Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ÖStZ erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
MwStSyst-RL: Art 289 Nr 19
Abstract
Der EuGH hatte über die Auslegung des unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots im Bereich der Mehrwertsteuer zu entscheiden. Fraglich war, ob eine missbräuchliche Praxis zur Versagung der Kleinunternehmerbefreiung führen kann, wenn es im nationalen Recht keine Rechtsgrundlage zur Versagung von Steuervorteilen bei Missbrauch gibt. Nach Ansicht des EuGH ist eine solche Versagung der Inanspruchnahme auch ohne innerstaatliche Regelung vorzunehmen, weil die objektiven Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerbefreiung bei einer missbräuchlichen Praxis erst gar nicht vorliegen.
EuGH 4. 10. 2024, C-171-23, UP CAFFE
Sachverhalt
UP CAFFE ist eine im Gastronomiebetrieb tätige kroatische Gesellschaft, die am 28. 6. 2017 gegründet wurde. Dieser Betrieb wurde im Zeitraum vom 1. 1. 2013 bis 13. 7. 2017 von SS-UGO geführt und im Anschluss daran von der UP CAFFE übernommen und fortgeführt. Beide Gesellschaften sind miteinander verbunden. Mit Steuerbescheid verpflichtete die kroatische Steuerverwaltung UP CAFFE zur Zahlung von ca 18.000 € (umgerechnet) an MwSt, da die SS-UGO die Voraussetzungen für die Kleinunternehmerbefreiung aufgrund zu hoher Umsätze nicht mehr erfülle. Das kroatische Recht sieht die Möglichkeit der Kleinunternehmerbefreiung vor, sofern der Umsatz im vergangenen oder laufenden Geschäftsjahr ca 39.000 € nicht übersteigt. Mit der Übernahme des Betriebs der SS-UGO durch die neugegründete UP CAFFE konnte letztere von der Kleinunternehmerbefreiung Gebrauch machen, weil diese den Wert von 39.000 € noch nicht überschritten hatte. Dabei übernahm sie die Geschäftsräume, die Arbeitnehmer und die Lieferanten. Auch der Geschäftsführer und Eigentümer der SS-UGO war bei der UP CAFFE angestellt. Für das vorlegende kroatische Verwaltungsgericht war fraglich, ob es sich bei der Neugründung der UP CAFFE um eine missbräuchliche Inanspruchnahme der kroatischen Kleinunternehmerbefreiung (Art 289 Nr 19 MwStSyst-RL) handelte, um weiterhin die Mehrwertsteuerfreigrenze in Anspruch nehmen zu können. Dementsprechend legte es dem EuGH im Wesentlichen folgende Frage vor: Kann die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerbefreiung aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots auch dann versagt werden, wenn das kroatische Recht zum Zeitpunkt des Ausgangsfalls kein solches Verbot normiert?
Entscheidung des EuGH
Zunächst fasst der EuGH die zwei Voraussetzungen für eine missbräuchliche Praxis im Bereich der MwSt zusammen: (1) Der fragliche Umsatz muss bei Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der MwStSyst-RL einen Steuervorteil zum Ergebnis haben. (2) Zudem muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass der Steuervorteil ein wesentlicher Zweck des fraglichen Umsatzes ist. Kein Missbrauch liegt vor, wenn die fraglichen Umsätze andere Erklärungen als den eines Steuervorteils aufweisen (EuGH 21. 2. 2006, C-255/02, Halifax ua). Diese Feststellung ist in weiterer Folge Sache des vorlegenden Gerichts.
Der EuGH hält weiters fest, dass die Neugründung einer Gesellschaft zur Fortführung der Tätigkeit einer anderen Gesellschaft (ohne Anspruch auf Kleinunternehmerbefreiung) mit Art 287 Nr 19 MwStSyst-RL nicht vereinbar ist, wenn dies allein der Inanspruchnahme der Kleinunternehmerbefreiung dient. Das vorlegende Gericht hat somit zu prüfen, ob eine Auslegung des kroatischen Rechts möglich ist, durch die eine solche missbräuchliche Praxis verboten ist. Nach Ansicht des EuGH ist die Versagung der Vorteile der Kleinunternehmerregelung aber auch ohne eine im nationalen Recht bestehende Bestimmung über das Verbot missbräuchlicher Praktiken möglich: Eine RL kann zwar nicht selbst Verpflichtungen eines Einzelnen gegenüber einem Mitgliedstaat begründen. Allerdings gilt das nicht, wenn ein Recht aufgrund einer missbräuchlichen Praxis versagt wird (EuGH 18. 12. 2014, C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti ua). Insofern bedarf es keiner ausdrücklichen Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht für die Versagung der Kleinunternehmerbefreiung bei missbräuchlicher Inanspruchnahme, weil bereits die objektiven Voraussetzungen für die Inanspruchnahme nicht vorliegen. Die Rechtsfolge wäre dann eine Umqualifizierung der betroffenen Umsätze: Diese müssten bei einer missbräuchlichen Praxis steuerlich so behandelt werden, als bestünde keine missbräuchliche Praxis. Dies darf jedoch nicht darüber hinaus gehen, was zur Sicherstellung der Erhebung der MwSt erforderlich ist.
Conclusio
Das vorliegende Urteil entspricht der bisherigen Rsp des EuGH zum Missbrauchsverbot im Bereich des Mehrwertsteuerrechts (siehe EuGH 21. 2. 2006, C-255/02, Halifax ua; 18. 12. 2014, C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti ua). Allerdings wirft dabei das Tatbestandsmerkmal des Steuervorteils im vorliegenden Fall Fragen auf, weil die Kleinunternehmerbefreiung für den Unternehmer nicht unmittelbar zu einem Steuervorteil führt. Der Unternehmer kann zwar umsatzsteuerfreie Umsätze erzielen, gleichzeitig steht ihm aber auch kein Vorsteuerabzug zu. Somit würde sich aus steuerlicher Sicht kein Vorteil für ihn ergeben, wenn ihm die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerbefreiung versagt werden würde: Dann müsste er zwar Umsatzsteuer (USt) einbehalten und abführen, könnte aber auch den Vorsteuerabzug geltend machen. Der Zweck dieser Umsatzsteuerbefreiung für Kleinunternehmer liegt va in der Verwaltungsvereinfachung, weil nicht jeder Unternehmer damit als Stpfl für die USt anzusehen ist und somit sowohl aufseiten der Finanzverwaltung als auch aufseiten des Stpfl Verwaltungsaufwand erspart bleibt (s auch die SA der GA Kokott 16. 5. 2024, C-171/23, UP CAFFE, Rn 50 ff). Der EuGH hat sich aber zu diesen Bedenken der GA nicht näher geäußert, sondern einen möglichen Steuervorteil iZm der missbräuchlichen Inanspruchnahme der Kleinunternehmerbefreiung wohl als möglich erachtet.