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Vergabe: Auslegung von Ausschreibungsbedingungen

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: §§ 914 f

Öffentliche Ausschreibungen sind – wie AGB – so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind – wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren – objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen. Demnach kommt es bei der Auslegung von Ausschreibungsbedingungen darauf an, wie diese bei objektiver Beurteilung der Sache vom Bieter zu verstehen waren, wobei erst bei Unklarheiten va dem Geschäftszweck, der redlicherweise der Erklärung zu unterstellen ist, und der Interessenslage Bedeutung zukommt.

Die vorliegenden Ausschreibungsbedingungen sind objektiv dahin zu verstehen, dass im Fall von Widersprüchen die Bestimmungen des Angebots samt Beilage 13.05.1 Vorrang gegenüber dem Leistungsverzeichnis zukommt. Die Gesamtleistung besteht aus Leistungsteilen für Dachdecker, Spengler und Zimmerer; strittig ist nun die Indexierung. Nach der insofern klaren Vertragslage ist nicht generell nach dem Dachdeckerindex „LT:01“ vorzugehen, sondern hat die Errechnung des Veränderungsprozentsatzes aufgrund der Beilage 13.05.1 je Preisanteil getrennt nach den Leistungsteilen der Gesamtleistung für Dachdecker, Spengler und Zimmerer zu erfolgen. Es liegen somit keine Unklarheiten vor, die eine vom objektiven Wortlaut abweichende Auslegung des vorliegenden Vertrags nahelegen würden, der nach den Feststellungen allein aufgrund der Ausschreibung, des Anbots der Kl und dessen Annahme durch die Bekl abgeschlossen wurde (dh ohne vorangehende Verhandlungen der Parteien). Nicht geteilt werden kann hier somit die Ansicht der Kl, bei der Auslegung des Vertrages sei auf eine vorangegangene „Abwicklungspraxis“ abzustellen.

Eine Änderung der Vertragsgrundlage ergibt sich auch nicht aus den Akontozahlungen der Bekl auf Abschlagsrechnungen: Derartige Zahlungen und deren vorgängige Prüfung können vor dem Hintergrund der vertraglichen Regelungen (hier: Pkt 4.3.2.4 WD314) sowie bei objektiver Beurteilung der Sache konkret nicht vernünftig dahin gedeutet werden, dass damit die Vertragsgrundlage geändert werden sollte – zumal sie ohne individuelle Verhandlungen zustandegekommen war.

OGH 28. 9. 2022, 7 Ob 214/21b

Entscheidung

Bei der Verrechnung einzelner Teilleistungen nach prozentuellem Baufortschritt (wie hier) handelt es sich nicht um die Verrechnung einzelner voneinander unabhängiger Leistungen, sondern um die Verrechnung aufeinander aufbauender Teilleistungen im Rahmen des gesamten Bauprojekts; derartige Abschlagszahlungen sind nur ein Akonto bzw ein Vorschuss auf das Schlussrechnungsentgelt (vgl 9 Ob 32/16w mwN, Zak 2016/634). Die Kl kann sich somit nicht auf § 1170 Satz 2 ABGB stützen (Forderung eines verhältnismäßigen Teils des Entgelts, wenn der einzelne Teil als selbstständiges Werk angesehen werden kann).

Nach den Feststellungen hat die Kl hier ihre Teilrechnungenentsprechend dem Arbeitsfortschritt“ gelegt. Dem entspricht auch der Wortlaut der Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen („WD314“), die der Entscheidung zur Gänze als unstrittig zugrunde gelegt werden können, zumal sich die Kl selbst darauf berufen hat (vgl RS0121155 [T1–T3, T10]). Dass die Rechnungen mehr als bloße Abschlagsrechnungen iSd Pkt 4.3.2 WD314 gewesen wären, hat die Kl nicht behauptet; sie trat auch dem Vorbringen der Bekl nicht substanziiert entgegen, wonach sich aus den WD314 ergebe, dass Überzahlungen bei der Schlussrechnung noch berücksichtigt werden könnten (vgl Pkt 4.3.2.4 WD314, wonach Entscheidungen über die Ansätze und Mengen der Schlussrechnung durch die Abschlagszahlungen nicht vorweggenommen werden).

Da die Zahlungen der Bekl Akontozahlungen auf Abschlagsrechnungen waren, stellt sich die Frage gar nicht, ob ihre Zahlung bis zur 30. Teilrechnung schlüssig (vgl RS0014110) als Anerkennung der Berechtigung einer Indexierung nach „LT:01“ angesehen werden könnte. Der Bekl war es daher nicht verwehrt, eine Indexierung nach den Leistungsteilen laut Angebot vorzunehmen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33459 vom 29.12.2022