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Unwirksame Rentenwahlklausel – Gesamtnichtigkeit des Lebensversicherungsvertrags?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 879

RL 93/13/EWG: Art 6

Der Entfall einer Rentenwahlklausel in einer (fondsgebundenen) Lebensversicherung wegen Verstoßes gegen § 879 Abs 3 ABGB (gröbliche Benachteiligung) infolge unzureichender Vorgaben für die Festlegung der Rechnungsgrundlagen, führt hier nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags: Der Versicherungsnehmer verfügt weiterhin über ein Rentenwahlrecht. Dessen konkrete Ausgestaltung kann ohnedies nur über eine Einigung zum Zeitpunkt der Ausübung dieses Wahlrechts festgelegt werden, für die sowohl aufsichtsrechtliche Vorgaben als auch gesetzliche Informationspflichten vorgesehen sind. Somit kann der Vertrag aus Sicht des Versicherungsnehmerns unverändert fortbestehen; der Wegfall der Klausel, die ohnehin keine ausreichenden Vorgaben zur Rentenberechnung enthalten hat, bewirkt keine Veränderung des Vertrags zu seinen Lasten.

OGH 19. 6. 2024, 7 Ob 51/24m

Ausgangslage

Der Kl konvertierte aufgrund der aus seiner Sicht ungünstigen Entwicklung des Produkts seinen Vertrag 2015. Dabei erhöhte sich die Prämie und die Streuung der Veranlagung veränderte sich. Das geänderte Produkt enthielt auch keine Kapital- oder Höchststandsgarantie mehr, was dem Kl bewusst war. Er dachte, damit falle auch das Rentenwahlrecht weg, wobei ihm das nicht mehr wichtig war. Das neue Produkt sieht aber weiterhin ein Rentenwahlrecht vor, welches der Kl mit Ende der Ansparphase per 1. 10. 2032 ausüben kann.

Der Kl begehrt die Rückzahlung der von ihm geleisteten Nettoprämien samt Zinsen seit dem Vertragsschlusszeitpunkt wegen Gesamtnichtigkeit des Vertrags.

Entscheidung

Rentenwahlklausel

Der OGH hat in Verbandsprozessen Klauseln wie die Rentenwahlklausel im vorliegenden Vertrag bereits als intransparent beurteilt (vgl 7 Ob 186/20h = RdW 2021/281, 7 Ob 97/22y und 7 Ob 153/22h) und die Parteien und die Vorinstanzen gehen damit zu Recht von der Unwirksamkeit der hier vereinbarten Rentenwahlklausel aus. Strittig ist, ob die Unwirksamkeit zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führt. Gem Art 6 Abs 1 Klausel-RL bleibt der Vertrag für beide Parteien bindend, sofern er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Der Kl geht selbst davon aus, dass das verpönte Element der Klausel nicht das Rentenwahlrecht an sich ist, sondern die Unbestimmtheit der Gegenleistung nach Ausübung des Wahlrechts. Das entspricht auch dem Prozessstandpunkt der Bekl, die ebenfalls davon ausgeht, dass der Kl weiterhin sein Rentenwahlrecht ausüben kann. Dieser Standpunkt wird dadurch erhärtet, dass auch das vom Kl erworbene Versicherungsprodukt nach dem Inhalt der – insoweit auch nach der Konvertierung unveränderten – Versicherungspolizze weiterhin eine „Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht“ ist.

Die konkrete Ausgestaltung dieser Rente erfordert eine entsprechende Einigung auf die später zum Tragen kommenden Konditionen, weshalb der Versicherer dafür ein konkretisiertes Angebot an den Versicherungsnehmer zur Ausübung des Rentenwahlrechts legen darf, ohne dass dies eine verpönte Geschäftspraxis nach § 28a KSchG wäre (vgl 7 Ob 97/22y und 7 Ob 153/22h). Die Klausel ist ja gerade an der mangelnden Bestimmtheit der Parameter für die Berechnung der Rente gescheitert und hat dem Versicherungsnehmer daher dafür keine ausreichende Klarheit gebracht.

Für das Zustandekommen des vom Versicherer vorzunehmenden Anbots zur konkreten Höhe der Rente besteht beim Versicherer allerdings kein freies Ermessen, er ist vielmehr an die regulatorischen Vorgaben des Aufsichtsrechts gebunden. Der Versicherer kann nicht „irgendeinen“ Tarif heranziehen, um eine Rente zu berechnen, sondern es muss ein Tarif sein, der davor der FMA gemeldet wurde und ein dem Kundenschutz dienendes Produktfreigabeverfahren durchlaufen hat (vgl Schauer in Z Vers 2022, 1, Konwitschka in VbR 2023/27, jeweils mwN). Beide Autoren haben zwar die Rechtslage unter Zugrundelegung von lediglich als intransparent beurteilten Rentenwahlklauseln beurteilt, dennoch lassen sich ihre Überlegungen auch für die Frage der Gesamtnichtigkeit des Vertrags unter Zugrundelegung der gröblichen Benachteiligung der Rentenwahlkausel fruchtbar machen. Entscheidend ist nämlich, dass der Versicherungsnehmer weiterhin über ein Rentenwahlrecht verfügt (diesen Umstand außer Acht lassend: Haghofer in VbR 2021/27), dessen konkrete Ausgestaltung ohnehin nur über eine Einigung zum Zeitpunkt der Ausübung dieses Wahlrechts festgelegt werden kann.

Der Wegfall der Rentenwahlkausel führt hier daher nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags zwischen den Streitteilen.

Kapital- und Höchststandsgarantie

Die Klauseln betr Kapitalgarantie und Höchststandsgarantie sind seit der Konvertierung kein Vertragsbestandteil mehr.

Die gerichtliche Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln führt grds dazu, dass die Sach- und Rechtslage wiederhergestellt wird, in der sich der Verbraucher ohne diese Klausel befunden hätte (EuGH C-520/21 Rz 57, RdW 2023/534; C-154/15, C-307/15 und C-308/15 Rz 61). Für den Kl entfalten die Klauseln betr Kapitalgarantie und Höchststandsgarantie keine Wirkung mehr, er wird durch sie weder berechtigt noch verpflichtet, weshalb für ihn die Sach- und Rechtslage, in der er sich ohne die Klauseln befände, bereits wiederhergestellt ist und damit der Vertrag in seiner nunmehrigen Ausgestaltung grds auch unverändert fortbestehen kann.

Soweit der Kl argumentiert, dass damit ein untätiger Versicherungsnehmer besser gestellt werde als ein Versicherungsnehmer, der eine Konvertierung vorgenommen habe, um den Vertrag zu retten und sich von den unliebsamen Klauseln zu lösen, übersieht er, dass eine solche Motivationslage bei ihm gerade nicht vorlag: Vielmehr hat der Kl nach den Feststellungen die Entwicklung des ursprünglichen Produkts verfolgt und sich in der Folge für ein anderes Produkt mit höherer Prämie ohne Kapitalgarantie entschieden, weil er einen höheren Ertrag erzielen wollte. Es kam ihm damit aber offensichtlich gerade nicht auf die Kapital- und Höchststandsgarantie und deren Ausgestaltung an, sondern auf einen unabhängig von einer Garantie zu erzielenden höheren Ertrag, für den er bewusst auf die Garantie verzichtet hat. Auf eine Verwirkung oder Verjährung des Rechts des Kl, die Missbräuchlichkeit der Klauseln geltend zu machen, und die Frage der Restitutionswirkung (vgl etwa EuGH C-520/21 Rz 58, 66) kommt es daher gar nicht an.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35829 vom 06.09.2024