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Kündigungsanfechtung nach Widerspruch des Betriebsrats zur Kündigung

Bearbeiter: Bettina Sabara

ArbVG: § 105 Abs 4

Das Recht, die Kündigung anzufechten, steht im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung primär dem Betriebsrat, und diesem nur dann zu, wenn der Arbeitnehmer von ihm die Anfechtung verlangt hat. Setzt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist des Betriebsrates kein Verhalten, aus dem der Betriebsrat auf ein solches „Verlangen“ hätte schließen können, hat weder der Betriebsrat noch in der Folge der Arbeitnehmer ein Recht auf Anfechtung der Kündigung.

Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass während des Verfahrens hervorkommt, dass der Betriebsrat nur Anfechtungen für Arbeitnehmer vornimmt, wenn diese Gewerkschaftsmitglieder sind, was auf den betroffenen Arbeitnehmer nicht zutrifft. Auch wenn daher der Betriebsrat im konkreten Fall die Kündigungsanfechtung nicht vorgenommen hätte, ist daher das Anfechtungsrecht – mangels Verlangens der Anfechtung des Arbeitnehmers – nicht auf den Arbeitnehmer übergegangen.

OGH 24. 1. 2020, 8 ObA 48/19w -> zu OLG Wien 8 Ra 100/18m, ARD 6671/6/2019 (Änderung)

Sachverhalt

Der Kläger wurde vom beklagten Arbeitgeber gekündigt. Der Betriebsrat hatte der Kündigung ausdrücklich widersprochen, was dem Kläger auch gesagt wurde.

Der Kläger wollte die Kündigung jedenfalls anfechten. Er versuchte mehrfach die Vorsitzende des Betriebsrats telefonisch zu erreichen, da er hoffte, von ihr Gründe für die Kündigung zu erfahren. Hätte er sie erreicht, hätte er ihr mitgeteilt, dass er die Kündigung selbst anfechten möchte. In der Folge wandte er sich an den Klagevertreter, dem er am 22. 5. 2018 beim ersten Besprechungstermin den Auftrag zur Kündigungsanfechtung erteilte. Kontakt zum Betriebsrat bestand zu keiner Zeit. Erst während des Verfahrens nahm der Klagevertreter Kontakt zur Vorsitzenden des Betriebsrats auf, die ihm mitteilte, dass der Betriebsrat nur Anfechtungen für Arbeitnehmer vornehme, wenn diese Gewerkschaftsmitglieder seien, was auf den Kläger nicht zutrifft.

In seiner Kündigungsanfechtungsklage führte der Kläger aus, er habe nicht gewusst, dass er bei einem Widerspruch des Betriebsrats gegen die Kündigung innerhalb einer Frist vom Betriebsrat verlangen müsse, dass dieser die Kündigung anfechte. Hätte er dies gewusst, hätte er den Betriebsrat zur Anfechtung aufgefordert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit für rechtsunwirksam zu erklären, ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob die erstinstanzlichen Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung zurück an das Erstgericht.

Der OGH hat den Rekurs für zulässig erklärt, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorlag, ob das Recht auf Kündigungsanfechtung auf den Arbeitnehmer auch dann übergeht, wenn er im Verfahren unter Beweis stellt, dass der Betriebsrat einem (nicht gestellten) Verlangen auf Anfechtung der Kündigung jedenfalls nicht entsprochen hätte. In der Sache hat der OGH das klagsabweisende Ersturteil wiederhergestellt und dies zusammengefasst wie folgt begründet:

Anfechtungsrecht bei Widerspruch des Betriebsrats

Nach § 105 Abs 4 ArbVG kann der Betriebsrat auf Verlangen des gekündigten Arbeitnehmers binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Gericht anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat. Kommt der Betriebsrat dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nach, so kann dieser innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der für den Betriebsrat geltenden Frist die Kündigung selbst beim Gericht anfechten.

Diese Bestimmung mache deutlich, dass das Recht, die Anfechtungsklage zu erheben, im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung primär dem Betriebsrat, und diesem nur dann zusteht, wenn der Arbeitnehmer von ihm die Anfechtung verlangt habe. Da aber im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigungsabsicht der Arbeitnehmer selbst nur zur Klage berechtigt sei, wenn der Betriebsrat dem Verlangen auf Anfechtung der Kündigung nicht nachkomme, setze auch das Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers voraus, dass der Arbeitnehmer den primär anfechtungsberechtigten Betriebsrat zunächst aufgefordert habe, die Anfechtung vorzunehmen (vgl OGH 30. 8. 2001, 8 ObA 177/01i, ARD 5290/12/2002).

An das „Verlangen“ des Arbeitnehmers iSd § 105 Abs 4 ArbVG an den Betriebsrat, die Kündigung anzufechten, sind nach der Rechtsprechung keine besonderen formellen Ansprüche zu stellen. Wesentlich ist, dass aus den Erklärungen des Arbeitnehmers insgesamt hervorgeht, dass er möchte, dass seine Kündigung durch Ausübung des Anfechtungsrechts nach § 105 ArbVG wieder aufgehoben wird (vgl OGH 25. 1. 2001, 8 ObA 216/00y, ARD 5290/15/2002). Dieser „Wunsch“ kann sich insbesondere in (auch vor ausgesprochener Kündigung erfolgten) Erklärungen und Verhaltensweisen, wie etwa Gesprächen mit dem Betriebsrat und Befassung eines Vertreters der Arbeiterkammer, manifestieren (Wolligger in ZellKomm³, § 105 ArbVG Rz 68).

Kein Übergang des Anfechtungsrechts

In der Literatur vertritt Firlei (ZAS 2002/15) unter Hinweis auf die Funktion des Anfechtungsverlangens, dem Arbeitnehmer nicht gegen seinen Willen ein Kündigungsschutzverfahren aufzuzwingen, die Ansicht, dass eine Anfechtung auch dann zugelassen werden sollte, wenn eine in plausibler Weise zu vermutende „stille“ Zustimmung des Arbeitnehmers zur Anfechtung schlicht aus den vorliegenden Umständen zu erschließen sei. Diese könne sich aus dem hypothetischen Willen des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der gesamten vorliegenden Umstände ergeben, also nicht nur aus Erklärungen und (schlüssigen) Verhaltensweisen. Auch eine bloß aus den Umständen zu vermutende Einwilligung des Arbeitnehmers in die Bekämpfung der Kündigung löse das formelle Anfechtungsrecht des Betriebsrats, subsidiär das des Arbeitnehmers, aus. Wolligger (in ZellKomm³, § 105 ArbVG Rz 68) pflichtet dem bei: Nur eine Interpretation des Begriffs „Verlangen“ als „Vorliegen eines Einvernehmens“ könne dem von der Rechtsprechung immer wieder betonten Postulat der Einzelfallgerechtigkeit gerecht werden.

Dieser Rechtsansicht stimmt der OGH angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht zu. Nach der Konzeption des Gesetzes komme das Anfechtungsrecht im Falle eines Widerspruchs des Betriebsrats zur Kündigung primär und ausschließlich dem Betriebsrat zu. Zusätzlich setze das Recht auf Kündigungsanfechtung durch den Betriebsrat ein „Verlangen“ des Arbeitnehmers voraus, da das Kündigungsschutzverfahren nicht gegen den Willen des Arbeitnehmers eingeleitet werden soll. Dies setze aber voraus, dass dem Betriebsrat in irgendeiner Form während der ihm für die Anfechtung zur Verfügung stehenden Frist bekannt wird, dass der Arbeitnehmer eine Anfechtung wünscht oder zumindest mit einer solchen einverstanden ist. Wie bereits in der Entscheidung 8 ObA 177/01i dargelegt, kann nur so ein Anfechtungsanspruch des Betriebsrats entstehen und nur dann ein solcher Anspruch auf den Arbeitnehmer übergehen.

Die vom Berufungsgericht angenommene Möglichkeit, im Nachhinein hypothetisch nachzuvollziehen, ob der Arbeitnehmer mit einer Anfechtung einverstanden gewesen wäre bzw ob der Betriebsrat im Fall eines ihm bekannt gewordenen Einverständnisses selbst eine Kündigungsanfechtung vorgenommen hätte, entspricht damit nicht dem Gesetz.

Da der Kläger weder vor der Kündigung noch nach Ausspruch der Kündigung innerhalb der dem Betriebsrat zur Klagseinbringung zur Verfügung stehenden Frist ein dem Betriebsrat bekannt gewordenes Verhalten setzte, aus dem auf ein „Verlangen“ der Anfechtung geschlossen werden hätte können, hatte weder der Betriebsrat noch in der Folge der Kläger ein Recht auf Anfechtung der Kündigung.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29064 vom 14.05.2020