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Die Bekl bietet verschiedene Kommunikationsdienstleistungen an, ua Internetzugang, und bewarb ihre Tarifmodelle auf ihrer Website durch die Angabe von Up- und Downloadgeschwindigkeiten. Im vorliegenden Verbandsprozess wurde diese Werbung als irreführend beurteilt: Bei einer blickfangartigen Aussage bedarf es zur Vermeidung eines irreführenden Gesamteindrucks eines deutlich wahrnehmbaren Hinweises, mit dem ausreichend über die einschränkenden Voraussetzungen aufgeklärt wird, unter denen die Aussage gilt. Je zentraler bestimmte Produkteigenschaften in der Werbung herausgestrichen werden, desto notwendiger ist der Hinweis auf damit zwangsläufig verbundene Nachteile oder gar Einschränkungen. Konstant hohe Datenübertragungsraten sind vor dem Hintergrund der steigenden Tendenz zur Nutzung digitaler Angebote in den Haushalten oftmals ein entscheidender Faktor für die Funktionalität von Internetanwendungen. Insofern ist zu erwarten, dass eine Vielzahl von Kunden diesem Leistungsmerkmal bei der Auswahl eines Access-Providers wesentliche Beachtung zuwendet, insb da Access-Provider ihre Endpreise regelmäßig in Abhängigkeit von der Höhe der Übertragungsrate ausgestalten.
Auch im vorliegenden Fall stellt die Bekl die Datentransfergeschwindigkeit als die definierende Eigenschaft ihrer Dienstleistung heraus. Die Tarifinformation selbst lässt nicht erkennen, dass die angegebene Geschwindigkeit nur ein Maximalwert sei. Diese Information kann vielmehr erst nach eingehender Befassung mit dem Leistungsangebot der Bekl entdeckt werden, und zwar nach zwei Klicks auf Links, die nicht konkret auf die Datentransfergeschwindigkeit Bezug nehmen, und einmal Scrollen. Die Vorinstanzen gingen hier zurecht davon aus, dass der Kunde mangels gegenteiliger Hinweise damit rechnen wird, dass ihm diese Geschwindigkeit immer oder zumindest fast immer geboten werden wird.
Jedoch würde auch ein bloßer Hinweis, dass es sich um eine Maximalgeschwindigkeit handelt, im vorliegenden Fall nicht ausreichen, die Irreführungseignung zu beseitigen: Schon nach Punkt 2.8.1 der Leitlinien zur Auslegung und Anwendung der UGP-RL (2021/C 526/40) können „Bis-zu-Angaben“ als irreführend eingestuft werden, wenn Gewerbetreibende nicht nachweisen können, dass die Verbraucher die zugesicherten maximalen Ergebnisse unter normalen Umständen erzielen. Insb ist dabei zu fragen, ob die Ergebnisse und Vorteile, die ein Durchschnittsverbraucher vernünftigerweise erwarten kann, einschließlich möglicher Gegebenheiten oder Beschränkungen klar benannt wurden. Hier verpflichtet sich die Bekl laut Vertragsbedingungen, für 95 % der Zeit eines jeden Tages in etwa die Hälfte der beworbenen Geschwindigkeit zu bieten – noch dazu, ohne dass der Kunde weiß, wann dies der Fall sein wird. Dies gilt nach den AGB außerdem unterschiedslos für alle Kunden, selbst wenn an ihren konkreten Standorten technisch die Voraussetzungen für deutlich höhere Geschwindigkeiten vorlägen. Ein Spitzenwert, der nur selten erreicht wird und von der regelmäßig zur Verfügung zu stellenden Leistung deutlich abweicht, ist bei Produkten und Dienstleistungen, die nicht punktuell, sondern typischerweise über längere Zeiträume hinweg genutzt werden, für den Durchschnittsverbraucher kein relevanter Parameter für die Kaufentscheidung. Er wird daher selbst bei Hinweisen wie „bis zu“ oder „Maximalgeschwindigkeit“ nicht damit rechnen, dass die bei typischer Nutzung maßgeblichen Leistungsparameter wesentlich von der beworbenen Kennzahl abweichen.
Entscheidung
B2C-Werbung – Aktivlegitimation des VKI
Die Bekl bezweifelt die Aktivlegitimation des Kl (Verein für Konsumenteninformation) für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch, soweit sich die Werbung nicht nur an Verbraucher, sondern auch an Geschäftskunden richtet. Nach Auseinandersetzung mit der nationalen und europarechtlichen Rechtslage, Rsp und Lit sieht der OGH jedoch keinen Anlass, das Verbot der (auch für Verbraucher) irreführenden Werbung auf den b2c-Bereich zu beschränken, nur weil die Klage vom Verein für Konsumenteninformation erhoben wurde.
Verhältnis von Werbung und Netzneutralitäts-VO (TSM-VO)
Aus der Differenzierung von beworbener und tatsächlich zur Verfügung stehender Geschwindigkeit in der VO (EU) 2015/2120 [über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet] (Netzneutralitäts-VO bzw TSM-VO) und den Leitlinien des „Body of European Regulators for Electronic Communications – BEREC“ zu dieser VO (BEREC-Leitlinien) will die Bekl ableiten, dass ihre Werbung zulässig sei. Diese seien leges speciales und leges posteriores gegenüber der UGP-RL und überdies nach dem Kohärenzgrundsatz ohne Wertungswidersprüche zu dieser auszulegen.
Diese Argumentation überzeugt den Senat nicht:
Die TSM-VO derogiert weder der UGP-RL noch dem UWG. Die lex-specialis-Regel ist anzuwenden, wenn die Rechtsfolgen beider Normen miteinander unvereinbar sind. Soweit die jeweiligen Rechtsfolgen einander nicht ausschließen und auch der Regelungszweck des Gesetzes keine andere Auslegung notwendig macht, sind beide Regelungen nebeneinander anwendbar (sog kumulative Normenkonkurrenz, RS0008959). Wieso ihr Marktauftritt nicht zugleich dem § 2 UWG und dem Art 4 Abs 1 lit d TSM-VO entsprechen kann, zeigt die Bekl nicht auf.
Normzweck der TSM-VO ist die gleichberechtigte und nichtdiskriminierende Behandlung des Datenverkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten, der Schutz von und die Vertrauensbildung bei Endnutzern, der Erhalt des „Ökosystems“ Internet als Innovationsmotor sowie die Angleichung der Preise und anderen Bedingungen in der Union (ErwG 1). Diese Zwecke stehen in keinem Gegensatz zu den Zielen des UWG bzw der RL-UGP, sondern werden durch die Vermeidung irreführender Werbung sogar optimal gefördert.
Auch aus den BEREC-Leitlinien ist für den Standpunkt der Bekl nichts zu gewinnen. Diese richten sich nicht an die Internetserviceprovider, sondern an die nationalen Regulierungsbehörden – wobei die österreichischen Regulierungsbehörden bislang keine näheren Regeln betr die Geschwindigkeiten erlassen haben. Überdies spricht das Beispiel in Rz 148 BEREC-Leitlinie (dass etwa vorgeschrieben werden könne, dass die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit in einem angemessenen Verhältnis zur Maximalgeschwindigkeit stehen sollte) gegen und nicht für eine Werbung mit einer Maximalgeschwindigkeit, die rund das Doppelte der normalerweise zur Verfügung stehenden Geschwindigkeit beträgt. Dies gilt umso mehr, als die Leitlinien ausdrücklich davon ausgehen, dass Internetserviceprovider neben den Regeln der Regulierungsbehörden auch die gesetzlichen Bestimmungen zum Marketing einzuhalten haben (vgl Rz 142).
Erforderliche Informationen für Kaufentscheidung
Zum Argument der Bekl, auch ihre Mitbewerber würden mit Maximalgeschwindigkeiten werben, was bereits die Erwartungshaltung der Kunden geprägt habe, verweist der OGH darauf, dass der Unterlassungsanspruch grds auch dann besteht, wenn sich mehrere Marktteilnehmer unlauter verhalten. Darüber hinaus würde selbst eine marktübliche Bewerbung von Maximalgeschwindigkeiten bei den Adressaten der Werbung der Bekl nicht notwendigerweise die Erwartung wecken, dass die tatsächlich zur Verfügung stehende Datentransfergeschwindigkeit bei der Bekl davon wesentlich abweichen müsse.
Auch auf die RV zu § 47 TKG 2021 (RV 1043 BlgNR 27. GP) kann sich die Bekl nicht erfolgreich berufen, die (ua) auf das auffallend hohe Auseinanderklaffen des Verhältnisses zwischen normalerweise zur Verfügung stehender und beworbener Geschwindigkeit in der Praxis Bezug nehmen. Die Regelung (betr Verordnungsermächtigung für die Regulierungsbehörde zur Festlegung von Anforderungen an die Bewerbung der Geschwindigkeit und anderer technischer Merkmale von Internetzugangsdiensten) zielt gerade darauf ab, dass den Adressaten der Werbung die erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, um die Güte der Dienstleistung bei typischem Nutzungsverhalten, dh bei Datenübertragung über gewisse Zeiträume hinweg, beurteilen zu können. Einen Freibrief zur Bewerbung von Geschwindigkeiten, die die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit um ein Vielfaches übersteigt, ist darin nicht zu sehen.
Hinsichtlich des Arguments der Bekl, dass Interessenten über Links zur Information gelangten, wonach es sich bei den angegebenen Datentransfergeschwindigkeiten um Maximalwerte handle, ist ihr zwar zuzugestehen, dass die situationsadäquate Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers beim Abschluss von Verträgen mit Internetserviceprovidern typischerweise höher ist als etwa bei Impulskäufen geringwertiger Waren. Nach stRsp des Senats verstößt eine irreführende Angabe jedoch schon dann gegen § 2 UWG, wenn sie geeignet ist, den Entschluss eines nicht unerheblichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise, sich mit dem Angebot näher zu befassen, irgendwie zugunsten dieses Angebots zu beeinflussen (vgl RS0078411; RS0078396; 4 Ob 49/23v = RdW 2023/428).
Urteilsveröffentlichung
Zuletzt kritisiert die Bekl die zugesprochene Urteilsveröffentlichung als überschießend. Es sei nicht erforderlich, dass der gesamte Urteilstext auf der Homepage abgedruckt werde, ein Link sei ausreichend.
Im vorliegenden Fall wird bei den Adressaten einer Blickfangwerbung ein falscher Eindruck von den Produkteigenschaften geweckt, der nur durch das Klicken von einigen Links, das geduldige Scrollen bis zum jeweiligen Textende und die aufmerksame Lektüre mehrseitiger Texte korrigiert wird. Gerade jene Personen, die sich dieser Mühe nicht unterzogen haben und in ihren Fehlvorstellungen verharren, werden durch das bloße Anbieten weiterer Links zu einer Urteilsveröffentlichung nicht erreicht werden.