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Rechtsschutzversicherung – Katastrophenausschluss

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 879, §§ 914 f

KSchG: § 6

Nach dem vorliegenden Art 7.1.1.2 ARB 2013 besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind, sowie mit Katastrophen; eine Katastrophe liegt vor, wenn durch ein Naturereignis oder ein sonstiges Ereignis dem Umfang nach eine außergewöhnliche Schädigung von Menschen oder Sachen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. Der Katastrophenausschluss ist weder intransparent gem § 6 Abs 3 KSchG noch gröblich benachteiligend iSv § 879 Abs 3 ABGB. Die Begriffsfolge „in ursächlichem Zusammenhang“ ist nicht intransparent.

Der auf den Vorwurf des mangelhaften behördlichen Pandemie-Managements im Zeitraum Ende Februar/Anfang März 2020 gestützte Amtshaftungsanspruch der Kl steht in ursächlichem Zusammenhang mit der damals als Katastrophe zu wertenden COVID-19-Pandemie, sodass der Katastrophenausschluss des Art 7.1.1.2 ARB 2013 greift.

OGH 25. 1. 2023, 7 Ob 196/22g

Entscheidung

Keine Intransparenz, keine gröbliche Benachteiligung

In der E 7 Ob 160/22p (= Rechtsnews 33582) hatte der OGH im Rahmen eines Verbandsverfahrens gegen dieselbe Bekl eine gleichlautende Klausel (dort Art 7.1.1.2 ARB 2018 = Klausel 1) zu beurteilen. Der Fachsenat erachtete die zwei der Klausel inhärenten Regelungsbereiche, nämlich einerseits den Risikoausschluss für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind („Hoheitsausschluss“) und andererseits den Risikoausschluss für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Katastrophen („Katastrophenausschluss“), als materiell eigenständig. Den Katastrophenausschluss beurteilte der Senat auch weder als intransparent gem § 6 Abs 3 KSchG noch als gröblich benachteiligend iSv § 879 Abs 3 ABGB (7 Ob 160/22p).

Ebenso hat der Fachsenat bereits in mehreren E dargelegt, dass die Begriffsfolge „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhangnicht intransparent ist (7 Ob 160/22p; 7 Ob 169/22m, Rechtsnews 33387). Dies gilt gleichermaßen für die hier verwendeten Begriffe „in ursächlichem Zusammenhang“: Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer versteht darunter, dass die Katastrophe eine typische Folge für die Wahrnehmung der entsprechenden rechtlichen Interessen sein muss, also eine adäquat-kausale Verknüpfung zwischen der Katastrophe und der Wahrnehmung rechtlicher Interessen bestehen muss.

Die Revision zeigt somit insgesamt keine Argumente auf, die der OGH nicht bereits bedacht hätte oder die ihn zu einem Abgehen von seiner Rechtsansicht veranlassen könnten.

Katastrophe

Nach Lehre und Schrifttum ist die COVID-19-Pandemie aufgrund der weiten Definition in den ARB unter den Begriff der Katastrophe zu subsumieren.

Der Fachsenat ist der Ansicht, dass der Katastrophenbegriff im vorliegenden Fall verwirklicht ist, weil die COVID-19-Pandemie im März 2020 eine weltweite, praktisch alle Lebensbereiche erfassende Krise war, die wegen der damals nicht verfügbaren wirksamen Medikation und Impfung eine enorme Zahl an Erkrankten und Toten forderte und überdies massive soziale sowie wirtschaftliche Schäden verursachte. Das „Ereignis“ war der Ausbruch des Virus und die darauf folgende unaufhaltsame weltweite Verbreitung. Dass die Pandemie auch ein zeitlich begrenzter Vorgang ist, zeigt die derzeitige Situation in Europa, aber auch die Erfahrung mit früheren Pandemien. Dass ein jahrelang dauernder Vorgang kein „Ereignis“ iSd Bedingungen sein könnte, ergibt sich aus dem Begriff nicht.

Der OGH hat zwar die COVID-19-Pandemie bislang als Ausnahmesituation iSd Hoheitsausschlusses gewertet (vgl 7 Ob 42/21h, RdW 2021/445). Dies schließt aber die Beurteilung auch als Katastrophe nicht aus, weil der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer im vorliegenden Zusammenhang eine Pandemie sowohl als „Ausnahmesituation“ als auch als „Katastrophe“ ansehen wird.

Die COVID-19-Pandemie ist daher im hier relevanten Zeitraum (Frühjahr 2020) als Katastrophe iSv Art 7.1.1.2 ARB 2013 zu werten.

Adäquat-ursächlicher Zusammenhang

Darüber hinaus muss nach der Klausel ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Katastrophe und der Wahrnehmung rechtlicher Interessen bestehen.

Dieser adäquat-ursächliche Zusammenhang ist im vorliegenden Fall gegebenen: Ein Coronavirus-Ausbruch führte im Frühjahr 2020 regelmäßig zu behördlichem Handeln zum Zweck der Vermeidung, Eingrenzung und Beseitigung der pandemiebedingten Schäden, sodass die dabei behaupteten Sorgfaltsverstöße typische Folgen gerade jenes Risikos sind, das ausgeschlossen werden soll.

Wenn die Kl meint, nicht die COVID-19-Pandemie, sondern das rechtswidrige Verhalten der handelnden Beamten sei die wahre Ursache des Rechtsstreits, ist ihr zu entgegnen, dass bei diesem Verständnis jegliches menschliche Fehlverhalten iZm einer Katastrophe den Risikoausschluss nicht verwirklichen würde, was jedoch zu dessen praktischer Entwertung führen würde. Das Amtshaftungsverfahren steht somit im ursächlichen Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, weil die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Kl eine typische Folge der im Frühjahr 2020 bestehenden Pandemie und des dadurch bewirkten behördlichen Handelns waren.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33776 vom 13.03.2023