine Lagerung auch für Zwecke des „social freezing“ in Betracht kommt, war unschädlich. Die Frage, ob es nach der Kryokonservierung tatsächlich zu einer weiteren Fruchtbarkeitsbehandlung kommt, ist ebenso nicht entscheidungserheblich. Allein die Tatsache, dass die Lagerung laufende Kosten verursacht, genügt, um einen fortbestehenden Kinderwunsch und damit einen therapeutischen Zweck (Herbeiführung einer Schwangerschaft) anzunehmen. Die Tatsache, dass die eigentliche Behandlung und die Lagerung durch zwei getrennte Unternehmer erbracht wurden, stand dem Ergebnis nicht entgegen. Lt EuGH fallen auch Dienstleistungen, die nur einen Teil des Gesamtverfahrens bilden, unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“, wenn sie ein unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil des Verfahrens, dessen Bestandteile nicht sinnvollerweise isoliert werden können, sind (Rs Verigen Transplantation Service International, C-156/09). Unerheblich ist dann auch, ob die Dienstleistung vom Arzt selbst oder von einem Dritten erbracht wird.

Die Revision ist beim BFH zur Aktenziffer V R 10/20 anhängig.

Conclusio

Die Entscheidung entspricht der EuGH-Rsp in Future Health Technologies (C-86/09) und CopyGene A/S (C-262/08, Rechtsnews 9295). Demnach sind von der Befreiung in Art 132 Abs 1 lit c MwStSyst-RL die Entnahme, Analyse und Aufbereitung von Nabelschnurblut sowie die Lagerung von Stammzellen nicht erfasst, wenn damit bloß sichergestellt werden soll, dass für eine in der Zukunft möglicherweise nötige Heilbehandlung ein Behandlungsmittel verfügbar ist. Diese Feststellung lässt sich auf den Fall des „social freezing“ umlegen, bei dem ein akutes körperliches Gebrechen ebenso fehlt und nur für eine in der Zukunft potenziell notwendige Behandlung vorgesorgt werden soll.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29255 vom 19.06.2020