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Unzuständigkeit zur Erledigung eines Eventualantrags mangels vorangegangener Entscheidung über den Primärantrag

Bearbeiter: Franz Wallig

EStG 1988: § 1 Abs 4

BAO: § 279, § 303

Abstract

Im vorliegenden Fall wurde in der Beschwerde gegen einen Einkommensteuerbescheid ein möglicher Zustellfehler gerügt. Für den Fall, dass die Beschwerde dennoch zu spät eingebracht wurde, stellte der Beschwerdeführer in eventu einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Abgabenbehörde behandelte aber nur den Eventualantrag und erließ einen entsprechenden Bescheid. Das BFG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob diese Vorgehensweise zulässig ist.

BFG 7. 8. 2024, RV/5100360/2018

Sachverhalt und Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf) war in den Jahren 2014 und 2015 in Ungarn ansässig. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aus einer Tätigkeit bei einem österreichischen Transportunternehmen, wobei er sowohl in Österreich als auch in Ungarn tätig wurde. In beiden Jahren reichte der Bf Arbeitnehmerveranlagungen ein, in denen er die Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig gem § 1 Abs 4 EStG beantragte. Zusätzlich machte er ua den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Kinderfreibetrag geltend. Nach einem erfolglosen Ergänzungsersuchen zum Nachweis der Aufteilung der Tätigkeit des Bf auf Österreich und Ungarn erließ das Finanzamt (FA) am 9. 6. 2017 ESt-Bescheide für 2014 und 2015, in denen der Bf weiterhin als beschränkt steuerpflichtig behandelt und entsprechend veranlagt wurde. Nach Aussage des Bf wurden die Bescheide einem gleichnamigen Nachbarn zugestellt und der Bf erlangte erst Ende September 2017 Kenntnis davon. Am 27. 10. 2017 langte bei der Behörde die mit 14. 10. 2017 datierte Beschwerde gegen die ESt-Bescheide 2014 und 2015 ein. Neben den inhaltlichen Beschwerdegründen machte der Bf in der Beschwerde den Zustellmangel geltend und beantragte in eventu die Wiederaufnahme des Verfahrens, falls die Zustellrüge keinen Erfolg haben sollte. Am 10. 11. 2017 erließ das FA Bescheide über die Abweisung der Wiederaufnahmeanträge vom 27. 10. 2017, in denen es sich mit dem inhaltlichen Vorbringen des Bf auseinandersetzte. Gegen diese Bescheide wurde erneut Beschwerde erhoben.

Entscheidung des BFG

Das BFG stellte fest, dass der Bf primär Beschwerde gegen die ESt-Bescheide 2014 und 2015 erhob und nur in eventu einen Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren stellte. Ein solcher Eventualantrag ist nach der Rsp des VwGH zulässig (vgl zB VwGH 6. 2. 1990, 89/14/0256; 27. 2. 2007, 2005/21/0041; 13. 3. 2002, 2001/12/0041). Über einen Eventualantrag darf aber erst dann entschieden werden, wenn der Bescheid, mit welchem dem Primärantrag nicht stattgegeben wird, in Rechtskraft erwachsen ist (vgl VwGH 24. 3. 2010, 2006/06/0166; 27. 2. 2007, 2005/21/0041; 20. 2. 1990, 89/01/0114). Das Wesen eines – im Verwaltungsverfahren durchaus zulässigen – Eventualantrages liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalls erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl VwGH 27. 2. 2007, 2005/21/0041; 20. 11. 2006, 2003/17/0002; 13. 3. 2002, 2001/12/0041). Das BFG hob in der Folge die Entscheidung der Abgabenbehörde gem § 279 BAO ersatzlos auf, weil über den Hauptantrag (die Beschwerde mit Zustellrüge) nicht entschieden worden war. Es lag daher noch keine Zuständigkeit zur Behandlung des Eventualantrags vor.

Conclusio

Allgemein ist im Verfahrensrecht von einer Unzulässigkeit bedingter Prozesshandlungen auszugehen (vgl Stoll, BAO [1994] 853; Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 85 Rz 3 mwN). Eine wichtige Ausnahme von diesem Grundprinzip ist der Eventualantrag. Als Eventualantrag kommen nur Anträge in Betracht, über die selbstständig abgesprochen werden kann. Diese müssen also auch anstelle des Hauptantrags gestellt werden können (vgl Hell, Bedingte Verfahrenshandlungen im Abgabenverfahren, SWK 2023, 1322 [1324]). Ferner muss für die Behandlung des Haupt- und des Eventualantrags grundsätzlich auch dieselbe Behörde oder dasselbe Gericht zuständig sein (vgl wiederum Hell, SWK 2023, 1322 [1324]). Werden diese Voraussetzungen erfüllt, muss über den Eventualantrag im Falle der Abweisung des Hauptantrags entschieden werden. Wird dem Primärantrag hingegen stattgegeben, wird der Eventualantrag gegenstandslos und ist nicht weiter zu behandeln (Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 85 Rz 3 mwN). Die Entscheidung über den Eventualantrag ohne Behandlung des zugrundeliegenden Primärantrags führt zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Dann ist die Entscheidung – wie auch im vorliegenden Fall – im Rechtsmittelweg infolge Unzuständigkeit aufzuheben und die Behörde hat über den Primärantrag zu entscheiden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36252 vom 02.01.2025