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Rechtsschutzversicherung: Anzeigeobliegenheit nach Beendigung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 864a

VersVG: § 33

Gem § 33 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat. Eine Ausschlussfrist, die allein auf einen objektiven fristauslösenden Zeitpunkt abstellt (hier Art 3.3 ARB 2003: zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags, unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls erlangt), ist ungewöhnlich, weil dadurch der Anspruch erlischt, auch wenn unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall eine Schadensanzeige erstattet wurde. Hat der Versicherungsnehmer vor Ablauf der Ausschlussfrist keine wie immer gearteten Hinweise darauf, dass sich ein Versicherungsfall während der Vertragszeit ereignet haben könnte, ist ein Anspruchsverlust trotz Meldung unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall als objektiv und subjektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB zu beurteilen. Die Vertragsbestimmung ist insoweit nichtig und daher unbeachtlich.

Während aufrechten Rechtsschutzversicherungsvertrags gilt die Obliegenheit des § 33 Abs 1 VersVG zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall zu unterrichten hat, sondern nur dann, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“, sich also die kostenauslösenden Maßnahmen konkret abzeichnen.

Anderes gilt aber, wenn der Vertrag – wie hier – bereits seit Jahren abgelaufen ist: Bei allen Versicherungsfällen, von denen der Versicherungsnehmer unverschuldet erst nach Ablauf des Vertrags und nach Ablauf der vertraglich vorgesehenen Ausschlussfrist erfährt, gilt die Obliegenheit des § 33 Abs 1 VersVG zur unverzüglichen Anzeige (vgl hier auch Art 8.1.1 ARB 2003) uneingeschränkt. Der Versicherungsnehmer hat dann alle Versicherungsfälle, von denen er erfährt, dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen.

OGH 24. 4. 2020, 7 Ob 206/19y

Entscheidung

Dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall während aufrechten Versicherungsvertrags erst anzuzeigen hat, wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, dh wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, hat der OGH bereits klargestellt (vgl etwa 7 Ob 140/16p mwN, Rechtsnews 22432).

Dies ist jedoch anders zu beurteilen, wenn der Vertrag – wie hier – seit Jahren abgelaufen ist: Der Versicherer hat den Vertrag bereits mit Ablauf der Ausschlussfrist abgerechnet, die im Vertrag vorgesehen ist. Der Anfall weiterer Versicherungsfälle ist die Ausnahme. Diese Ausschlussfrist ist zwar dem Versicherungsnehmer gegenüber nichtig. Auch dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ist allerdings einsichtig, dass der Versicherer in diesem Fall ein erhöhtes (uneingeschränktes) Interesse an einer unverzüglichen Anzeige aller Versicherungsfälle hat, von denen der Versicherungsnehmer unverschuldet erst nach Vertragsbeendigung und nach Ablauf der vertraglichen Ausschlussfrist erfährt, muss der Versicherer doch trotz Beendigung des Vertrags das zu übernehmende Risiko umgehend beurteilen und einschätzen können und für die Deckung (gesondert) vorsorgen.

Der Versicherungsnehmer ist daher in diesem Fall gehalten, alle Versicherungsfälle dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich je nach seinem Engagement in der Rechtsverfolgung konkret kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen. Es steht nicht im Belieben des Versicherungsnehmers, durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung die Informationsobliegenheit zeitlich hinauszuschieben und sie dadurch zeitlich außer Kraft zu setzen (vgl 7 Ob 140/16p, Rechtsnews 22432).

Im vorliegenden Fall hatte die Kl am 19. 11. 2010 bei einem österreichischen Händler einen deutschen PKW mit Dieselmotor gekauft, der mit einer Abgasmanipulationssoftware ausgestattet ist. Der Rechtsschutz-Versicherungsvertrag hatte von 23. 5. 2001 bis 1. 11. 2011 bestanden und war daher bereits mehr als vier Jahre beendet, als sich die Kl im Februar 2016 einer Sammelaktion des VKI ua zur Information über rechtliche Fragen anschloss; im Mai/Juni 2016 wurde sie vom VKI über die Möglichkeit informiert, sich mit zivilrechtlichen Ansprüchen einem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen. An das bekl Versicherungsunternehmen wandte sie sich jedoch erstmals im November 2017. Umstände, aus denen sich leichte Fahrlässigkeit ableiten ließe, hat die Kl nicht vorgebracht. Der Kl ist daher ein grob fahrlässiger Verstoß gegen die Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG vorzuwerfen, nicht unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall eine Schadensanzeige an die Bekl erstattet zu haben. Dies führt zur Leistungsfreiheit der Bekl, zumal die Kl den strikt zu führenden Kausalitätsgegenbeweis nicht angetreten hat. Sie hat vor dem ErstG nur darauf verwiesen, dass ihr erst durch die Beratung des Klagevertreters im November 2017 klar geworden sei, dass zur Durchsetzung ihrer Ansprüche eine Klage erforderlich sei und ihr daher Kosten entstehen könnten.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29382 vom 15.07.2020