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Plattform betr „Rechtsfragen aller Art“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RAO: § 8, § 9

RL-BA 2015: § 40

UWG: § 1, § 2, § 14

Die Erstbekl, deren Geschäftsführer der Zweitbekl ist, ist Inhaberin der Unionsmarkein case of“ (Klassen 38 – Telekommunikationsdienste, 42 – IT-Dienstleistungen und 45 – Juristische Dienstleistungen). Unter der Adresse www.i*.law betreibt sie eine Website und verwendet info@i* als E-Mail-Adresse. Neben dem Produkt „Inkasso“ bietet die Erstbekl auf ihrer Plattform auch das Produkt „Rechtsfragen aller Art“ an. Dort kann ein Kunde rechtliche Fragen stellen und allenfalls Unterlagen hochladen. Das Softwaretool identifiziert dann automatisch die Problemstellung und schlägt gegebenenfalls einen „angebundenen“ Rechtsanwalt vor, der sodann vom Kunden beauftragt werden kann. Weiters bietet das Softwaretool eine rechtliche Recherche, deren Ergebnisse dem Rechtsanwalt nach Mandatierung und Bevollmächtigung durch den Kunden zur Verfügung gestellt werden.

Der Kl ist ein Verein, dessen Mitglieder Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsgesellschaften sind und zu dessen satzungsgemäßem Aufgabengebiet die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen gem § 14 UWG iZm den Rechten der österreichischen Rechtsanwaltschaft gehört. Nach Ansicht des Kl sei das Geschäftsmodell der Bekl unzulässig, führe zur Verwechslungsgefahr mit Tätigkeiten, die Rechtsanwälten vorbehalten sind, und verstoße gegen das anwaltliche Standesrecht. Die Klage war nur teilweise erfolgreich.

Eine Verwechslungsgefahr mit einem Anwalt bzw einer Anwaltskanzlei oder auch nur ein Verschwimmen der Grenzen zwischen externem Dienstleister und Anwalt ist hier nicht zu befürchten. Mit den Fällen 4 Ob 135/10x ( = RdW 2010/731) und 4 Ob 181/17x (= RdW 2018/26) sind die Verwendung des Firmennamens oder des Wortbestandteils der Marke der Erstbekl auch im Zusammenhalt mit dem Zusatz „law“ oder die Bewerbung, sie biete eine „Rechtsabteilung on demand“ an, nicht zu vergleichen. „Law“ lässt auch in der konkreten Gestaltung des Firmenwortlauts bzw in Kombination mit der Marke nicht an eine Anwaltskanzlei denken. Eine Rechtsabteilung („on demand“ oder nicht) ist nach dem Durchschnittsverständnis der angesprochenen Verkehrskreise (nach den Feststellungen KMU), aber auch nach allgemeinem Verständnis keine Anwaltskanzlei.

Zumindest vertretbar ist auch die Beurteilung der „maschinellen“ Erstellung von Recherchen für Anwälte als vereinbar mit den einschlägigen standesrechtlichen Bestimmungen. Dem Geschäftsmodell oder den Vertragswerken ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass der Anwalt an Erwägungen, Mat, Rechercheergebnisse oder auch Handlungsempfehlungen gebunden wäre, die von den Bekl – sei es traditionell, sei es „maschinell“ oder durch Verwendung von Künstlicher Intelligenz – angeboten werden, oder er dadurch auch nur irgendwie seiner Pflicht gem § 9 Abs 1 RAO enthoben wäre, seinen Mandanten und dessen Rechte entsprechend seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit gegen jedermann zu vertreten. Woraus der Kl ableiten will, dass ein Anwalt keinen externen oder nichtanwaltlichen Rat einholen oder entgegennehmen dürfe, ist nicht erkennbar. Unverständlich ist auch, wie und warum eine selbstständige und eigenverantwortliche Tätigkeit eines Anwalts durch die gelieferten Daten beeinträchtigt werden sollte. Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass der Anwalt „die eigentliche juristische Arbeit“ ohne Kontrolle an Dritte „auslagern“ würde; weder vorgebracht noch festgestellt wurde auch, dass die Daten der Bekl „von der Rechtsanwaltssoftware nur mehr automatisiert übernommen und versendet werden müssen“, ohne dass der Anwalt in RAO–konformer Letztverantwortung den Inhalt im Hinblick auf den Gebrauch vor in- oder ausländischen Behörden prüfen würde, könnte oder dürfte.

Ebenfalls zumindest vertretbar ist die Ansicht der Vorinstanzen, dass es keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht begründet, wenn Daten, die den Kernbereich der anwaltlichen Verschwiegenheit betreffen – nämlich die Kommunikation zwischen dem Mandanten und dem Anwalt –, an einen Dritten weitergegeben werden, der vom Anwalt vertraglich zur Erbringung von Diensten wie hier herangezogen wird und daher als Hilfskraft des Anwalts an § 9 Abs 2 RAO gebunden ist. Dem entspricht es, dass die Ausgliederung (Outsourcing) bestimmter Dienstleistungen für Rechtsanwaltskanzleien üblich und nach den anwaltlichen Standesregeln nicht generell unzulässig ist. Warum die Bekl in der vorliegenden Konstellation und für die hier fraglichen Umstände zwingend nicht als Hilfskräfte des Anwalts angesehen werden könnten, wird von der Revision nicht dargelegt.

OGH 27. 6. 2023, 4 Ob 77/23m

Entscheidung

Standeswidrige Entgeltvereinbarung

Der Anbindungsvertrag zwischen Erstbekl und „Partner RA“ ist nach den Feststellungen so gestaltet, dass es die Erstbekl übernimmt, – mittels ihres KI-Tools – das Rechtsproblem des Kunden zu analysieren, einen geeigneten „Partner RA“ herauszufiltern und durch Datenaustausch zwischen beiden eine vertragliche Beziehung anzubahnen und dadurch die „Anbindungsvereinbarung“ zu erfüllen. Mag auch diese Vereinbarung eine Dienstleistungskomponente aufweisen, weil dem Rechtsanwalt aufbereitete Informationen zur Verfügung gestellt werden, so ist in einer Gesamtbetrachtung dem BerufungsG dahin beizupflichten, dass die Leistungen der Erstbekl in ihrer konkreten Gestaltung über die bloße Zurverfügungstellung einer Plattform für die Begegnung von Anwalt und Mandant hinausgehen; das vom Anwalt an die Erstbekl zu zahlende Entgelt orientiert sich zudem nicht an den konkreten Leistungen der Erstbekl und ihrem Aufwand, sondern es wäre pauschal ein fester Prozentsatz des anwaltlichen Honorars abzuliefern. Auch wenn das Entgelt nach den Feststellungen „für die Nutzung der Plattform“ geleistet wird, schließt doch die Nutzung der Plattform gerade auch die Anbahnung der Vertragsbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandanten und deren Zuführung zum Rechtsanwalt ein. Die vorliegende Vereinbarung widerspricht damit in diesem Punkt grds § 47 Abs 3 Z 6 RL-BA 2015 (Unzulässigkeit des Anbietens oder Gewährens von Vorteilen für Mandatszuführungen).

Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Bekl dagegen sind nicht stichhältig. Es ist nicht ersichtlich, warum die Bekl von Verfassungs wegen davon enthoben sein sollten, ihr Entgeltmodell so zu gestalten, dass ihre konkreten Leistungen zu bezahlen sind, ohne die vertraglich verbundenen Rechtsanwälte zu standeswidrigen Provisionsleistungen für die Mandantenakquisition zu verpflichten. Ein Verstoß gegen die Erwerbsfreiheit dahin, dass gegenüber standesrechtlich gebundenen Kunden wie Anwälten andere Regeln gälten als gegenüber sonstigen Berufsgruppen, ist nicht ersichtlich, zumal die Revision auch nicht darlegen kann, welche anderen Berufsgruppen dies im konkreten Fall überhaupt sein sollten. Aus demselben Grund ist auch der Vorwurf der unsachlichen Differenzierung nicht nachvollziehbar.

Nur Beitragstäterschaft – Klagebegehren

Werbebeschränkungen und Provisionsverbote finden sich auch in anderen Gesetzen, die standesrechtliche Pflichten umschreiben, wie etwa § 53 ÄrzteG oder § 35 ZÄG. Die genannten Bestimmungen sehen aber ausdrücklich vor, dass die dort verpönten Handlungen nicht nur (Zahn-)Ärzten, sondern auch sonstigen physischen und juristischen Personen untersagt sind (§ 53 Abs 3 ÄrzteG; § 35 Abs 4 ZÄG), konkret jedem, der für die (Zahn-)Ärzte werbend auftritt (vgl RS0106099).

Eine derartige Erstreckung des Adressatenkreises findet sich in den standesrechtlichen Bestimmungen für Rechtsanwälte nicht, sodass eine Haftung der Bekl als unmittelbare Täter eines Verstoßes gegen § 47 Abs 3 Z 6 RL-BA 2015 nicht in Betracht kommt; sie kommen hier bloß als Beitragstäter zum standes- und damit lauterkeitswidrigen Handeln eines Rechtsanwalts in Betracht.

In solchen Fällen muss sich das Begehren dementsprechend gegen den konkreten Tatbeitrag richten, nicht gegen das tatbestandsmäßige Verhalten der vom Gehilfen geförderten Person (vgl 17 Ob 14/10y mwH = Rechtsnews 11387). Das Verbot müsste sich daher etwa gegen das Fördern oder Ermöglichen eines Lauterkeitsverstoßes durch dritte Personen richten, die ihrerseits als unmittelbare Täter handeln (vgl 4 Ob 140/14p, RdW 2015/107), hier also Rechtsanwälte.

Im vorliegenden Einzelfall war im Hinblick auf die konkreten Vorbringen insgesamt eine Umformulierung iSd vom Kl Gewollten (vgl RS0038852) möglich, weil das Verbot eines Tatbeitrags hier kein aliud ist, dessen Zuspruch gegen § 405 ZPO verstieße (vgl dagegen 4 Ob 140/14p, RdW 2015/107).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34433 vom 30.08.2023