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MwStSyst-RL: Art 2, Art 73
UStG 1994: § 1
Abstract
Der OGH wurde mit der Frage konfrontiert, ob das Entgelt nach § 1168 ABGB auch als Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL (§ 1 Abs 1 Z 1 UStG) qualifiziert werden kann und daher der Umsatzsteuer unterliegt. Für den OGH war bei dieser Beurteilung unklar, ob die in der Literatur vertretene Ansicht (ua Tanzer, Das leistungslose Entgelt – Die Auflösung eines Werkvertrags nach § 1168 ABG im Umsatzsteuerrecht, ÖStZ 1979, 38 ff), der Entgeltanspruch nach § 1168 ABGB sei nicht umsatzsteuerbar, vor dem Hintergrund der jüngeren EuGH-Rsp mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Daher legte der OGH diese Frage nun dem EuGH vor.
Sachverhalt
Zwischen den beiden Streitteilen wurde 2018 ein Werkvertrag abgeschlossen. Die Klägerin (Kl) sollte für die Beklagte Trockenbauarbeiten ausführen. Als Werklohn wurde € 5.377.399,69 inkl 20 % USt vereinbart. Nachdem die Kl mit den Arbeiten begonnen hatte, teilte die Beklagte mit, sie wolle die Leistungen der Kl nicht mehr in Anspruch nehmen. Die Kl brachte daraufhin vor, dass ihr nach Anrechnung von Ersparnissen und bereits bezahlter Arbeiten gem § 1168 ABGB € 1.503.594 inkl USt wegen ungerechtfertigten Vertragsrückstritts zustünden. Die Beklagte bestritt das Zustandekommen eines Werkvertrages und brachte vor, dass die Kl für die rechtsgrundlos erbrachten Trockenbauarbeiten bereits einen angemessenen Lohn erhalten habe. Das Erstgericht gab der Klage zur Gänze statt und sprach den Werklohn iHv € 1.503.594 inkl USt zu. Das Berufungsgericht (OLG) änderte das Ersturteil dahin gehend ab, dass der Kl lediglich der Nettolohn zusteht. Mangels Leistungsaustausches unterliegt der Werklohn nicht der Umsatzsteuer. Gegen diese Entscheidung wandten sich beide Seiten an den OGH. Die Kl brachte mit Verweis auf EuGH-Rsp vor, dass sie zur Leistung bereit war und das Entgelt daher der Umsatzsteuer unterliege. Die Beklagte brachte wiederum vor, dass kein Werkvertrag zustande gekommen sei.
Vorlage durch OGH
Bevor der OGH auf die Revision der Kl eingeht, weist das österreichische Höchstgericht die Revision der beklagten Partei zurück. Demnach ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Werkvertrag zustande gekommen ist, nicht korrekturbedürftig. Damit bleibt lediglich fraglich, ob der Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB der Umsatzsteuer unterliegt. Zuallererst geht das Höchstgericht auf die in der Literatur vertretene Ansicht ein. Demnach stehe dem Entgelt nach § 1168 ABGB keine reale Leistung, sondern lediglich eine Leistungsbereitschaft gegenüber, die nicht umsatzsteuerbar sei (ua Tanzer, Das leistungslose Entgelt – Die Auflösung eines Werkvertrags nach § 1168 ABG im Umsatzsteuerrecht, ÖStZ 1979, 38 ff; Ruppe/Achatz, UStG5 § 1 Rz 222).
Im nächsten Schritt äußert der OGH vor dem Hintergrund der jüngeren EuGH-Rsp Bedenken, ob diese in der Literatur vertretene Ansicht dem Unionsrecht entspricht. So hat der EuGH etwa in den verbundenen Rs Air-France/KLM und Hop!-Brit Air SAS (EuGH 23. 12. 2015, C-250/14 und C-289/14) ausgesprochen, dass Art 2 Abs 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 EWG dahin gehend auszulegen ist, dass das Ausstellen von Flugscheinen auch dann mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn die Fluggäste die ausgegebenen Flugscheine nicht benutzt haben. In der Rs Meo-Servicos de Comunicacoes e Multimedia (EuGH 22. 11. 2018, C-295/17) hat der EuGH zudem ausgesprochen, dass ein Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall einer vorzeitigen Beendigung eines befristeten Vertrages über Telekommunikationsleistungen durch seinen Kunden bezieht, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL anzusehen ist und daher der Mehrwertsteuer unterliegt. In diesen Entscheidungen genügt dem EuGH daher die bloße Leistungsbereitschaft für das Begründen eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustausches.
Laut OGH haben diese Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall gemeinsam, dass ein Geldbetrag geschuldet wird, wenn die Leistung aus vom Abnehmer stammenden Gründen nicht in Anspruch genommen wird. Dies würde zwar dafürsprechen, dass auch das nach § 1168 ABGB geschuldete Entgelt der Mehrwertsteuer unterliegt. Allerdings bestehen laut OGH zwischen dem vorliegenden Fall und den oben genannten Entscheidungen des EuGH wesentliche Unterschiede: Während die jeweilige Fluglinie die Leistung im Zeitpunkt des Abflugs noch schuldete (Rs Air-France/KLM und Hop!-Brit Air SAS), war dies im vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt der Abbestellung des Werkes und damit dem Entstehen des Entgeltanspruches nach § 1168 ABGB nicht mehr der Fall. Bezüglich einer etwaigen Vergleichbarkeit mit der Rs Meo-Servicos de Comunicacoes e Multimedia bringt der OGH vor, dass der zu zahlende Betrag im Falle einer vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrages mit einer Mindestbindungsfrist in gewisser Weise weiterhin Entgeltcharakter hat. Immerhin soll der Schaden des Betreibers durch die Nichteinhaltung dieser Frist ausgeglichen werden. Laut OGH kommt dem Entgelt nach § 1168 ABGB kein vergleichbarer Entgeltcharakter zu. Aufgrund der vom OGH herausgearbeiteten Unterschiede zwischen dem vorliegenden Fall und den Entscheidungen des EuGH legt der OGH dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nun die Frage vor, ob ein Entgelt iSd § 1168 ABGB auch als Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL (§ 1 Abs 1 Z 1 UStG) zu qualifizieren ist.
Conclusio
Damit eine Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL (§ 1 Abs 1 Z 1 UStG) vorliegt, muss ein Leistungsaustausch bestehen. § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB sieht vor, dass dem Unternehmer das vereinbarte Entgelt auch dann gebührt, wenn er zur Leistung bereit war und die Ausführung des Werkes durch Umstände unterbleibt, die aufseiten des Bestellers liegen. Daher stellt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch auch angenommen werden kann, wenn dem vereinbarten Entgelt die Leistungsbereitschaft des Werkunternehmers gegenübersteht. Der EuGH hat in einigen Entscheidungen bereits festgehalten, dass eine Leistungsbereitschaft genügen kann, um einen steuerbaren Leistungsaustausch zu begründen. Der OGH äußert allerdings zu Recht Bedenken, ob diese Entscheidungen des EuGH auf den vorliegenden Fall übertragbar sind. Insb die Entscheidung in der Rs Air-France/KLM und Hop!-Brit Air SAS dürfte nicht vergleichbar sein, da der Unternehmer die Leistung (Flug) erbracht hat und der Kunde dafür bezahlt hat. Demgegenüber ist der Werkbesteller im vorliegenden Fall zurückgetreten, weshalb die Werkunternehmerin das Werk (Trockenbauarbeiten) nicht vollständig erbringen konnte.
Mehr Ähnlichkeit dürfte der vorliegende Fall mit der Rs Meo-Servicos de Comunicacoes e Multimedia haben. In dieser Rs hat der EuGH entschieden, dass ein Betrag, den ein Kunde bezahlt, um sich von einer Mindestbindungsfrist „freizukaufen“, Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL ist. Durch diesen Betrag soll sichergestellt werden, dass MEO einen fixen Ertrag in Form einer vertraglich vorgesehenen Mindestvergütung erzielt. Der OGH zweifelt allerdings an einer Vergleichbarkeit zum vorliegenden Fall. Letztlich soll der Unternehmer aber in beiden Fällen so gestellt werden, als ob er die Leistung erbracht hätte. Der einzige Unterschied zwischen einem Anspruch nach § 1168 ABGB und dem vereinbarten Entgelt in der Rs Meo-Servicos de Comunicacoes e Multimedia dürfte wohl darin liegen, dass einerseits ein gesetzlicher und andererseits ein vertraglicher Anspruch besteht. Es bleibt jedenfalls mit Spannung zu erwarten, wie der EuGH über die umsatzsteuerliche Vorlagefragen des OGH entscheidet.