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Vergabe: Bestandfestigkeit einer Auftraggeberentscheidung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

BVergG 2018: § 274

1. Nach der stRsp des VwGH kann eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von Entscheidungen des Auftraggebers, die auf dieser Entscheidung aufbauen, nicht mehr überprüft werden. Ist eine Ausschreibungsbestimmung mangels rechtzeitiger Anfechtung der Ausschreibung bestandfest geworden, ist sie der gegenständlichen Auftragsvergabe zugrunde zu legen, auch wenn sie bei rechtzeitiger Anfechtung für nichtig zu erklären gewesen wäre. Die Bestandfestigkeit einer Auftraggeberentscheidung ist von ihrer Rechtmäßigkeit zu unterscheiden.

Ausgehend davon ist die Auffassung des VwG unzutreffend, wonach eine Verletzung der Grundprinzipien des Vergaberechts nicht bestandfest werden könne. Daran vermag auch § 274 Abs 3 BVergG 2018 nichts zu ändern, den das VwG begründend herangezogen hat: Hinsichtlich technischer Spezifikationen sieht § 274 Abs 2 Z 1 BVergG 2018 ua vor, dass jede ausnahmslos mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen ist. Dementsprechend darf ein Angebot gem § 274 Abs 3 BVergG 2018 nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es entspreche nicht den vorgeschriebenen Spezifikationen, wenn der Bieter mit geeigneten Mitteln nachweist, dass sein Angebot den Anforderungen der technischen Spezifikationen „gleichermaßen“ entspricht (geeignete Mittel sind gem § 277 BVergG 2018 etwa Testberichte oder Zertifizierungen). § 274 Abs 3 BVergG 2018 enthält nähere Regelungen, wie die Gleichwertigkeit vom Bieter nachzuweisen bzw vom Auftraggeber zu prüfen ist („geeignete Mittel“, „im Angebot“), hat allerdings nicht zur Folge, dass ein Bieter ungeachtet einer entgegenstehenden, bestandfest gewordenen Festlegung des Auftraggebers die Gleichwertigkeit des von ihm angebotenen Produktes auch dann nachweisen kann, wenn nach der Ausschreibung ein bestimmtes Produkt ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ angeboten werden muss. § 274 Abs 3 BVergG 2018 verhindert somit nicht, dass das Abstellen auf eine Spezifikation ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ - ungeachtet der Rechtswidrigkeit einer solchen Festlegung - bestandfest werden kann.

2. Eine Festlegung auf einen bestimmten Hersteller ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ stünde mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz nicht in Einklang (siehe RV 69 BlgNR 26. GP 133). Auch wenn dieser Umstand - wie dargelegt - nicht dazu führt, dass eine dementsprechende Festlegung nicht bestandfest werden kann, ist er doch bei der Auslegung der Erklärung des Auftraggebers zu berücksichtigen.

VwGH 18. 1. 2021, Ra 2019/04/0083

Entscheidung

Im vorliegenden Fall enthielt die ursprünglich bekannt gemachte Ausschreibung keine absolut zwingende Beschränkung auf einen bestimmten Hersteller.

In einer Fragebeantwortung (Fragebeantwortung 5) bejahte die Auftraggeberin zunächst die Gleichwertigkeit eines Produkts mit gleicher Rollenbreite und Rollenlänge ausdrücklich und verwies im Anschluss daran - iZm der Kompatibilität der Handtuchrollen mit dem Spender - in einem Klammerausdruck auf die Identität des Herstellers der Handtücher mit demjenigen der Spender.

Nach Ansicht des VwGH wurde damit - nach dem objektiven Erklärungswert dieser Fragebeantwortung - nicht eindeutig festgelegt, dass abweichend von der ursprünglichen Ausschreibung der Hersteller der Handtuchrollen mit dem Hersteller der Spender ident sein müsse, zumal der erste Satz der Fragebeantwortung (der für eine Gleichwertigkeit lediglich die gleiche Breite und Länge verlangt) gegen diese Sichtweise spricht (vgl zu jeweils fallbezogenen gesetzeskonformen Auslegungen von Ausschreibungsbestimmungen auch VwGH 27. 10. 2014, 2012/04/0066, Pkt. 6.4.; VwGH 12. 5. 2011, 2008/04/0087, RdW 2011/509). Der Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung spricht somit dafür, dass die Auftraggeberin mit dem besagten Klammerausdruck bloß ihre Auffassung zur Kompatibilität zum Ausdruck gebracht, nicht aber die Ausschreibung abgeändert hat.

Dabei ist auch zu beachten, dass die Auftraggeberin zwar angegeben hat, alle Bieter von der Fragebeantwortung “verständigt“ zu haben, eine Bekanntmachung bzw Veröffentlichung der Fragebeantwortung aber weder von ihr behauptet noch festgestellt worden ist. Da die ursprünglich bekannt gemachte Ausschreibung keine absolut zwingende Beschränkung auf einen bestimmten Hersteller enthielt und mit einer Festlegung auf ein bestimmtes Erzeugnis die Ausschreibung in einer Weise geändert würde, welche die Ausschreibung auch für andere Bieter interessant machen könnte, wäre eine derartige Bekanntmachung der Fragebeantwortung 5 aber geboten gewesen (vgl auch EuGH 16. 4. 2015, C-278/14, SC Enterprise Focused Solutions SRL, Rn 29, Rechtsnews 19350, wonach ein Auftraggeber die technischen Spezifikationen grds nicht während des Vergabeverfahrens bzw nach Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung ändern darf).

Selbst wenn Bieter aufgrund der Fragebeantwortung von einer zwingend gebotenen Herstelleridentität ausgegangen sein könnten, ist bei einer unklaren Aussage der Auftraggeberin - wie hier - der gesetzeskonformen Auslegung der Vorzug einzuräumen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30807 vom 28.04.2021