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Nachsicht anstatt Revision?

Bearbeiter: Andreas Ullmann

BAO: § 236

Abstract

Der VwGH entschied, ob eine Abgabeneinhebung unbillig ist, wenn sich die Abgabenfestsetzung im Nachhinein als rechtswidrig herausstellt. Der Grund für die Unbilligkeit muss in der Abgabeneinhebung liegen. Eine unrechtmäßige Abgabenfestsetzung kann daher Unbilligkeit nicht begründen.

VwGH vom 4. 6. 2020, Ra 2019/15/0117

Sachverhalt

Ein Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie wandte in den Jahren 2009 bis 2012 auf sämtliche Umsätze aus seiner Praxis die Steuerbefreiung gem § 6 Abs 1 Z 19 UStG an. Nach einer Außenprüfung kam das Finanzamt zu dem Schluss, dass die Befreiung nur für Behandlungen zustand, die medizinisch indiziert waren. Das Finanzamt änderte daraufhin die Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 ab und besteuerte die Behandlungen, bei denen eine medizinische Indikation fehlte. In der dagegen erhobenen Beschwerde bestätigte das BFG die Rechtsansicht des Finanzamtes dem Grunde nach. Der Arzt erhob gegen das BFG-Urteil keine (außerordentliche) Revision. In weiterer Folge stellte er den Antrag, die Abgabenschuld aufgrund sachlicher Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nachzusehen. Die sachliche Unbilligkeit begründete er damit, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgte.

Rechtliche Beurteilung

Eine Nachsicht gem § 236 BAO ist zu gewähren, wenn die Einhebung der Abgaben im Einzelfall aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre. Im gegenständlichen Fall war strittig, ob eine sachliche Unbilligkeit vorlag. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Anwendung der Abgabengesetze aufgrund eines außergewöhnlichen Geschehensablaufs zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis führt, wodurch es beim Steuerpflichtigen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt.

Das BFG sah die sachliche Unbilligkeit im vorliegenden Fall gegeben. § 6 Abs 1 Z 19 UStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung war, unabhängig vom Vorliegen einer medizinischen Indikation, auf alle Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt anwendbar. Diese Rechtsansicht bestätigte der VwGH in einer Entscheidung zu einem ähnlichen Verfahren, welche drei Monate nach der abweisenden BFG-Entscheidung erging. Die Vorschreibung der verfahrensgegenständlichen Umsatzsteuernachforderungen erfolgte daher mangels Vorliegen eines Abgabenanspruches zu Unrecht. Das BFG hielt es für unbillig, die Entrichtung dieser Abgabe zu verlangen.

Der VwGH hingegen verneinte das Vorliegen einer (sachlichen) Unbilligkeit. § 236 BAO beziehe sich auf die Einhebung der Abgaben, nicht auf deren Vorschreibung. Die Umstände, aus denen sich die vermeintliche Unbilligkeit ergibt, müssen daher die Entrichtung der Abgabe betreffen. Das Vorliegen eines materiell-rechtlichen Abgabenanspruches ist jedoch Gegenstand des Festsetzungsverfahrens. Eine unrechtmäßige Abgabenfestsetzung begründe daher keine Unbilligkeit der Abgabenerhebung.

Conclusio

Eine zu Unrecht erfolgte Abgabenfestsetzung macht die darauf basierende Abgabeneinhebung nicht sachlich unbillig. Im Feststellungsverfahren unterlassene Einwendungen gegen den Abgabenanspruch können im Nachsichtverfahren nicht nachgeholt werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29537 vom 14.08.2020