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Privilegierung ehrenrühriger Äußerungen im Familienkreis

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 1330

StGB: § 111

Die Bekl und der Sohn des Kl haben zwei gemeinsame Töchter (geboren 2011 und 2012), waren nie verheiratet und leben „seit geraumer Zeit“ getrennt. Nachdem ihre Töchter (also die Enkelinnen des Kl) auffälliges Verhalten gezeigt hatten, das in Richtung sexuellen Missbrauch gedeutet werden konnte, tätigte die Bekl im November 2018 bei einem rund einstündigen „Blitztermin“ beim Jugendamt die inkriminierte Äußerung, der Kl habe Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt (also einer anderen Person; Anm d Red). An diesem Termin nahmen zwei Mitarbeiter des Jugendamts, der Sohn des Kl, die Bekl sowie die Mutter der Bekl teil.

Vor dem Hintergrund der Rechtslage ist die Beurteilung der Vorinstanzen jedenfalls vertretbar, wonach es sich beim Sohn des Kl nicht um einen nahen Angehörigen der Bekl handelt, der zu ihrem Familienkreis iSd Rsp gehört, weil er und die Bekl nie verheiratet waren und „bereits seit geraumer Zeit“ getrennt leben. Von einer vertraulichen Äußerung im Familienkreis, bei der nicht angenommen werden kann, dass sie nach außen dringt, kann bei dieser Sachlage nicht gesprochen werden, steht doch der Sohn des Kl diesem jedenfalls näher als der Bekl (vgl 6 Ob 249/16k: Äußerungen gegenüber der Familie des Beleidigten sind nicht privilegiert, Rechtsnews 23317). Der strafrechtliche Angehörigenbegriff erscheint hier nicht maßgebend, hängt es doch auch bei § 111 StGB stets von den Umständen des Einzelfalls ab, ob Beleidigungen innerhalb des Familienverbands oder auch eines Freundeskreises tatbildlich iSd §§ 111 ff sind.

Auch bei einer Prüfung des Sachverhalts nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, gegenüber dem Sohn des Kl von einer Vertraulichkeit auszugehen. Im Gegenteil musste die Bekl angesichts der Familienverhältnisse realistischerweise geradezu davon ausgehen, dass der Sohn des Kl diesem sofort von den Vorwürfen erzählen werde.

OGH 16. 9. 2020, 6 Ob 144/20z

Entscheidung

Abgesehen davon kann auch kein berechtigtes Interesse der Bekl an der Äußerung erkannt werden: Bei der Besprechung beim Jugendamt ging es um die Befürchtung, die Enkelinnen des Kl könnten sexuell missbraucht worden sein, nicht jedoch um einen (allfälligen) geschlechtlichen Verkehr des Kl mit seiner Stieftochter. Außerdem liegt eine Rechtfertigung jedenfalls dann nicht vor, wenn die Äußerung wider besseres Wissen getätigt wird (vgl RS0105665). Im vorliegenden Fall wusste die Bekl, wer der Vater der Stieftochter des Kl ist, dass jemand anderer als der Kl der Vater des behinderten Kindes der Stieftochter ist und dass die Behinderung dieses Kindes auf eine Komplikation bei der Geburt zurückgeht. Dass die Bekl den Verdacht ohne weiter nachzudenken bzw unbedacht äußerte, vermag daran nichts zu ändern.

Wenn die Bekl meint, der Kl habe durch ihre Äußerung weder einen Schaden oder Einkommensverlust erlitten noch seien sein Kredit, Erwerb oder Fortkommen gefährdet worden, übersieht sie, dass der Kl seinen Unterlassungsanspruch auch auf eine Ehrverletzung nach § 1330 Abs 1 ABGB stützt. Die inkriminierte Äußerung, der Kl habe Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt, stellt jedenfalls eine solche Verletzung dar, enthält sie doch vor dem Hintergrund, er sei der Vater deren Kindes, die konkreten Vorwürfe,

-dieser Geschlechtsverkehr habe im Jahr 2010 stattgefunden (das Kind der Stieftochter wurde im Juni 2011 geboren), also zu einem Zeitpunkt, zu dem die im August 1993 geborene Stieftochter noch minderjährig war, und
-er Kl habe mit seiner „Stief“tochter Inzest begangen, sei er tatsächlich doch (auch) deren Vater.

Mit dieser Frage setzt sich die Bekl in ihrer Revision nicht näher auseinander, sondern verteidigt lediglich ihren Gedankengang, der Kl könnte etwas mit dem auffälligen Verhalten ihrer Kinder zu tun haben.

Bei Eingriffen in absolut geschützte Güter ist die Wiederholungsgefahr schon bei einem einmaligen Verstoß zu vermuten (RS0008987 [T15]). Die Beweislast für den Wegfall der Wiederholungsgefahr trifft den Verletzer, der diese nur durch eindeutiges Verhalten widerlegen kann (RS0005402 [T7]). Zudem ist es als Indiz für das Vorhandensein einer Wiederholungsgefahr zu werten, wenn der Bekl im Prozess seine Unterlassungspflicht bestreitet (RS0012055).

Im vorliegenden Fall hat die Bekl nicht nur ein Angebot des Kl vor Klagseinbringung abgelehnt, sich mit einer Erklärung der Bekl zu begnügen, Äußerungen dahin in Hinkunft zu unterlassen, er habe Missbrauch mit seiner Stieftochter begangen; ebenso abgelehnt hat sie auch ein Vergleichsangebot vor Schluss der Verhandlung erster Instanz, mit einer Entschuldigung der Bekl beim Kl unter Kostenaufhebung auseinander zu gehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30137 vom 21.12.2020